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Corona-Rettungspaket der RegierungDer Sozialstaat ist zurück

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Im Sozialpaket: Hartz-IV-Zugang ohne Hürden, extra Kindergeld, MieterInnenschutz. Geht doch, Bundestag!

Abgeordnete geben ihre Stimmkarte ab Foto: Michael Kappeler/dpa

B ei allem Fluchen über die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen: Die derzeitige Ausnahmesituation ist auch ein Segen. Bringt sie doch ein oft kritisiertes und verspottetes deutsches Relikt zum Leuchten: den Sozialstaat. Das im Grundgesetz verankerte Sozialstaatsprinzip gewinnt in der Krise an Wert und erweist sich als Basis und Bindeglied, um die Gesellschaft zu stabilisieren und die Folgen für die Menschen abzumildern.

In Deutschland gab es keine Schlangen vor Waffengeschäften, niemand, ein paar rechte Prepper mal ausgenommen, hält es für nötig, sich gegen mögliche Diebe und Plünderer mit Gewehren und Munition einzudecken, wie es in den USA gang und gäbe ist. Die Deutschen horten höchstens Klopapier und vertrauen ansonsten auf den Staat.

Und der ist tatsächlich da und beweist, dass nicht nur Banken geholfen wird, sondern auch BürgerInnen vor dem Fall ins Bodenlose bewahrt werden. Das am Mittwoch mit Hochgeschwindigkeit im Bundestag verabschiedete Rettungspaket enthält neben Kreditgarantien für Unternehmen und Milliardenhilfen für Krankenhäuser auch ein dickes Sozialschutz-Paket. Menschen, die plötzlich ohne Einnahmen sind, können ab Montag Grundsicherung beantragen, ohne ihr Ersparnisse offen legen oder nachweisen zu müssen, dass ihre Wohnung eng und billig genug ist. Bedürftige Familien können online einen Kinderzuschlag beantragen, den Notfall-KIZ, VermieterInnen dürfen ihren MieterInnen nicht wegen krisenbedingter Mietschulden kündigen.

Natürlich gibt es noch Verbesserungsbedarf – zum Beispiel dürfte sich der Regelsatz für Hartz-IV-EmpfängerInnen in Höhe von 432 Euro in Zeiten von Homeschooling und geschlossener Tafeln endgültig als zu niedrig erweisen. Dennoch: Die Politik hat gerade Sozialleistungen in nie dagewesener Einmütigkeit beschlossen. Jahrelang von linker Seite gestellte Forderungen, wie der Verzicht auf komplizierte Vermögensprüfungen bei Bedürftigen, werden plötzlich ohne Zucken durchgewunken. Selbst FDP-Chef Christian Lindner sieht nun „die Stunde des Staates“ gekommen. Kaum jemals war im Bundestag so viel von Solidarität und „Wir-Gefühl“ die Rede.

Wie viel diese hehren Worte Wert sind, wird sich erst zeigen, wenn die Pandemie unter Kontrolle ist und die Frage aufkommt, wer eigentlich die Rechnung bezahlt. Im Sinne der Solidarität müssen die Milliardenschulden, die der Finanzminister jetzt aufnimmt, auch gerecht geschultert werden. Steuern für Vermögende, Erben und Aktienspekulanten dürften im Sinne der Solidarität selbstverständlich sein. Mal sehen.

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18 Kommentare

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  • Der Sozialstaat ist ein scheues Wesen. Traut sich nur bei Dunkelheit verschämt aus dem Gebüsch.



    Wer ihn erhaschen will, der muß jetzt beherzt zupacken.



    Bei Sonnenaufgang verkrümelt er sich wieder - und ward nie mehr gesehn. Dann kommt wieder die Zeit von Rabenvater Staat.

  • Auch mitten in der Krise setzt die Bundesregierung die neoliberalen Privatisierungs- und Profit-Vorgaben der von ihr beauftragten Unternehmensberatung McKinsey eisern durch. Wohin das demnächst führen wird, sehen wir jetzt schon in Italien und Spanien, wo die Gesundheitssysteme längst kollabiert sind, während elitäre Privatkliniken jede Menge ungenutzte Kapazitäten haben.

  • Wenn VOR der Pandemie ein bedingungsloses Grundeinkommen, Entprivatisierung des Gesundheits- und Pflegesystems, Abschaffung von Hartz IV etc. beschlossen worden wäre, hätte wirklich von Restitution des Sozialstaates gesprochen werden können.

    Viele Maßnahmen kann man auch entideologisieren. Zuschüsse für Mieter könnten z.B. auch als Zuschüsse für Vermieter bezeichnet werden, denn deren Mieteinkünfte werden teilweise sozialisiert.

    Soeben erfahre ich, dass ein Freund, der als selbständiger Fotograf jetzt durch die Kontaktsperre seine Aufträge nicht erfüllen kann und somit KEIN Einkommen mehr hat, deshalb keine Unterstützung bekommt, weil die Bemessungsgrundlage dafür das Einkommen von März 2019 ist. Und da hatte er zufällig NULL Einkommen und somit in NRW keinen Anspruch.

  • Wie viele Staaten gibt es denn eigentlich, die einen höheren Anteil an Sozialausgaben am Gesamthaushalt hat als Deutschland? Nur gibt es eben für das Erlangen von Sozialleistungen berechtigterweise gewisse Regeln. Und selbst diese wurden jetzt von dem angeblich nicht vorhandenen Sozialstaat in einem Notfall aufgehoben. Meines Erachtens ist dieser Artikel eine ziemlich flache Analyse.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ob der Sozialstaat tatsächlich zurück ist, wird sich erst noch in der Praxis weisen müssen.

    Die vielen (Ankündigungs)Schwalben machen noch keinen sozialen Sommer.

    Deshalb gilt bis auf Widerruf:

    "Alles eine Frage des Blickwinkels" meinte der Frosch, ehe er vom Reiher gefressen wurde.

  • Mit Milliarden kann man sich nicht den A... wischen.



    Toilettenpapier-Rettungspakete wären nach knapp drei Wochen diesbezüglich leerer Regale echt ´ne gute Sache.

  • Ich hab es ausserdem schon in dem Artikel "Der blanke Hohn" erwähnt.

    Weshalb werden nicht Unkosten wie:



    Miete, Wasser, Strom, Kommunikation, Öffentlicher Nahverkehr,



    so um die 60-67% in dieser Krisenzeit,



    je nach Antragsteller, gesenkt?

  • Tja sieht bei mir anders aus....



    Muss seit Jahren wegen dieser Krise mal wieder einen Alg II Antrag stellen. Da wollen die ganz genau über meine Finaziellen verhältnisse bescheid wissen.



    Sogar am Telefon wurde ich, weil man das ja beschleunigen will, vorsorglich versucht Auszufragen!



    Es gab sogar die Schickane wie vor Jahren, auch mich von Amt zu Amt zu schicken.



    Desweitern sind die immer noch so unfähig und ich were von 3-4 verschieden ALG II Servicekräften mit den selben versuchten Fragen Angerufen!

  • Nichts wirklich dringendes wurde beschlossen:

    Offener Brief an den Krisenstab der Bundesregierung – Besorgnis über Lücken in der Versorgung www.aerztederwelt....ie-bundesregierung

    Ärzte der Welt fordert mit zahlreichen Verbänden Kostenübernahme für die Diagnostik und Behandlung von Covid-19 für alle Menschen ohne Krankenversicherung (bei Bedarf anonym), Verbot der Datenweitergabe an Ausländerbehörden, Bereitstellung von Wohnungen für Menschen in Quarantäne, die obdachlos sind oder in Massenunterkünften leben sowie zügige Bereitstellung mehrsprachiger Informationsmaterialien.

  • Geld, das ausgegeben wird, ohne vorher erarbeitet worden zu sein, sondern nur gedruckt wird, führt unweigerlich in die Inflation.

    • @Gambitus:

      Nah dann, definieren sie mal "erarbeitet".

    • @Gambitus:

      Unsinn. Das nennt sich Kredit. Kennt eigentlich jeder, Sie nicht?

      • @True at First Light:

        jeder kredit erhöht die Geldmenge -> inflation ^^

        • @clembus:

          Hallo,



          diese Theorie, dass die Geldmenge die Inflation beeinflusst, nennt sich Monetarismus (ich selbst habe das auch lange geglaubt). Sie spielte bei den Maastrichter Verträgen (1995) noch eine große Rolle, heute jedoch vertritt auf der ganzen Welt keine wichtige Zentralbank mehr diese Theorie, da sie durch empirische Daten widerlegt wurde. Inflation entsteht durch das Verhältnis von Produktivität und Lohnsteigerung. Die EZB flutet seit Jahren Europa mit gigantischen Geldmengen, dennoch hat Europa deflationäre Tendenzen. Heiner Flassbeck beispielsweise erklärt das in vielen Youtube-Videos sehr gut und nachvollziehbar.

        • @clembus:

          Oh Mann. Die spekulativen Unsummen, die an den Börsen hin- und hergeschoben werden, interessieren wohl nicht. Dieses Geld hat auch keiner verdient. Jetzt wird investiert, um Steuerzahler am Leben zu erhalten und das soll jetzt das Problem sein? So ein ärgerlicher Unsinn. Fresst doch Euren Neoliberalsimus, wenn Brot alle ist.

  • Gute Nachrichten, ich wollte sowieso aufhören zu arbeiten. ich ertrage den ganzen gesellschaftlichen Stress nicht mehr.

  • Fein fein, aber die Hartz IV Sätze müssen dringend erhöht werden, es sind ja kaum noch die billigsten Produkte zu bekommen.

  • Ja, man wundert sich, wie locker plötzlich das Geld sitzt. Allerdings werden die Sparmaßnahmen nach der Pandemie noch schlimmer als vor der Pandemie werden.