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Hamburger Senat verspricht VerkehrswendeBus bald so gut wie das Auto

Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) will, dass Bus und Bahn in zehn Jahren genauso sicher, komfortabel und flexibel sind wie das Auto.

Zukunft des Nahverkehrs: Neben der U-Bahnstation Elbbrücken wird am Sonntag ein S-Bahnhof eröffnet Foto: dpa

Hamburg taz | Peter Tschentscher (SPD) will Platz auf Hamburgs Straßen schaffen. „Das System ist grenzwertig ausgelastet“, sagt der Erste Bürgermeister. Am Mittwoch hat er deshalb die Vision des rot-grünen Senats für eine Verkehrswende innerhalb des kommenden Jahrzehnts vorgestellt. Neben dem bereits geltenden Bündnis für den Radverkehr setzt diese Vision auf einen massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.

Der versprochene „Hamburg Takt“ werde dazu führen, „dass in Hamburg niemand mehr auf Fahrpläne achten muss, sondern dass man überall spontan, flexibel und ohne Wartezeit unterwegs sein kann“, sagte ­Tschentscher. Durch ein verbessertes Angebot sollen 2030 anderthalbmal so viele Leute mit Bus und Bahn fahren wie heute. Der Anteil der Wege, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden, soll von 22 auf 30 Prozent steigen.

Um das zu erreichen, will der Senat die Buslinien neu kategorisieren. X-Press-Busse, die nur an wenigen Stellen halten, sollen Tangentialverbindungen herstellen, wie heute schon zwischen Bergedorf und Harburg.

Neben dem bereits existierenden Metro- und Stadtbus soll es zudem kleine Quartiersbusse für die Feinverteilung geben, sodass kein Hamburger mehr als fünf Minuten zur nächsten Haltestelle gehen muss. Für die quasi letzte Meile nach Hause sollen diese Busse flexibel auf Bestellung fahren. Der Takt der Metrobusse soll auf fünf Minuten verdichtet werden.

750 neue, emissionsfreie Busse

Hochbahn und VHH werden dafür ihren Busbestand von heute 1.500 um 750 – emissionsfreie – Fahrzeuge aufstocken müssen. Es soll neue Buslinien mit insgesamt 600 Haltestellen geben. Für Finkenwerder soll es vier neue Fähren geben. Der Verkehr soll dort ebenfalls dichter getaktet werden.

Stadtverkehr

Eine Veränderung des Verkehrsmittel-Mixes dient dem Klimaschutz und der Lebensqualität der Stadtbewohner.

Die Hamburger legen nach einer Untersuchung von Infas pro Tag durchschnittlich 3,2 Wege von 38 Kilometern Länge zurück, wobei sie 93 Minuten unterwegs sind.

Ihre Wege legten sie 2017 zu 36 Prozent mit dem Auto zurück, wobei zehn Prozentpunkte Mitfahrern zuzurechnen sind, zu 22 Prozent mit Bus und Bahn, zu 15 Prozent mit dem Rad, und zu 27 Prozent zu Fuß.

Rückgrat des Verkehrssystems seien jedoch die U- und S-Bahnen: Mit neuen Strecken wie der U5 und S4, Streckenverlängerung wie bei der U4, dichteren Takten durch bessere Elektronik und neuen Bahnhöfen auf bestehenden Strecken wie einem S-Bahnhof in Ottensen soll auch das Bahnfahren attraktiver werden.

Des Bürgermeisters Logik dahinter: Wenn der Straßenraum ohnehin schon ausgelastet ist, muss das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs unter die Erde. Für eine Stadtbahn, wie sie von den Grünen gewünscht wird, sei es gerade dort, wo sie gebraucht werde, zu eng. Außerdem sei ein modernes Bussystem fast so leistungsfähig wie eine solche Straßenbahn.

Gegen das Argument, die Busse stünden im Stau, setzte Tschentscher auf kleinteilige Maßnahmen wie eine Busvorrangschaltung hier, eine kurze Busspur dort und im übrigen auf das Prinzip Hoffnung: Je mehr Leute auf Busse und Bahnen umsteigen, desto mehr Platz gebe es auf den Straßen.

Die großen Investitionen in Busse und Bahnen rechtfertigte Tschentscher damit, dass das Fahrrad bei Strecken von mehr als fünf Kilometern nur noch von wenigen genutzt werde. Zwar sollen die Hamburger perspektivisch 25 Prozent ihrer Wege mit dem Rad zurücklegen. Trotzdem konnte sich Tschentscher einen Spruch nicht verkneifen: „Allein auf Radwegen kommen wir nicht ins 21. Jahrhundert.“

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12 Kommentare

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  • Es bleibt dabei, SPD und moderne Verkehrspolitik – zwei Welten prallen aufeinander. Mit diesem Satz ist eigentlich alles gesagt und es macht eh keinen Sinn in die Detail zu gehen.

  • Es wird oft so getan, als ob die ganzen Autos nur zum Spaß unterwegs wären. Ich möchte behaupten, daß fast alle Autos beruflich unterwegs sind und wie eine Krankenschwester um drei morgens von Oranienburg ins Krankenhaus in Neukölln ohne Auto kommen soll, wäre auch noch zu klären.

    • @Thomas Schöffel:

      Ich kenne viele, die das Auto in der Stadt aus Bequemlichkeit für den Weg zur Arbeit benutzen, obwohl es gute Öpnv Alternativen gibt. Das Jammern über Stau gehört dazu. Persönliche Schätzung: 40% der Fahrten in Großstädten anders zurückgelegt werden könnten.



      Dazu kommen noch die vielen Dienstwagen, die für fast nichts vom Mitarbeiter benutzt werden können, inkl kostenfreien Kraftstoff.

    • 9G
      90118 (Profil gelöscht)
      @Thomas Schöffel:

      die politik muss in die pflicht genommen werden, öpnv-lösungen vorantreiben zu lassen, die sämtliche erforderlichen wege ermöglichen.

    • @Thomas Schöffel:

      heißt "beruflich" bei ihnen "im MIV zur Arbeit", oder das Kfz tatsächlich als Arbeitsmittel nutzen?

      Dass die Krankenschwester nachts eine schlechte Verbindung zur Arbeit hat, ist natürlich tragisch, aber kann durch eine Taktung der Nachtbusse/bahnen ja evtl auch verbessert werden - Der Unterschied mit Kfz und ÖPNV beträgt laut Google 12 Minuten bei über 1h Fahrtzeit. Muss dann jeder für sich ausmachen, ob die 12 Minuten der showstopper sind - man kann die Zeit ja effektiver nutzen, als wenn man das Lenkrad festhalten muss.

      Und wenn Sie meinen, dass das in Berlin nicht klappt, dann lassen Sie es uns bitte in Hamburg versuchen. Zu den STOSSZEITEN lässt sich da bestimmt was machen und es gibt bestimmt genug Leute, die man mal zur Benutzung des ÖPNV animieren kann, wenn Taktung und Verbindungen besser werden. Eine Überarbeitung der Preise ist anscheinend leider nicht angedacht, das würde bestimmt zusätzlichen Schub geben..

      Es nervt mega, wenn immer die gleiche Berliner Krankenschwester dafür herhalten soll, dass das mit der in D Verkehrswende (besonders im städtischen Bereich) so nicht klappen kann. Hält diese Krankenschwester eigentlich für Sie her, damit sie weiterhin ihre 500m mit dem Kfz zum Bäcker fahren können - für Sie selbst scheint es ja zum Glück keine Gegenargumente zum ÖPNV zu geben, sonst hätten Sie ja als Paradegegenbeispiel herhalten können..?

      Und wenn sie sich die Zahlen mal genau ansehen: ÖPNV soll auf 30% im Modalsplit gehen, Rad auf 25%, Fußgänger bleibt gleich - da bleiben also tatsächlich noch ein paar Prozentpunkte damit einige weiterhin das geliebte Auto über die Strasse schubsen dürfen.

    • @Thomas Schöffel:

      Ihre Kenntnisse Hamburger Stadtteile sind phänomenal :D

      • @Ruediger:

        Ich hätte auch sagen können, wie man denn aus Leezen oder Sülfeld zum Eppendorfer Krankenhaus kommt. Und diesen Vergleich konnten Sie nun nicht erkennen?

  • „Allein auf Radwegen kommen wir nicht ins 21. Jahrhundert.“

    Das hat Peter Tschentscher (SPD) gut erkannt.

    • @Ricky-13:

      Die Frage ist nur, wer das behauptet hat.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    guter witz:



    "Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) will, dass Bus und Bahn in zehn Jahren genauso sicher, komfortabel und flexibel sind wie das Auto."



    im ernst? genau so sicher, vielleicht durch ein paar zusätzliche eisenbahn- und busunglücke, damit endlich die autoverkehrstotenzahlen erreicht werden.



    hat er dies wirklich so gesagt, hand aufs herz, herr knödler?

    • @90118 (Profil gelöscht):

      Gratuliere zu dieser Beobachtung!

      Auch auf der anderen Seite ist das offensichtlich nur Gequatsche; das Auto wird immer bei der Flexibilität vorn liegen.



      Wenn also unerreichbare (bzw bei der Sicherheit unerwünschte) Ziele vorgegeben werden, ist es mit der Glaubwürdigkeit, dass die Ziele ernsthaft verfolgt werden, auch nicht weit her.

      • @meerwind7:

        Das Auto mag ein flexibles Fortbewegungsmittel sein, zerstört aber anscheinend die Flexibilität im Geiste. Wie Erhart Kästner schon sagte: "Mit dem Auto ist die Kunst des Ankommens verloren gegangen".

        Ich finde das Kfz als Verkehrsmittel in der Stadt so zeitraubend, platzraubend und fehl am Platz, dass ich es schon lange gegen Monatskarte und Fahrrad eingetauscht habe.. Also freue ich mich, wenn man mir einen besser getakteten ÖPNV mit mehr Verbindungen zur Verfügung stellen möchte, der meinen langen Wunsch nach dem Gang zur Haltestelle, ohne die Abfahrszeiten prüfen zu müssen, erfüllt (Mache ich eh nicht, auf den Fahrplan gucken, weil ich es immer verpeile, aber dann muss ich mich nicht über mich selbst ärgern wenn ich 20 Minuten auf das Verkehrsmittel warten muss :) )