Kostenlose City-Zone in Augsburg: Vorbildlicher Verkehr
Augsburg hat seinen Nahverkehr so umgebaut, dass das Modell als Vorbild für andere Kommunen dient. Ein teures Geschenk für die BürgerInnen.
Augsburg taz | Die Zeitenwende macht in Augsburg nur dezent auf sich aufmerksam. „Kostenlose City-Zone“ steht auf einem in Folie gepacktes Din-A4-Blatt an einer der Säulen der Haltestelle am Verkehrsknotenpunkt Königsplatz. Dort hängt auch ein Übersichtsplan mit allen Haltestellen der neuen Gratiszone. Auf den Trambahnen weisen kleine grüne Quadrate auf „100% Ökostrom“ hin, und auf den Bussen stehen Sprüche wie „Emission: impossible. CO2-neutral dank 100 % Biogas“ oder „Bitte fahren Sie weiter! Hier gibt es nichts zu riechen“.
Mit der kostenlosen City-Zone hat Augsburg und der örtliche Verkehrsverbund AVV seinen Bürgern und Besuchern zu Beginn des Jahres ein 860.000 Euro teures Geschenk gemacht. Die Zone umfasst neun von 281 Haltestellen. Strecken von bis zu drei Stationen kann man nun im Innersten der Innenstadt umsonst mit Bus oder Tram zurücklegen – beispielsweise vom Hauptbahnhof bis zum Ulrichplatz oder vom Theodor-Heuss-Platz bis zum Staatstheater.
Ein Meilenstein auf dem Weg in die Zukunft des Öffentlichen Personennahverkehrs? Oder doch nur ein bisschen Werbung für die Stadt?
„Mit der City-Zone gehen wir einen wichtigen Schritt in Richtung Luftreinhaltung in Augsburg“, sagte Eva Weber bei der Einführung. Den Parksuchverkehr werde man verringern, die Innenstadt für Besucher attraktiver machen und den Einzelhandel stärken. Muss sie ja alles sagen. Die CSU-Frau steht mitten im Wahlkampf. Noch ist sie zweite Bürgermeisterin, aber am 15. März will sie Oberbürgermeisterin werden.
Auch Walter Casazza lobt die neue Zone als „sympathische Einladung an alle hartgesottenen Autofahrer, auch mal den öffentlichen Verkehr zu nutzen“. Auch für Touristen sei die City-Zone attraktiv, sie könnten nun vom Hauptbahnhof kostenlos in die Innenstadt fahren. Und viele Fahrgäste, die in die Innenstadt fahren, könnten nun die günstigere Kurzstrecke benutzen, weil sie die letzten ein, zwei Stationen ihrer Fahrt nicht mitzählen müssten. Casazza ist der Chef der Augsburger Stadtwerke, die City-Zone ist sein Baby. Die Idee hat er sich von den Grazern abgeschaut, die schon seit Jahren umsonst mit der Straßenbahn durch die Innenstadt fahren. Welchen Effekt die City-Zone tatsächlich habe, werde man erst nach einer Langzeitbeobachtung sagen können. „Aber natürlich habe ich die Hoffnung, dass die Fahrgastzahlen steigen“, sagt Casazza.
Jetzt sucht er erstmal einen Parkplatz. Casazza sitzt in einem BMW i3. Elektrisch und geräuschlos fährt er durch die Augsburger Innenstadt. „Hier gibt’s ja gar keine Parkplätze“, stellt er nüchtern fest. Klar, das ist der Vorführeffekt. „Sofort einsteigen, überall abstellen“, steht auf der Autotür. Aber natürlich will Casazza ohnehin nicht die Vorzüge des Autofahrens in der Stadt demonstrieren, sondern eine weitere Besonderheit in Augsburg vorführen. Denn hier haben die Stadtwerke ein eigenes Carsharing-Angebot aufgebaut. Und seit November bieten sie eine sogenannte Mobil-Flat an. Sie beinhaltet die Nutzung von Bus, Tram, Leihfahrrädern und Carsharing-Autos. „Dann fahren wir mal Richtung Rosenaustraße. Da können wir in die Linie drei steigen.“
Eine autofreie Stadt ist nicht möglich. Oder?
Kurz vor der morgendlichen Spritztour hat Casazza in einem schmucklosen Konferenzraum der Stadtwerke bei Tee und Butterbrezeln erklärt, was das öffentliche Verkehrsangebot in Augsburg so besonders macht. Vom sechsten Stock aus blickt Casazza hier über die Stadt.
Schon sein Vater war Straßenbahnfahrer, erzählt der 57-jährige Mann aus Tirol. Großvater und Onkel seien bei der Eisenbahn gewesen. „Als kleiner Stöpsel durfte ich mal auf dem Schoß meines Vaters selber die Wendeschleife fahren. Mit Handkurbel. Das war natürlich das Größte. Und vielleicht hat es ja meinen weiteren Weg beeinflusst.“ Seit 2014 ist Casazza in Augsburg, davor hat er die Verkehrsbetriebe in Karlsruhe geleitet. „Wir wollen die Menschen in der Stadt in die Lage versetzen, dass sie kein eigenes Auto brauchen“, sagt Casazza. „Da ist eine Kombination aus Straßenbahn und Bus einerseits sowie Leihfahrrad und Carsharing andererseits eine gute Antwort.“ Das Rückgrat sei dabei aber immer der leistungsfähige Öffentliche Nahverkehr.
Eine autofreie Stadt werde zwar nicht möglich sein, weil es zu viele Pendler gebe, die nur ganz schwer öffentliche Verkehrsmittel nützen könnten. Deshalb werde es immer einen Mix von Individual- und Öffentlichem Verkehr geben. „Aber ich möchte halt den Schieberegler in Richtung Öffentlicher Verkehr bewegen. Viele werden nicht ganz aufs eigene Auto verzichten, aber vielleicht auf den Zweit- oder Drittwagen.“
In Sachen Mobilflat hatten die Stadtwerke dabei einen Startvorteil, da sie schon vor Jahren begonnen hatten, ein eigenes Carsharing zu entwickeln, ganz ohne Partner. Aktuell besteht die Flotte aus 200 Fahrzeugen, gegen Ende des Jahres sollen es 250 sein. 2500 Kunden nutzen das Angebot intensiv. „Jedes unserer Carsharing-Fahrzeuge ist am Tag durchschnittlich acht Stunden unterwegs“, erzählt Casazza. „Der Privat-Pkw dagegen ist ja mehr Stehzeug.“ Außerdem stelle man den Kunden Leihbikes zur Verfügung.
„Da war die Idee naheliegend, diese drei Produkte zu kombinieren, so dass man für jede seiner Fahrten das am besten geeignete Fortbewegungsmittel wählen kann, das Minicooper-Cabrio zum Beispiel für den Ausflug an den Ammersee, das Fahrrad für die kleine Besorgung im eigenen Stadtteil und die Straßenbahn für den Weg zur Arbeit.“
Die Mobilflat gibt es in zwei Versionen: für 79 und 109 Euro, je nachdem wie hoch das gebuchte Stunden- oder Kilometerkontingent ist. Dazu kommt dann die kostenfreie Nutzung des ÖPNV-Innenraums und der Leihräder, mit denen man beliebig viele Fahrten von bis zu 30 Minuten unternehmen kann. Im Laufe des Jahres sollen auch noch E-Bikes verliehen werden. In drei Monaten haben sich bereits 300 Kunden für das All-inclusive-Angebot entschieden.
Die Straßenbahn in den Hauptverkehrszeiten fährt im Fünf-Minuten-Takt. Die Trambahnen fahren mit Ökostrom, die 90 Gelenkbusse mit klimaneutralem Biomethan. „Das ist schon etwas Herausragendes“, sagt Stadtwerke-Chef Casazza. So wie auch das kostenlose W-Lan in allen Fahrzeugen und an den wichtigsten Haltestellen. „Mit der Flotte, der City-Zone und der Mobilflat sind wir sicherlich bundesweit noch einzigartig“, sagt Casazza.
Ist die Revolution nur vorgetäuscht?
Jörg Schiffler vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) in Augsburg sieht das Angebot weniger positiv. Er sagt, die City-Zone sei in erster Linie das halbherzige Bemühen, den durch eine umstrittene Tarifreform aus dem Jahr 2018 verursachten Schaden ein bisschen wiedergutzumachen. Davor habe man in der gesamten Innenstadt und teilweise darüber hinaus zum halben Preis fahren können.
Auch dem Ausbau des Carsharings steht Schiffler skeptisch gegenüber. Er fürchtet, dass die Nutzung der Leihautos dazu führt, dass Menschen aufs Fahrrad verzichten. Trambahn im Fünf-Minuten-Takt findet zwar auch Schiffler gut, aber den habe es früher auch schon gegeben – den ganzen Tag. Jetzt sei er auf die Hauptverkehrszeiten eingeschränkt worden. Außerdem gebe es sehr oft größere Verspätungen wegen des hohen Verkehrsaufkommens.
Dass eine Trambahn im Stau steckenbleibe, sei ein Unding und könnte durch entsprechende Sonderspuren und Ampelregelungen verhindert werden. Und eine emissionsfreie Busflotte sei zwar „schon okay“, wichtiger sei aber ein Ausbau der Straßenbahnnetzes, da die Tram deutlich ökologischer sei.
Markus Büchler ist da schon eher gewillt, das Positive zu sehen. „Immerhin sind die Augsburger so innovativ, dass sie was geschaffen haben, worüber jetzt alle reden“, sagt der Sprecher für Mobilität der Landtagsfraktion der Grünen im bayerischen Landtag. Die Stadt beschreite da durchaus einen interessanten Weg.
„Wir müssen ja in ganz Bayern überlegen: Wie kommen wir aus den eingefahrene Strukturen heraus? Wie kann ÖPNV attraktiver gemacht werden?“ Die neue City-Zone findet der Grüne deshalb „absolut erfreulich“. Sie sei sicherlich nicht die abschließende Lösung, könne aber als Anreiz funktionieren.
Das Problem ist nicht die Stadt, sondern das Umland
Auch die Mobilflat lobt Büchler, besonders im Stadtumlandverkehr sei Carsharing eine gute Möglichkeit, die Leute vom eigenen Auto wegzulocken. Wer weiß, dass er im Falle eines Falles auf ein Leihauto zurückgreifen kann, dem fällt auch der Umstieg auf den Öffentlichen Nahverkehr leichter.
Gerade im Umland von Augsburg sieht Büchler allerdings noch großen Handlungsbedarf. „Wenn wir den Verkehr verlagern wollen, müssen wir es dort machen und weniger im Zentrum. Denn im Stadt-Umland-Bereich haben wir die höchsten Zuwachsraten im Verkehrsaufkommen.“
Deshalb müsse man den Öffentlichen Personennahverkehr im Umland deutlich ausbauen, den Takt erhöhen und mehr Querverbindungen schaffen und dann ein ein einfaches und günstiges Tarifsystem einführen. Markus Büchler findet, der Landkreis München mache das vorbildlich. Da könne sich auch Augsburg noch ein Scheibchen abschneiden.
Leser*innenkommentare
05344 (Profil gelöscht)
Gast
Die beste Lösung wird für alle Kommunen meines Erachtens eine individuelle sein. Zu berücksichtigen sind hierbei ganz klar: die örtlichen Gegebenheiten, Kriminaltendenzen, Wirtschaftssystem, Finanzpolitik, Hygienestandard, Bauamt und Investitionsbereitschaft etc., im Endeffekt quasi analog: 'jeder Ort bekommt den Nahverkehr, den er verdient'...
abcde
Wirklich umweltfreundlich wäre ein klares Verursacherprinzip um die Mobilität auf das nötige Minimum zu beschränken. Jede Form von gratis (will heissen jemand anders zahlt) und Flatrate untergraben das, weil der Anreiz, nur unnütze Fahrten zu unterlassen, fehlt. Das Ziel müsste ein konsequentes Mobility-Pricing, mit erhöhten Preise für fossile Energien, Spitzenzeiten und Innenstädte, sein.
Velofisch
Die Cityflat ist ein Griff in die automobile Mottenkiste. ÖPNV-Nutzer*innen profitieren davon nicht. Lediglich die Leute, die mit dem Auto in die Stadt fahren und dann drei Haltestellen von einem Geschäft zum anderen fahren müssen, profitieren davon. Sie fördert also Autofahren in die Innenstadt, damit das Auto dort einmal geparkt wird und die Wege zwischen den Geschäften umsonst sind. Keine Ahnung, warum sich da die taz so blenden lässt.
rero
@Velofisch Natürlich profitiere ich als ÖPNV-Nutzer davon.
Zum einen zahlen ja alle nichts, zum anderen lohnt sich die Flat für Ihre Gelegenheitskunden überhaupt nicht.
Wenn es diese Möglichkeit bei mir gäbe, würde ich persönlich sofort mein Auto abgeben.
nzuli sana
Sehr interessanter Bericht. Mich würde noch genauer interessieren, wie das Umsteigen Wechseln zwischen den Verkehrsmitteln und zwischen den Stadtteilen gelingt - mit Gepäck. Warum nicht alle Eigentumsautos durch Sammeltaxis ersetzen?
rero
Insbesondere die Mobilflat hört sich interessant an. Ist mal was anderes, als nur Parkraumbewirtschaftung Benzibpreis- und Steuererhöhung.
Schade, dass der rot-rot-grüne Senat in Berlin nicht bereit sein wird, vom schwarzen Bayern zu lernen.