Appell an neue Bundesregierung: Fast 300 Organisationen warnen vor Entrechtung Geflüchteter
Die schwarz-rote Koalition will Asylbewerber*innen an der Grenze zurückweisen. Hunderte Verbände und Organisationen fordern stattdessen Menschlichkeit.

„Der Wahlkampf war geprägt von einer aufgeheizten Stimmung, die sich vor allem gegen Geflüchtete und Zugewanderte richtete“, heißt es in dem Papier. Das zeige sich auch im Koalitionsvertrag. Doch Ausgrenzung schüre Angst und untergrabe den Zusammenhalt. „Am Ende nützt das nur den Feinden einer freiheitlichen Demokratie“, heißt es weiter. „Damit muss endlich Schluss sein.“
Nicht Geflüchtete und Zugewanderte spalteten die Gesellschaft, sondern eine Politik, die strukturelle und soziale Probleme nicht löse, betonen die Initiatoren. „Was es jetzt braucht, ist eine Migrationspolitik, die verantwortlich handelt, statt unsere offene und vielfältige Gesellschaft zu gefährden.“
Gefordert wird unter anderem eine bessere Integration. Die Überlastung vieler Kommunen dürfe nicht durch Entrechtung von Asylbewerber*innen bekämpft werden, stattdessen müssten die „tatsächlichen sozialen, politischen und finanziellen Ursachen dieser Belastung“ angegangen werden.
Hinter dem Appell stehen 82 bundesweite Organisationen wie der Deutsche Gewerkschaftsbund, ProAsyl, der Paritätische Gesamtverband, der Deutsche Caritasverband, Brot für die Welt oder Misereor. Dazu kommen Dutzende Verbände, Gruppen und Initiativen auf Landes- und kommunaler Ebene.
Dobrindt will sofort mehr Grenzkontrollen
„Es muss jetzt endlich Schluss sein mit Symbolpolitik und irrlichternden Debatten, die humanitäre und menschenrechtliche Standards wie das Asylrecht und den Familiennachzug in Frage stellen“, sagte DGB-Vorständin Anja Piel. „Wir wollen stattdessen besser darüber reden, wie Integration gelingt und gute Arbeit als Mittel zur Teilhabe funktioniert.“
Karl Kopp, der Geschäftsführer von ProAsyl, sagte: „Ressentiments schürende Debatten und die fortschreitende Entrechtung geflüchteter Menschen lösen nicht ein einziges Problem unserer Zeit, gefährden aber den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“
Der designierte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte angekündigt, unmittelbar nach Amtsantritt verstärkte Zurückweisungen von Migranten und vermehrte Kontrollen an den deutschen Außengrenzen anzuordnen. „Die Zahlen bei der illegalen Migration müssen runter“, sagte er am Wochenende.
Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD vereinbart: „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen.“ Zwischen Union und SPD ist ungeklärt, ob „in Abstimmung“ bedeutet, eine Zustimmung der Nachbarn einzuholen oder sie lediglich zu konsultieren.
Jurist*innen und die Oppositionspolitiker*innen weisen seit Monaten darauf hin, dass die Pläne so oder so gegen Europarecht verstoßen. Laut Dublin-Verordnung muss jeder Asylantrag geprüft werden, Antragsteller*innen einfach abzuweisen ist nicht erlaubt. Dennoch machte die Union die Forderung nach Zurückweisungen zu einem Hauptthema im Wahlkampf.
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