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Elternwünsche in CoronazeitenSelbst gemachtes Leid

Eiken Bruhn
Kommentar von Eiken Bruhn

Nach einer Umfrage in Niedersachsen kann sich die Hälfte der befragten Eltern nicht vorstellen, Kinder privat zu betreuen. Das ist fantasielos.

Als könnten Kinder nur im Kindergarten spielen Foto: Jan-Philipp Strobel / dpa

Z urecht beklagen Eltern seit Wochen, dass die Bedürfnisse von Familien zu wenig berücksichtigt werden, wenn es um Lockerungen der Pandemiemaßnahmen geht.

Aber recht machen kann man es ihnen auch nicht, wie die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage in Niedersachsen zeigen. Einig sind sie sich nur darin, dass die Kindertagesstätten vor den Sommerferien wieder öffnen sollen, das wollen drei Viertel. Noch mehr würden wohl die Frage „Soll Corona aufhören“ mit „ja“ beantworten.

Dass sich Eltern uneins sind, ist wenig verwunderlich, weil die Familien- und Arbeitssituationen so unterschiedlich sind. Auf einer Skala von fünf Stufen gibt ein Drittel an, gut klarzukommen oder wenig belastet zu sein, ein weiteres Drittel hat das Gefühl, sich zu zerreißen oder eine Stufe davorzustehen.

Aber dass sich die Hälfte nicht vorstellen kann, Kinderbetreuung privat zu organisieren, verblüfft. Bis Mittwoch galten bundesweit strenge Kontaktverbote. Doch wie viele Kinder durften zwei Monate lang nicht einmal die beste Freundin oder das Nachbarskind zum Spielen treffen?! Es ist anzunehmen, dass die meisten Eltern früher oder später Ordnungswidrigkeiten begangen haben, um ihren Kindern Leid zu ersparen.

Jetzt ist das Kontaktverbot gelockert– aber die Hälfte der Befragten will lieber Kinder dem höheren Infektionsrisiko im Kindergarten aussetzen, anstatt sie zu Hause spielen zu lassen?

Auch kurios: Ein Viertel lehnt eine Corona-Elternzeit ab, 17 Prozent der Befragten haben dazu keine Meinung. Sie verzichten freiwillig auf die Wahl, während der Pandemie zu arbeiten oder zu Hause die Kinder zu betreuen?

Corona hat in vielen Bereichen zu kreativen, pragmatischen Lösungen geführt. Aber wenn es um das Leben mit Kindern geht, dann fehlt vielen Deutschen die Fantasie, dass es auch ohne institutionelle Kinderbetreuung gehen kann. Oder sie haben sich damit abgefunden, dass nur Kindertagesstätten Mütter von Reproduktionsarbeit entlasten können.

Dabei würden weder ein Corona-Elterngeld noch privat organisierte Kinderbetreuung die Situation für berufstätige Mütter verschlimmern. Das jetzt abzulehnen, ist selbst gemachtes Leid.

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Eiken Bruhn
Redakteurin
Seit 2003 bei der taz als Redakteurin. Themenschwerpunkte: Soziales, Gender, Gesundheit. M.A. Kulturwissenschaft (Univ. Bremen), MSc Women's Studies (Univ. of Bristol); Alumna Heinrich-Böll-Stiftung; Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin; Lehrbeauftragte an der Univ. Bremen; in Weiterbildung zur systemischen Beraterin.
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6 Kommentare

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  • Es ist nicht nur eine Frage des Wollens. Auch wenn ich bezahlten Urlaub hätte, solange die Krise andauert, wird meine Arbeit von keinem anderen erledigt. Ich fühle mich meiner Firma verpflichtet, und wenn ich jetzt sechs Wochen Pause mache, entgehen uns im Herbst Umsätze, und genauso ist es mit all meinen Kolleginnen. Die Personaldecke ist einfach ziemlich dünn.



    Und das liegt nicht am Geiz des Arbeitgebers, sondern daran, dass für Schulbücher nicht so viel Geld ausgegeben wird und keine so große Lobby besteht wie für Autos oder Fußball.



    Und noch was: Ich habe mich für Kinder entschieden, sehr bewusst. Aber auch in dem Bewusstsein, dass ihr Glück nicht davon abhängt, ob ich sie von früh bis spät bespaßen kann oder nicht. Das kann ich nämlich nicht allzu gut, nicht den ganzen Tag, nicht monatelang. Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Meinung liegt die pädagogische Fähigkeit zum Umgang mit Kleinkindern nicht auf dem x-Chromosom.



    Zudem kann ich die Kinder ja immer noch nicht rausschicken mit den Worten "geht mit euren Freunden spielen und seid zum Essen zurück". Ich muss dabei sein, die ganze Zeit, und aufpassen, dass sie keinem zu nahe kommen und auch bereitstehen, wenn ein grantiger Mitmensch ihnen Dinge an den Kopf wirft, die sie vielleicht als Kränkung empfinden.



    Soll auch vorkommen in Corona-Zeiten.

    • @Annette Thomas:

      Nachtrag: Als gestern die Meldung kam, dass Biergärten und Bundesliga jetzt wieder gehen, und dass die Schulen, tja... irgendwann... öffnen, und mit den Kitas... das sehen wir jetzt dann..., und als heute dann die Meldung vom Arbeitgeber kam, dass ab demnächst diejenigen, die mögen, wieder ins Büro dürfen, aber nur ganz oder gar nicht - also dann für mich wohl gar nicht, auch nicht einen Tag die Woche - da war ich kurz versucht, dem Ruf der Politik und Wirtschaft zu folgen, meine wahre Bestimmung anzunehmen und mich fürderhin dem Wohl der Kinder zu widmen und sonst gar nichts. Die danken es mir in der Regel, wenn ich mich krummlege.



      Aber so sitze ich nun nach dem Zubettbringen hier vorm Rechner und... und lese die taz.

  • Die Frage, die ich mir auch stelle: denkt denn irgendjemand auch an die gesundheitlichen Ridiken der für die Erzieherinnen? Abstand, Hygiene bei Kleinkindern? Theresa Bücker formulierte einmal, dass sie nur Kinder haben könne, da es diesen Berufstand gäbe. Das erinnert sehr an das frühere Ammen- und Kindermädchenwesen der höheren Stände. Ja das Leben bringt unplanbares mit sich, insbesondere ein Leben mit Kindern! Ich finde den Vorschlag der Autorin richtig: Selbstorganisation mit anderen Familien, Männer auch ran ! Erzieherinnen sind nicht eine Verfügungsmasse, hier ist auch eine Care Haltung angesagt. Die vielen im Netz kursierenden Beschwerden stammen von privilegierten im home Office arbeitenden Akademikerinnen. Erzieherinnen gehören definitiv nicht zu dieser privilegierten Schicht, ebensowenig die Haushalthilfe mit Migrationshintergrund. Auch dies mal reflektieren und mal die Erzieherinnen fragen, was die dazu meinen!

    • @Bär Lauch:

      Da hätte ich noch einen ganz anderen Vorschlag - die Notbetreuung für Familien o h n e rüstige Großeltern. All die vielen anderen verabreden mit den Großeltern die Tagesbetreuung ihrer Kinder/Enkel - inkl- gelegentlicher Nachbarschaftsbesuche. DIe Schulkinder erledigen ihre Schularbeiten unter Aufsicht der Großeltern DIGITAL und gehen danach ihren Hobbies nach. Abends treffen die Eltern entspannte Kinder an und lassen sich den Tag erzählen. Eltern u. Großeltern nehmen identische Urlaubszeiten.



      KITA braucht es rein gar nicht - oder eben nur für die Lücken im System. Na, wie wäre es damit?

      • @Dieter HEINRICH:

        Dummerweise wohnen die Großeltern in Köln und der Arbeitsplatz ist in BaWü...

        • @Annette Thomas:

          Ja - so ist das mit der Abhängigkeit der einen vom Arbeitsplatz - und der anderen von ihrem >gewachsenen< Lebensstil - und das passt wunderbar zusammen = Kinder emanzipieren sich von Eltern, Eltern sind >endlich< frei für sich selbst.



          Fragen an die Jungen: berufliche Selbständigkeit = örtl. Flexibilität? Und an die Alten: als Eltern im >Familiengefängnis