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Als Journalistin auf LesbosDie Wut der Insel

Seit 2018 lebt und arbeitet unsere Autorin auf Lesbos: für Geflüchtete seit Jahren ein rechtsfreier Raum. Allmählich auch für Journalistinnen.

Angriff auf einen Fotojournalisten am 1. März auf Lesbos. Eine Frau geht dazwischen Foto: reuters

Lesbos taz | Dieser Hass – zum ersten Mal sehe ich ihn an einem Dienstag Anfang Februar. Am Tag zuvor haben 2.000 Geflüchtete versucht, nach ­Mytilini zu gelangen, der Hauptstadt der Insel. Rund 200 von ihnen schaffen es. „Lesbos, we are sorry!“, rufen sie und halten Schilder hoch: „We need ­security!“

Sie werden von der Polizei eingekesselt. Ich stehe bei ein paar Fotografen und schaue mir die Szene aus der Entfernung an. Immer wenn der Chef der Polizeieinheit vor mir einen Schritt zurücktritt, trete auch ich zurück. Bis ich stehen bleibe. Er dreht sich um. In seinen Augen dieser blanke Hass. „Geh nach Hause!“, sagt er. „Wir brauchen dich hier nicht.“

Klar braucht er uns nicht. Die Polizei will die Menschen zurück ins Camp und aus dem öffentlichen Bewusstsein schaffen. Da braucht er keine Bilder von fallenden Menschen, von einer Polizei mit Schlagstöcken.

Seit jenem Tag im Februar fällt die Rechtsstaatlichkeit, die für die Geflüchteten auf den Ost­ägäischen Inseln schon vorher nicht galt, nun auch für Europäer in sich zusammen. Wut entlädt sich. Nicht einfach so, für den Hass braucht es Raster, die lange vorher festgelegt wurden. Von der Regierung in Athen, von den europäischen Staaten.

Die, die ihr Land verteidigen

Zwei Wochen ist es her, da versammelten sich Tausende Inselbewohner auf den Straßen rund um ein Feld im schroffen Nordosten. Die Regierung will dort Land konfiszieren für ein sogenanntes geschlossenes Camp, das sie bis zum Sommer bauen will. Bauern fällten Bäume, um der aus Athen entsandten Bereitschaftspolizei den Weg zu versperren. Unter den Demonstranten waren auch Studenten, Priester, die Kommunistische Partei, rechtsradikale Gruppen, Familien, Barbesitzer und Bäcker aus der Hafenstadt. Viele waren froh, dass wir berichteten, aber eine Frau spuckte uns aus ihrem Auto heraus an: „Medienpack!“, schrie sie.

Mit der Ankündigung der türkischen Regierung, die Grenzen zu Europa zu öffnen, kommen die internationalen Fernsehteams auf die Insel. Bei der Ankunft eines Bootes mit Geflüchteten schlagen Autotüren zu, Kameramänner blenden den Angekommenen im Morgengrauen ins Gesicht,

Journalisten halten kleinen Kindern, die zitternd am Strand stehen, ein Mikrofon hin. Die Sensation rennt, obwohl die Menschen schon seit Monaten ankommen.

Autovermietungen sind leer gebucht, Journalisten rasen in abgelegene Dörfer, Neonazis tarnen sich als Berichterstatter und interviewen Inselbewohner, um sie anschließend auf YouTube für PR-Kampagnen zu instrumentalisieren. In all der Aufmerksamkeit entlädt sich Gewalt auf der Insel.

Die, die uns angreifen

Vergangene Woche, auf einer Fahrt nach Moria, werde ich mit meinem Fotografenkollegen Julian Busch von etwa hundert Männern gestoppt. Die Gruppe läuft mit Schlagstöcken, Steinen und Motorradhelmen die Straße entlang. Drei Männer laufen rasch auf uns zu. Wieder dieser Hass in den Augen. Sie können nicht wissen, dass wir Journalisten sind. Sie halten uns für Helfer oder für jemand von „außen“. In ihren Augen sind wir dafür verantwortlich, dass die flüchtenden Menschen nach Europa kommen. Wir schaffen es unter den Würfen von Steinen und unter den Schlägen von Schlagstöcken, zu wenden und uns unversehrt in Sicherheit zu bringen.

Wir sind nicht die Einzigen, die angegriffen werden. Eine Woche zuvor wurde eine Helfergruppe aus dem Auto gezogen. Es gibt ein Video davon, wie die Angreifer die Fenster des Autos einschmeißen und die Türen fast rausreißen. Und auch eine Gruppe von Ärztinnen flüchtete sich vor einer Woche ins Lager von Moria, nachdem sie im Auto von einer Gruppe mit nagelgespickten Brettern angegriffen wurde. Die Polizei arbeitete erst am nächsten Tag wieder. Ruft man sie an, legen die Beamten manchmal einfach auf. Überfordert? Oder willentlich?

Wir werden am ­Krankenhauseingang abgewiesen, sagt eine junge Somalierin am Montagabend am Telefon

Rechtsextreme Gruppen patrouillieren in der Einkaufsstraße oder auf dem Weg zum Lager, Schlagstöcke und Steine in der Hand. Immer wieder stellen sich Inselbewohner ihnen bei Angriffen in den Weg. Jedoch immer weniger. Die Fischer, die 2015 Hunderte Menschen aus dem Wasser retteten, Restaurantbesitzer, die bis heute für die neu Angekommenen kochen, werden jetzt selbst von Nachbarn oder anderen Dorfbewohnern verbal angegriffen. Humanitäre Organisationen müssen ihre Arbeit einstellen.

Doch auch jene, die damals Tag und Nacht Hilfe leisteten, können die Frustration ihrer Mitmenschen hier verstehen: die Wut darüber, dass die Regierung Spezialeinheiten aus Athen schickt, um Land von Bauern zu konfiszieren.

Die, die verstummen – und die, die berichten

Vor einer Woche brannte die School of Peace, in der täglich 200 geflüchtete Kinder unterrichtet wurden. Sie befand sich auf dem Gelände eines Gemeinschaftszentrums namens One Happy Family: einer der wenigen Orte, wo Geflüchtete Fahrräder bauen, Yoga machen und Gemüse pflanzen konnten – wo sie als Handelnde und nicht als Schutzbedürftige gesehen wurden.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ich sehe den Rauch der Bücher, der Tafeln, das verkohlte bunte Dach. Wieder schlagen Autotüren, Fernsehteams kommen an, machen einen Aufsager, die humanitären Helfer, die hiergeblieben sind, stehen neben dem Rauch.

Viele Journalisten haben den Ort niemals voller Leben gesehen. Eine Helferin setzt sich in ihrer hellgelben Weste auf einen verkohlten Stuhl. Dem Ort ist die Luft ausgegangen. Wie uns allen.

Der Hass lässt die einen verstummen und die anderen berichten. In diesem Moment schaffe ich es nicht, jemanden zu interviewen. Ich kapituliere vor dem Ausmaß der Gewalt.

Und wessen Problem ist all das?

Am 1. März setzt die griechische Regierung das Asylrecht für einen Monat aus. Rund 600 Menschen, die in den letzten Tagen hier ankamen, wurden am Hafen isoliert und schließlich auf ein Militärschiff gebracht, das noch immer neben den Touristenfähren vor Anker liegt. Dort harren sie aus, bevor sie in ein völkerrechtswidriges Gefängnis auf dem Festland überstellt und dann abgeschoben werden sollen. Im Gegensatz zu den Geflüchteten können wir Journalisten uns um rechtliche und medizinische Beihilfe bemühen. Wir können uns an Medien und Gewerkschaften wenden, selbst wenn wir die griechische Polizei nicht erreichen können oder diese sogar unsere Arbeit erschwert.

Immer wieder kontrollieren Beamte Ausweise und nehmen Journalistinnen mit auf die ­Polizeistation. Als der Foto­journalist Michael Trammer von einer Gruppe Männer mit schweren Faustschlägen zu Boden geschlagen wird, schickt die Polizei zunächst keine Streife – sie sei „überlastet“.

Die meisten Journalisten haben die Ort nie voller Leben gesehen

In Moria wiederum kommen auf 20.000 Menschen drei Polizisten. „Wir werden am ­Krankenhauseingang abgewiesen“, sagt eine junge Somalierin am Montagabend am Telefon, „eine Frau stirbt hier am Tumor.“

Die letzten Tage schrieb ich in meiner Wohnung. Führte Interviews. Schlief wenig. Koordinierte und plante. Immer wieder erreichten mich Nachrichten von Verletzten, von Journalistinnen, die sich aus Brüssel oder Kanada nach der Sicherheitslage für die Berichterstattung erkundigten, von fassungslosen Freunden in Deutschland, von Vertrauten, die sich in Athen in Sicherheit bringen mussten.

Der Weg zum Café, wo ich sonst schreibe, wird zur inneren Hetzjagd. Warum setzten sich zwei Männer direkt hinter mich, obwohl alle Tische frei sind? Wenn jemand auf den Boden spuckt, schlägt er dann auch? Hass verunsichert, er kann einen von überall treffen. Lesbos bleibt mein Zuhause. Diese Spirale der Rechtlosigkeit und Gewalt gegen die Schutzbedürftigsten ist kein Inselproblem. Es ist ein europäisches.

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21 Kommentare

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  • Man stelle es sich mal vor , es wären Linksradikale, die wie G20 in HH, die Straßensperren errichten, Häuser in Brand setzten, Menschen bedrohen und angreifen, Athen hätte längst viele Einheiten auf die Insel verlegt, um dort wieder Recht und Ordnung herzustellen. Leider ist es so, daß nicht nur in Athen, sondern auch hierzulande, bei Rechtsextremen, weg geschaut wird von den Behörden.

    • @Britta68:

      fast richtig. Abgesehen davon, dass die verbale und tätliche Gewalt gegen Menschen in Hamburg zu ungefähr 95% von den unformierten Schlägertruppen der stetig nach rechts wegrutschenden Mitte-Extremisten ausging...

      • @Rowena Ravenclaw:

        "von den unformierten Schlägertruppen der stetig nach rechts wegrutschenden Mitte-Extremisten ausging..."

        Das ist doch nur die altbekannte pseudolinke Hufeisentheorie-Leierei

  • Mit solchen Zuständen von Willkür und Anarchie macht sich Griechenland, die Inseln, den Tourismus auf lange Zeit selbst kaputt. Ich mag Kreta, Lesbos, all die griech. Inseln, auf denen ich schon war, aber an solchen Orten kann ich keinen Urlaub mehr machen, schon aus Respekt vor den Flüchtlingen.

    • @Britta68:

      Anarchie? Wo?

      • @dada:

        Wenn Rechtsextreme Bürgerwehren bilden oder gar paramilitärische Einheiten, um Selbstjustiz zu üben und physische xenophobe Gewalt gegen unliebsame Fremde anzuwenden und meinen damit "das Gesetz" in die eigene Hand zu nehmen, ist das eine Form von Anarchie, weil Selbstjustiz gegen den Rechtsstaat mit seiner Gewaltenteilung verstößt und dessen Autorität in Frage stellt.

        • @Anonymer-User:

          'An-Archos', aus dem Griechischen sinngemäss übersetzt als 'ohne Herrschaft'. Nicht 'ohne Rechtsstaat' oder 'ohne Gesetze'. Nicht vergessen: Die Herrschaft des Stärkeren ist ebenfalls eine Herrschaft.

          • @Rowena Ravenclaw:

            "Das griechische Wort "anarchos" bedeutet übersetzt so viel wie "Herrschaftslosigkeit" oder "Gesetzlosigkeit". Eine Gesellschaft, in der Anarchie herrscht, ist eine Gesellschaft, in der niemand das Sagen hat. Hier gibt es keine staatliche Gewalt und keine gewählten Volksvertreter in einem Parlament. Es gibt auch keine Monarchie oder irgendeine sonstige Herrschaftsform."

            Anarchie bedeutet also nicht nur Herrschaftslosigkeit ohne übergeordnete Autorität(en) wie Sie behaupten, sondern sehr wohl auch Gesetzlosigkeit und damit einen Staat ohne Gesetzeshüter wie die Polizei oder Gefängnisse, d.h. jede(r) kann machen was er/sie will ohne Konsequenzen, bzw. Bestrafungen fürchten zu müssen; das kann nur in Chaos und Gewalt enden, weil dann jede(r) der/die will, Selbstzjustiz und Rache üben kann, in der Form und Härte wie er/sie es für angemessen hält ohne dass eine staatliche Ordnungsmacht sie davon abhält oder sie dafür bestraft. Es entfällt somit Repression als auch Prävention.

            Auch wenn das Ziel der Anarchisten an sich zunächst ehrenwehrt und erstrebenswert erscheint "die totale Freiheit des Menschen", so ist es real gesehen leider nur eine Utopie, so wie der theoretische Kommunismus "alle sind gleich und gleichwertig und sollen das gleiche verdienen", weil der Mensch generell (mit Ausnahmen) naturgemäß eher gierig, egoistisch, neidisch, missgünstig und streitsüchtig ist und eben nicht selbstlos, barmherzig, altruistisch, bescheiden und friedfertig ist.

            Der Egalitarismus ist die politische Herrschaftsform die ich favorisiere und für richtig und erstrebenswert halte. Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern (real gelebter Feminismus) und Ethnien, aber mit einer sozialliberalen gütigen Herrrschaftsform die niemanden bevorzugt oder benachteiligt und mit angemessenen Bestrafungen ohne Todesstrafe oder Folter.

            Quelle: Auszug von der Bundeszentrale für politische Bildung: www.bpb.de/nachsch...on/160812/anarchie

      • @dada:

        Sie meint bestimmt Anomie. Das wird doch immer wieder verwechselt.

  • Danke für diesen Beericht. Und danke, dass Sie vor Ort sind für uns.

    "Diese Spirale der Rechtlosigkeit und Gewalt gegen die Schutzbedürftigsten ist kein Inselproblem. Es ist ein europäisches"

    Wie bitter. Und wie wahr.

    • @tomás zerolo:

      Richtig. Wann beendet Putin die Bombardierungen in Syrien?! Ich gewinne immer mehr den Eindruck, dass er Europa mit dem Leid der Flüchtlinge in die rechte Ecke treiben will.

  • Unfassbar Widerlich Abscheulich

  • Ich kann die Inselbewohner verstehen. Deren Lebensqualität hat stark gelitten.

  • Das ist menschengemachter Journalismus, danke! Auch wenn es noch so wünschens- und kämpfenswert ist, dass es ihm gar nicht bedürfe.

  • Was wohl in einer deutschen Region in der Größe von Lesbos so alles geschen würde, besonders jetzt unter Einfluß des Corona Virus? Nicht auszudenken.



    Habe ja die Widerstände der hilfsbereiten Menschen erlebt, wenn ihnen eine Flüchtlingsunterkunft vor ihr Eigenheim gesetzt wurde. Das war Alltagsrassismus in Reinform. Da kam selbst die AfD nicht mehr mit.

  • Oh mein Gott, das ist alles so entsetzlich. Derartige Krisen bringen bei vielen Menschen das Schlechteste hervor. Ich bete für Ihre und die Sicherheit aller Menschen.

  • ein sehr emotionaler Bericht, der das Wichtigste auf den Punkt bringt:



    Journalisten halten kleinen Kindern, die zitternd am Strand stehen, ein Mikrofon hin.



    Dann bekommen wir in der Tagesschau die Wucht der Bilder und der Sprache - kleine zitternde Kinder am Strand - zu sehen.

    • @schoenerrhein:

      Klar ist die Berichterstattung teils geschmacklos und zynisch.



      Die realen Gegebenheiten sind dies aber um ein vielfaches.

      Ich verstehe daher Deinen Punkt nicht ganz.

    • @schoenerrhein:

      Wichtiger als rechte Schlägertrupps die Selbstjustiz betreiben? Seltsame Gewichtung der Ereignisse. Natürlich ist das kein sauberer Journalismus, aber dort passieren wahrlich krassere Dinge.

    • @schoenerrhein:

      Der Zynismus der Medienmenschen ist nicht so groß wie der Zynismus von uns, die wir lieber wegsehen.

    • @schoenerrhein:

      Klar, das ist das Wichtigste.

      Nicht die Nazis, die Journalisten, Ärzte, Helfer und Flüchtlinge angreifen in einem offensichtlich rechtsfreien Raum.