Kommentar Polizeieinsatz in Hamburg: Das Desaster der Demokratie
Der Polizeieinsatz beim G20-Gipfel hat Folgen weit über Hamburg hinaus. Er liefert Despoten eine Rechtfertigung für den Umgang mit ihrer Opposition.
W asser, marsch! Und auf sie mit Gebrüll! So lässt sich mit wenigen Worten die Strategie der Polizei in Hamburg zusammenfassen. Sie hat am Donnerstagsabend mit allem ihr zur Verfügung stehenden Gerät die Teilnehmer der „Welcome to hell“-Demonstration beiseite geräumt. In einer Art und Weise, die fassungslos macht. Denn die Bilder dieser unglaublichen Machtdemonstration der Polizei werden fatale Folgen haben – weit über Hamburg hinaus.
Was war nicht im Vorfeld alles über diese Demonstration spekuliert worden. Den größten schwarzen Block aller Zeiten wollte die linksautonome Szene antreten lassen, um denen da oben Angst zu machen. Tatsächlich war die Gruppe der martialisch schwarz Gekleideten erstaunlich groß. Mehrere tausend dürften es gewesen sein.
Wer hier den größten Bedarf hatte, zu zeigen, dass er den Größten hat, war jedoch schnell klar: Die Polizei stellte der Demonstrationsspitze gleich zu Beginn vier Wasserwerfer und zwei Räumpanzer in den Weg. Und wischte damit die Demo weg. In einer Straße, in der es keinerlei Ausweichmöglichkeiten zur Seite gibt, überrannte sie tausende Menschen.
Wenn die autonomen MöchtegernmackerInnen sich einen Moment zur Selbstkritik nähmen, müssten sie eigentlich heulend in der Ecke liegen. Wie ein harmloser Hühnerhaufen wurden sie auseinandergetrieben.
Am 7. und 8. Juli treffen sich in Hamburg die Staatschefs der größten Industrie- und Schwellenstaaten zum G20-Gipfel. Die taz berichtet dazu in einem laufend aktualisierten Schwerpunkt und ab dem 1. Juli mit täglich 8 Sonderseiten.
Und das war erst der Anfang. Immer wieder fuhr die Polizei ihren scheinbar endlosen Vorrat an Wasserwerfern auf und sprühte alle DemonstrantInnen wahllos von der Straße. Der größte schwarze Block aller Zeiten war an diesem Tag tatsächlich angetreten – in der Uniform der Polizei.
Putin und Erdogan werden sich gefreut haben
Dass es nicht zu einer totalen Eskalation kam, lag an – ja, auch – schwarz gekleideten DemonstrantInnen, die zumindest anfangs bei vereinzelten Flaschen- oder Böllerwürfen lautstark gegen die Dummköpfe in den eigenen Reihen protestierten. Nur so kam es im Laufe des Abends wenigstens phasenweise zu einem lauten, bunten, ausgelassenen und friedlichen Protest – bis die Polizei an der nächste Ecke wieder grundlos reinpreschte. Die hatte offensichtlich kein Interesse an Bildern von friedlichem Protest gegen den G20-Gipfel.
Das Schlimmste daran ist: die zweifelhaften Zaungäste Wladimir Putin und Recep Erdoğan dürften ihr Vergnügen gehabt haben. Denn künftig werden sie bei aller berechtigten Kritik am repressiven Umgang mit Protesten in ihren Ländern stets mit einem süffisanten Lächeln auf das von Hamburgs Bürgermeister ausgerufene „Festival der Demokratie“ verweisen können.
Die Verantwortung dafür trägt in erster Linie die Führung der Hamburger Polizei. Da die aber ihren härtesten Hund als Einsatzleiter an die Front geschickt hat, ist Selbstkritik von dieser Seite nicht zu erwarten.
Aber es gibt ja auch noch einen rot-grünen Senat. Hat die SPD noch eine Restabteilung, die sich für Bürgerrechte interessiert? Wenn ja, sollte sie jetzt mal laut aufschreien. Und was ist eigentlich mit den seit Tagen verstummten Grünen? Eine grüne Partei, die zwar in der Regierung sitzt, aber selbst nach diesem Desaster der Demokratie nicht Willens oder nicht in der Lage ist, Konsequenzen durchzusetzen, ist schlichtweg überflüssig.
Lesen Sie in unserem Liveblog, was am Freitag in Hamburg passiert und wie der Vortag abgelaufen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen