Arbeiten mit einer Corona-Infektion: Kann man machen, muss man nicht
Gesundheitsminister Lauterbach hat Corona mit leichten Symptomen. Er leitet sein Ministerium aus dem Homeoffice. Was heißt das für andere Arbeitende?
K arl Lauterbach hat Corona. Diese Nachricht entlockt sicher manchen ein Schmunzeln, einige seiner Kritiker:innen dürften sogar schadenfroh sein: Jetzt hat es die „SPD-Alarmsirene“ auch erwischt – trotz Vierfachimpfung und Vorsichtsmaßnahmen. Was soll dann noch diese ganze Nerverei mit Spritzen, Masken, Isolation und Homeoffice? Hilft ja doch alles nichts, irgendwann werden es alle haben. So jedenfalls lautet seit Monaten der Tenor insbesondere in den sozialen Netzwerken.
Die Frage nach der „Durchseuchung“ ist durchaus berechtigt, Omikron ist – das wissen wir dank der „Spaßbremse Lauterbach“ ganz genau – sehr viel ansteckender als die Vorgängervarianten. Dass sich bei aller Vorsicht auch der Gesundheitsminister infiziert, war daher eine Frage der Zeit. Schließlich hat er Kontakte und Treffen, die schon mal länger dauern. Die Zahl derer, die bislang coronafrei geblieben sind, schrumpft von Tag zu Tag.
Alle anderen Äußerungen und Ereiferungen zu überzogener Vorsicht jedoch bleiben zynisch angesichts dieser Krankheit, die vermutlich nie komplett beherrschbar sein wird. Und ja, Lauterbach hat Recht, wenn er immer und immer wieder dieses eine Mantra singt: Wie gut, dass es Impfungen gibt, die schützen in den meisten Fällen vor schweren Verläufen und Tod.
Aber sollte man mit leichten Symptomen, wie sie Lauterbach nach eigenen Aussagen hat, arbeiten? Es ist nur wenige Wochen her, da lieferten sich diesbezüglich der Gesundheitsminister und der Kassenärztechef Andreas Gassen einen interessanten Schlagabtausch. Gassen plädierte, Infizierte mit leichten oder gar keinen Symptomen sollten ins Büro, ins Pflegeheim, auf die Krankenstation, in die Fabrik gehen. „Dadurch würde die Personalnot vielerorts gelindert“, argumentierte Gassen: „So halten wir es mit anderen Infektionskrankheiten wie der Grippe auch.“ Lauterbach hielt dagegen: „Infizierte müssen zu Hause bleiben.“ Um andere nicht anzustecken und die Pandemie zu strecken.
Wer krank ist, muss nicht arbeiten
Was auf den ersten Blick anmutet wie ein Widerspruch, in den sich Lauterbach nun begibt – infiziert, aber ohne Krankschreibung -, ist bei genauer Betrachtung keiner. Sondern schlicht die gelebte Konsequenz seiner Mahnungen und Forderungen: Er ist infiziert und isoliert sich. Er hat leichte Symptome und arbeitet weiter – aber eben vom Homeoffice aus und nicht im Ministerium, wo er seine Kolleg:innen anstecken könnte.
Was aber heißt das für andere Arbeitnehmer:innen? Müssen die jetzt auch von zu Hause aus Mails schreiben, telefonieren, an Zoom-Konferenzen teilnehmen, Konzepte schreiben? Nein, müssen sie nicht! Das schreibt das Gesetz vor: Wer krank ist, wer sich krank fühlt, muss nicht arbeiten. Arbeitgeber:innen, die von ihren Mitarbeitenden anderes verlangen, haben schlechte Karten, sollten solche Fälle juristisch verhandelt werden.
Etwas anderes ist es, wenn Führungskräfte entscheiden, trotz seichter Symptome zu arbeiten – wohl gemerkt so, dass sie andere nicht gefährden, also isoliert, wo auch immer. Durch die Pandemie, in der digitales Arbeiten in vielen Branchen schon fast zum Normalfall mutierte, ist das in der Regel ohne größeren Verlust an Informationen und Kommunikation möglich. So hält es auch Lauterbach.
Was aber, wenn der Chef durch seine Anwesenheit indirekt Druck auf die Mitarbeiter:innen ausübt? Oder gar ganz klar und deutlich: Wenn ich hier hocke, dann habt Ihr gefälligst auch anzutanzen. Wer seinen Kopf nicht unterm Arm trägt, kann auch arbeiten.
So geht es natürlich nicht. Arbeitgeber:innen, die so verfahren, dürften aufgrund des Fachkräftemangels bald keine Leute mehr haben. Diese suchen sich nämlich einen sozialeren Arbeitgeber.
Gesundheitsminister Lauterbach ist nicht der Erste und nicht der Einzige in einer Leitungsposition, der sich trotz positivem Testergebnisses weiter seinen Aufgaben widmet. Das ist kein schlechtes Vorbild, sondern zeugt von Verantwortungsbewusstsein und Gewissenhaftigkeit. Es geht um die Sache und nicht um persönliche Befindlichkeiten. Wer sollte da etwas dagegen haben?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann