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US-Sanktionen wegen Nord Stream 2Vorgeschobene Bedenken

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Die Bedenken der USA wegen der Gaspipeline Nord Stream 2 sind nicht stichhaltig. Tatsächlich will die Trump-Administration nur Fracking-Gas verkaufen.

Schweißarbeiten an der Pipeline Nord Stream 2 in der Region von Leningrad Foto: reuters

E s gibt zahlreiche sehr berechtigte Einwände gegen die bereits seit 2011 in Betrieb befindliche Ostsee­pipeline Nord Stream von Russland nach Deutschland und die jetzt kurz vor ihrer Fertigstellung mit Sanktionen der US-Regierung belegte parallele Gasleitung Nord Stream 2.

Am wichtigsten sind die ökologischen, klima- und energiepolitischen Bedenken. Der Gasverbrauch in Deutschland geht wegen des Ausbaus erneuerbarer Energien bereits seit 2008 kontinuierlich zurück und müsste bis 2050 um fast 75 Prozent sinken, wenn die klimapolitischen Ziele bis dahin erreicht werden sollen, die die Bundesregierung beschlossen und im Abkommen von Paris verbindlich zugesagt hat.

Doch das sind nicht die Motive für die Sanktionen der Trump-Adminis­tration. Sie bietet den Europäern ja sogar Gas aus dem ökologisch und klimapolitisch noch viel bedenklicheren Fracking-Verfahren an, vorgeblich um sie vor einer angeblich drohenden einseitigen Abhängigkeit und Erpressbarkeit durch Russland zu schützen.

Diese Sorge ist allerdings unbegründet, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in einer Studie vom Juli 2018 festgestellt hat. Die Erdgasversorgung in Europa ist so diversifiziert, dass das bestehende Versorgungssystem ohne Nord Stream 2 krisenfest ist. Sogar ein vollständiger Wegfall russischer Erdgaslieferungen in Deutschland und in Europa könnte durch andere Bezugsquellen und mehr Effizienz kompensiert werden.

Doch selbst wenn die Gefahr einer energiepolitischen Erpressbarkeit Europas durch Moskau bestehen würde: Darüber zu befinden ist allein Sache der europäischen Staaten. Daher sind die Sanktionen der USA „ein schwerer Eingriff in die inneren Angelegenheiten Deutschlands und Europas“, wie Vizekanzler Olaf Scholz zu Recht festgestellt hat. Mit ihrem zugleich erklärten Verzicht auf Gegenmaßnahmen signalisiert die Bundesregierung der Trump-Regierung allerdings, dass sie ihre Praxis des wirtschafts- und handelspolitischen Faustrechts ungestraft fortsetzen kann.

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Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
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13 Kommentare

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  • Ich begrüße die Sanktionen. Nord Stream 2 ist kein deutsches Projekt. Die Nord Stream AG ist eine Schweizer Firma, die von der Gazprom kontrolliert wird und die Gazprom ein Unternehmen, das vom russischen Staat kontrolliert wird. Warum regen wir uns also über die Sanktionen auf?



    Das Projekt war von Anfang an ökonomisch und ökologisch ein rechter Quatsch.



    Ökonomisch: die russische Sberbank hat vorgerechnet, dass NS 2 nicht in der Lage ist auch nur seine Kapitalkosten reinzuverdienen. Warum baut man eine Pipeline die sich nicht rechnet?



    Ökologisch: wenn Pipeline, dann hätte man die besser über Land gebaut. Wollte man aber nicht. Zudem sind die meisten der Auffassung, dass Pipelinegas sauber sei. Das Gegenteil ist der Fall. Ab 2.500 Kilometer Distanz ist LNG sauberer. Alle 100 bis 150 Kilometer braucht es eine Verdichterstation. Dieses sind kleine Kraftwerke mit 6 bis 20 MW Leistung, die das Gas immer wieder komprimieren müssen, damit es überhaupt durch die Leitung fließt. Der CO2 Ausstoß dieser Verdichter ist gewaltig. Hinzu kommen die Leckagen im russischen Leitungsnetz. Ein Großteil der Leitungen ist nicht dicht. Interessiert erstaunlicherweise niemand. Wenn es dennoch interessiert: de.wikipedia.org/w...he_in_Westsibirien



    Greenpeace hat oftmals auf die verheerenden Förderzustände in Russland hingewiesen. Interessiert merkwürdigerweise keinen Menschen. Stattdessen bekommen wird die ganze Zeit das Märchen vom umweltfreundlichen Gas aus Russland zu hören.



    Zur Erinnerung: Freiheit, Sicherheit, Wohlstand verdanken wir unseren Verbündeten, nicht Russland.



    Während bei Entwicklungsprojekten Umweltschutzmaßnahmen eine Conditio sine qua non geworden sind, spielen diese im Russlandgeschäft genau keine Rolle. Ökoaktivisten schenkt man dort nicht Gehör, sondern steckt sie ins Gefängnis.

    Kommentar gekürzt. Bitte bleiben Sie sachlich.



    Die Moderation

  • NS2 ist schon deshalb wichtig, weil es keine wirklich seriöse Berechnung gibt, die die Frage beantwortet, ob und wie nach Beendigung der Kohleverstromung und der Abschaltung der restlichen AKW die regenerative Energieversorgung in der Lage ist, ohne Reservekraftwerke auf der Basis von Erdgas auszukommen.



    Da scheinen mir noch zu viele Milchmädchenrechnungen die realen Möglichkeiten zu vernebeln.

  • Die Russen sind unsere Nachbarn. Es ist immer gut, wenn die Nachbarn genug Geld zum Leben haben. Also ist es gut wenn wir dort Gas kaufen. Es sind die Russen, die sich sehr stark an Deutschland und die EU binden.

    In Russland ist vieles schlecht. Aber es ist leider wahr dass: Die meisten Russen mehr Essen und mehr Freiheit haben als es dort jemals üblich war.

  • Am elegantesten kann man sich den strategischen Reibereien mit in der EU erzeugter erneuerbaren Energie entziehen. An der Technik liegt es nicht mehr. Also warum noch in Frackinggas oder Pipelinegas Mrd versenken, wenn es in den nächsten 20 Jahren eh auf erneuerbare Energie rausläuft. Oder hat die Bundesregierung das Fernziel regenerativen Wasserstoff nach Russland via NS2 zu exportieren? :-)

  • Die Trump-Administration ist gegen Nord Stream 2 weil sie uns selber fracking-Gas verkaufen wollen?

    Ach. Ich bin überrascht!

    Trotzdem. Eigentlich wurscht. Mein Vorschlag? NS2 canceln. Kein Gas von den USA kaufen.

    Das ängstliche Gewimmere "aber... aber... ohne Gas gehen wir doch ein" einfach ignorieren. Wird eh' nur von der Lobby gesät.

  • Erstmal vielen Dank für den sachlichen Beitrag. Nur: was soll Deutschland denn nach Ansicht von Herrn Zumach gegen das imperiale Gehabe der USA machen? Den NATO-Beitrag kürzen? Zölle auf I-Phones erheben? Fasten für den Frieden?

  • Einer hat mal gesagt: Wichtig ist, was hinten herauskommt. Also sollten wir uns erst in zweiter Linie mit der Motivation der USA beschäftigen. Im Artikel werden als Argumente gegen die Pipeline genannt: Ökologische, klima- und energiepolitische Bedenken. Die Argumente dafür sind korrekt und wichtig. Aber mir fehlen noch andere, mindestens ebenso wichtige Punkte.

    Warum wohl wurden gegen Russland Sanktionen verhängt? Weil das Regime wie das eines schlimmen Despoten handelt. Eben weil Putin markant gegen Menschen- und Völkerrecht im In- und Ausland verstoßen hat! Es ist hier nicht der Raum u alle diese Verbrechen aufzuzählen. Wenn aber Deutschland gegen diese Sanktionen arbeitet, dann stellt es sich auf die Seite des Unrechts und wird zum Spießgesellen Putins und seiner Taten.

    Deutschland und Europa wollen die materiell sehr arme Ukraine auf ihrem Weg in die Demokratie unterstützen. Sie ist abhängig von den Gebühren für den Transit des Gases. Mit North Stream wird die Ukraine geschwächt. Gleiches gilt für die anderen Transitländer! Ohne Probleme könnte die Kapazität der vorhandenen Leitungen vergrößert werden Aber das ist gegen das Interesse Putins.

    Im Endeffekt wird die Abhängigkeit von russischem Gas doch vergrößert - trotz entgegengesetzter Behauptungen im Artikel. Und Putin und wahrscheinliche Nachfolger werden nicht zögern, es gegen Europa und die NATO einzusetzen. Und immerhin ist Russland ein wichtiges Land, gegen das die Länder der NATO meinen, sich eventuell verteidigen zu müssen. Wie Russland gegen Länder, die früher in der CCCP waren, vorgeht, hat es in Georgien, Moldawien und der Ukraine gezeigt.

    • @fvaderno:

      Jedes Ihrer Worte kann man nur mit Nachdruck unterstreichen. Jedes ist richtig und keines falsch.



      Was die Russlandversteher auszeichnet ist, dass sie herzlich wenig von Russland und dem dort herrschenden System verstehen und alles bewusst ausblenden, was nicht auf einer Linie mit Putins Politik liegt. Opfer sind in erster Linie die Russen, deren Löhne stagnieren, die schauen dürfen wie sie über die Runden kommen, während bei uns vielen nichts Besseres einfällt als die Kleptokraten im Kreml zu unterstützen. Es gibt kaum ein Land auf dieser Erde wo so wenige so viel, und so viele so wenig haben wie in Russland, bei steigender Tendenz ins Negative.

    • @fvaderno:

      Die Gründe sind geostrategischer und nicht humanistischer Natur. Ansonsten wären die USA eines der ersten Länder, das sanktioniert würde. Die Beziehungen zu Saudi-Arabien sind ein ebenfalls gutes Beispiel dafür, dass humanistische Bedenken kaum eine Rolle in der Geopolitik spielen.



      Zwischen zwei Übeln und dem eigenen Gestank muss man sich nicht bedrängt fühlen, irgendetwas anders als Gestank zu benennen.



      Weder die USA, noch die EU, noch Russland oder sonst eine nationale Fraktion denkt und handelt auf Basis der Überlegungen der Aufklärung.

  • Nachdem Geldgeber Milliarden wegen Verlusten im Fracking abgeschrieben haben, befürchten Pessimisten, dass die notwendigen Investoren nicht mehr gewonnen werde können, und dass Fracking in eine Abwärtsspirale gerät. LPG als Beiprodukt wäre damit deutlich unsicherer als russisches Gas.

  • 0G
    07954 (Profil gelöscht)

    Wenn Braunkohle Steinkohle, Heizöl und Atomkraft komplett ersetzt sind, dann erst darf man auf Erdgas verzichten, wenn denn die Erneuerbaren erstere jemals komplett ersetzen können. Denn die Erneuerbaren benötigen Faktor 6-7 an Kapazität im Vergleich zu den Konventionellen.

    • @07954 (Profil gelöscht):

      Wenn man den Bergbau und den Tagebau, die Bohrung nach Öl und die Lagerung von strahlenden Elementen ausblendet, dann kommt man vielleicht auf das Ergebnis.