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Familie in Corona-KriseZeit für neue Familienmodelle

Kommentar von Alicia Schlender

In Coronazeiten bröckelt auch das Ideal der Kleinfamilie. Für Vollzeitjob und Erziehung braucht es mehr als zwei.

Am Ende bleibt die Kinderbetreuung doch Sache der Frauen. Mutter und Tochter warten auf die Tram Foto: Hans Christian Plambeck/laif

S eit Beginn der Coronakrise rückt die Sorge umeinander endlich ganz neu in den Mittelpunkt: persönlich, medial und mehr oder weniger auch politisch. Corona bringt auf den Tisch, was so lange insbesondere aus einer linken feministischen Perspektive schon kritisiert wird: Sorgearbeit kann eben nicht „so nebenher“ und im Unsichtbaren stattfinden.

Kümmern bedeutet Arbeit. Außerdem ist Elternschaft eng verknüpft mit Erfahrungen von Isolation, Angst vor dem Scheitern, Leistungsdruck, Romantisierung und sehr viel Ambivalenz. Dass dies nicht individuelle, sondern kollektive Erfahrungen sind, lässt sich spätestens jetzt nicht mehr leugnen. Die verordnete Corona-Isolation stellt die Vorteile der Familienform „Patchwork“ ganz neu heraus. Mein Alltag fühlt sich durch das Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft nämlich so isoliert gar nicht an.

Die Coronakrise ist auch eine Krise des Ideals der Kleinfamilie. Der Lockdown eröffnet uns als Gesellschaft die Chance, neu darüber nachzudenken, wie wir eigentlich zusammenleben möchten. Er zeigt auf, dass ein oder zwei Menschen nicht ausreichen, um sich neben einem Vollzeitjob um Kinder und sich selbst kümmern zu können, ohne dabei verlorenzugehen.

Warum sollte in einer Gesellschaft, in der immer mehr Ehen geschieden werden und Partnerschaften auseinandergehen, ausgerechnet das romantische Gerüst das Einzige sein, auf dem sich familiäres Zusammenleben aufbaut? Warum fällt es so schwer, in die Verbindlichkeit und Stabilität von ­familiären Formen außerhalb der heterosexuellen Kleinfamilie zu vertrauen? Co-Elternschaften, Wohngemeinschaften – es gibt so viele Möglichkeiten, Verantwortung für Kinder zu verteilen!

Um diese Formen zu erfinden, um die dafür nötigen radikalen neuen Bilder zu erdenken, braucht es auch die Bereitschaft, gelernte Vorstellungen von Familie nicht nur zu hinterfragen, sondern stellenweise auch neu zu entwerfen.

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15 Kommentare

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  • vielen Dank für den Artikel!!



    Ich lebe mit meinem Partner und 2-jährigen Kind in einer Dreizimmerwohnung und vermisse in unserem Alltag oft Inspiration und mehr Gemeinschaft. Seit die Kita durch Corona zu ist, kommen wir manchmal an unsere Grenzen.



    Zum Glück hilft uns seit einer Woche eine Freundin aus, die auf umbestimme Zeit mit uns lebt und den Alltag gestaltet. Wir träumen, lachen, spielen und lernen gemeinsam, mehr als sonst, und überlegen auch in Zukunft mit weiteren lieben Menschen (mit noch mehr Kindern) zusammen zu leben und neben der Lohnarbeit einfach viel zusammen zu machen, wie z.B. auch eigenes Gemüse und Obst anzubauen. Alleine oder zu zweit mit Kind(ern) bleibt neben Lohnarbeit, Hausarbeit und Sorgearbeit einfach wenig Zeit übrig.



    Mit mehreren Menschen zusammen zu leben, erscheint uns effizienter, möglicherweise ökologisch sinnvoller und einfach schön!♡

  • Wenn ich mich in meinem Umfeld bzw. Bekanntenkreis so umschaue, dann sind es gut verdienende AkademikerInnen, welche in Ehe oder Partnerschaft bewusst auf Kinder verzichten. Oft stimmt hier das Einkommen und Großeltern existieren auch. Woran liegt es also, dass sich Menschen einer Familie verweigern, die besten Vorausätzungen besitzen?

    • @Thomas Brunst:

      Es liegt u.a. daran, dass die Anforderungen im Berufsleben 40+ h/Woche, Präsenz, Flexibilität und auch oft berufliche Reisen sind.

      Dazu kommt, dass Großeltern und andere Betreuungsformen nicht dauerhaft flexibel belastbar sind.

      Wenn man weder hauptberfulich Mutter/Vater oder als Vater/Mutter zum Großteil absent sein will, ist der Verzicht auf Kinder naheliegend.

      Die schlechte Unternehmenskuktur und das erschreckend schlechte Betreuungsangebot in Deutschladn sind sowohl für Frauen als auch für Männer ein Terror. Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist jedenfalls für keinen der beiden gegeben.

      Auch daher ist das Engagement der Frauen für bessere Bedingungen seitens der Männer unbedingt unterstützenswert.

    • @Thomas Brunst:

      Woran es liegt, dass sich Menschen einer Familie 'verweigern'? Bei mir war es so, dass meine Herkunftsfamilie abschreckend war: Der Vater autoritär, die Mutter Hausfrau, verschreckt und konnte nicht für sich selbst einstehen; so wollte ich nie werden. Zudem waren dann später auch die Inhalte meines Berufes zu interessant. Bereut habe ich das Leben ohne Kinder nie.

  • "Warum sollte in einer Gesellschaft, in der immer mehr Ehen geschieden werden und Partnerschaften auseinandergehen, ausgerechnet das romantische Gerüst das Einzige sein, auf dem sich familiäres Zusammenleben aufbaut?"

    "Um diese Formen zu erfinden, um die dafür nötigen radikalen neuen Bilder zu erdenken, braucht es auch die Bereitschaft, gelernte Vorstellungen von Familie nicht nur zu hinterfragen, sondern stellenweise auch neu zu entwerfen."

    Gegenfrage? Warum, sollten dies viele Familien tun, für die das Modell einwandfrei funktioniert?

    Ist Corona der neue Normalzustand? Wieso sollte eine Extremsituation, die auf Dauer keiner anstrebt, dazu führen, etwas zu ändern?

    Ganz nebenbei: Ich fühle mich in meiner Kleinfamilie sehr wohl. Mein "Verlust" an Freiheit hält sich in Grenzen, da ich in einer Familie lebe.

    Aber das ist ja nur individuell. Wobei: Für die Behauptung, dass es sich bei der Ansicht der Autorin um eine kollektive Beobachtung handelt, fehlt in dem Text jeder Nachweis. Mir scheint, da möchte die Autorin eine subjektive Sichtweise als objektiv etikettieren.

    Ich denke (ganz subjektiv), wenn etwas zu überdenken ist, dann ist es das Single-Dasein. Dort würde ich vermuten, dass einem die Decke auf den Kopf fällt.

  • 0G
    01349 (Profil gelöscht)

    "Für Vollzeitjob und Erziehung braucht es mehr als zwei."

    Es gab mal eine Zeit, da haben zwei gereicht. Was ist seitdem schiefgelaufen?

    • @01349 (Profil gelöscht):

      Die Befreiung der Eltern ist das System. Eine vorgebliche Befreiung, im Sinne von Selbstverwirklichung.

      Somit ist heute ein Lebensbild: Kind bekommen, nach spätestens einem Jahr Abgabe in die Kita, danach Kindergarten, Schule etc. Sprich für die Aufzucht werden heute viele bezahlte Tagesmütter, verschiedene Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen, Verwaltungsangestellte zur Organisation, Köchinnen, Lehrerinnen etc (alles weiblich) benötigt. Damit das finanzierbar ist, darf frau nicht arbeiten, nein, frau muss arbeiten, am besten im gleichen System. Fast ein perpetuum mobile.

    • @01349 (Profil gelöscht):

      Wenn Sie sich die Geschichte von homo sapiens ansehen wurde die weitaus meiste Zeit davon die Kindererziehung nicht von ein oder zwei Individuen übernommen. Die (gute, alte) Zeit, auf die Sie anspielen ist uns zwar noch vergleichsweise gut im Gedächtnis. Dass damals aber "zwei gereicht" hätten wage ich zu bezweifeln. Schauen wir uns nur mal an, was dabei herausgekommen ist: Häusliche Gewalt, Scheidungstraumatisierte, Turbokapitalismus inkl. planetarer Verwüstung, usw. usf. ...

      • 0G
        01349 (Profil gelöscht)
        @Hannes Hegel:

        Ich spreche von der Zeit, als ein Vollzeit-Einkommen den meisten Haushalten gereicht hat. Was ist also schiefgelaufen, dass der Lohn von 40 Arbeitsstunden pro Woche einer Familie oft nicht mehr reicht, obwohl die Produktivität pro Arbeitsstunde seitdem beträchtlich gestiegen ist?

    • @01349 (Profil gelöscht):

      Seitdem gibt es die Ansicht, dass eine Familie zu haben keine Selbstverwirklichung ist. Nein: Keine Selbstverwirklichung sein DARF.

  • Auch wenn es nicht modern und progressiv klingt: Die biologische Familie und direkte familiäre Bande funktionieren und sie bieten Sicherheit. Insbesondere in Zeiten der Krise und Unsicherheit ein unschätzbarer Vorteil. Sie bietet das Fundament, auf dem die Gesellschaft steht und funktioniert. Muss einem nicht gefallen, ist aber so.



    Klar kann das Modell erweitert und ergänzt werden. Aber es sollte immer Ausgangspunkt aller Überlegungen sein. Jeder Versuch, es durch angeblich modernere und bessere Modelle zu ersetzen ist zwangsläufig zum scheitern verurteilt.

    • @Horst Horstmann:

      Hurra Harra - daß ich das auf meine alten Tage noch bileben darf:

      Ein echter Anhänger von “God bless you, Dr. Kevorkian“ also Kurt Vonnegut!



      (der sowas leider nimeh bilebt hett!;(

      Hörnwer doch zu Großfamilie vs Kleinfamilie & Co. mal rein ~ in etwa so:



      “Warum lassen sich heute so viele Menschen scheiden.? Weil die meisten von uns keine Großfamilien mehr haben. Wenn früher ein Mann und eine Frau heirateten, bekam die Braut viel mehr Leute, mit denen sie über alles reden konnte. Der Bräutigam bekam eine ganze Menge neuer Kumpels, denen er dämliche Witze erzählen konnte.

      Ein paar Amerikaner, aber sehr wenige, haben immer noch Großfamilien.



      Die Navajos. Die Kennedys.

      Aber die meisten von uns, wenn wir heutzutage heiraten, sind lediglich eine weitere Person für eine andere Person.



      Der Bräutigam kriegt einen neuen Kunpel, aber der ist eine Frau. Die Frau bekommt eine weitere Person, mit der sie über alles reden kann, aber die ist ein Mann.

      Bei einem Ehekrach mag das Paar glauben, es ginge um Geld oder Macht oder Sex oder Kindererziehung oder sonst was.



      Was die beiden jedoch in Wirklichkeit zueinander sagen, ohne es zu wissen, ist dies:“Du bist nicht genug Leute!“ - fff “

      kurz - Hoffe dem Meister der “biologischen Familie“ - mit etwas vonnegutscher Wahrheit weitergeholfen zu haben.

      Liggers - Gern&Dannichfür.



      & nochmals-



      “Gott segne Sie, Dr. Kevorkian“

      • 8G
        83379 (Profil gelöscht)
        @Lowandorder:

        Ach Herr Lowandorder schön sie wieder hier zu sehen, hatte mir schon Sorgen gemacht um ihre Gesundheit. Ich verstehe zwar immer noch 60% der Zeit Bahnhof bei ihren Posts aber sie haben mir schon gefehlt.

        • @83379 (Profil gelöscht):

          Ok. Ok. Laß mal meinen sidekick zu Potte kommen - aber Hallo!



          Bitte Mr. Mailtütenfrisch:

          “ Moinmoin







          "Der Bräutigam bekam eine ganze Menge neuer Kumpels, denen er dämliche Witze erzählen konnte."



          Und Kneipen als Ersatz gibt`s ja auch kaum noch... Zechensterben war Kneipensterben. Glückauf! Aber inne Kneipe dürfen wir ja zur Zeit auch nicht. Coronakrise bringt die letzten Kneipen in Not.“

          kurz - Wahrheit ist machbar - Herr Nachbar.

          (ps 60 %?! - na da bin ich aber als alter Kantleser glatt gebauchhegelt.



          &



          Mach Bosse & Dank der guten Wünsche & werr trüch!;))

          • 8G
            83379 (Profil gelöscht)
            @Lowandorder:

            Bleiben sie gesund, wir brauchen sie noch.