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Appell an neue BundesregierungFast 300 Organisationen warnen vor Entrechtung Geflüchteter

Die schwarz-rote Koalition will Asyl­be­wer­be­r*in­nen an der Grenze zurückweisen. Hunderte Verbände und Organisationen fordern stattdessen Menschlichkeit.

Abschottung und immer mehr Härte gegen Schutzsuchende: Organisationen fordern von der kommenden Regierung einen anderen Kurs Foto: Lars Penning/dpa

Berlin dpa/taz | Zum Start der neuen Bundesregierung wenden sich fast 300 Verbände eindringlich gegen weitere Verschärfungen der Asylpolitik. In einem Aufruf warnen sie Union und SPD davor, Asyl­be­wer­be­r*in­nen an den Grenzen zurückzuweisen und Schutzsuchende in Krisenländer wie Syrien oder Afghanistan abzuschieben. Beides haben Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben.

„Der Wahlkampf war geprägt von einer aufgeheizten Stimmung, die sich vor allem gegen Geflüchtete und Zugewanderte richtete“, heißt es in dem Papier. Das zeige sich auch im Koalitionsvertrag. Doch Ausgrenzung schüre Angst und untergrabe den Zusammenhalt. „Am Ende nützt das nur den Feinden einer freiheitlichen Demokratie“, heißt es weiter. „Damit muss endlich Schluss sein.“

Nicht Geflüchtete und Zugewanderte spalteten die Gesellschaft, sondern eine Politik, die strukturelle und soziale Probleme nicht löse, betonen die Initiatoren. „Was es jetzt braucht, ist eine Migrationspolitik, die verantwortlich handelt, statt unsere offene und vielfältige Gesellschaft zu gefährden.“

Gefordert wird unter anderem eine bessere Integration. Die Überlastung vieler Kommunen dürfe nicht durch Entrechtung von Asyl­be­wer­be­r*in­nen bekämpft werden, stattdessen müssten die „tatsächlichen sozialen, politischen und finanziellen Ursachen dieser Belastung“ angegangen werden.

Hinter dem Appell stehen 82 bundesweite Organisationen wie der Deutsche Gewerkschaftsbund, ProAsyl, der Paritätische Gesamtverband, der Deutsche Caritasverband, Brot für die Welt oder Misereor. Dazu kommen Dutzende Verbände, Gruppen und Initiativen auf Landes- und kommunaler Ebene.

Dobrindt will sofort mehr Grenzkontrollen

„Es muss jetzt endlich Schluss sein mit Symbolpolitik und irrlichternden Debatten, die humanitäre und menschenrechtliche Standards wie das Asylrecht und den Familiennachzug in Frage stellen“, sagte DGB-Vorständin Anja Piel. „Wir wollen stattdessen besser darüber reden, wie Integration gelingt und gute Arbeit als Mittel zur Teilhabe funktioniert.“

Karl Kopp, der Geschäftsführer von ProAsyl, sagte: „Ressentiments schürende Debatten und die fortschreitende Entrechtung geflüchteter Menschen lösen nicht ein einziges Problem unserer Zeit, gefährden aber den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“

Der designierte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte angekündigt, unmittelbar nach Amtsantritt verstärkte Zurückweisungen von Migranten und vermehrte Kontrollen an den deutschen Außengrenzen anzuordnen. „Die Zahlen bei der illegalen Migration müssen runter“, sagte er am Wochenende.

Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD vereinbart: „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen.“ Zwischen Union und SPD ist ungeklärt, ob „in Abstimmung“ bedeutet, eine Zustimmung der Nachbarn einzuholen oder sie lediglich zu konsultieren.

Ju­ris­t*in­nen und die Op­po­si­ti­ons­po­li­ti­ke­r*in­nen weisen seit Monaten darauf hin, dass die Pläne so oder so gegen Europarecht verstoßen. Laut Dublin-Verordnung muss jeder Asylantrag geprüft werden, An­trag­stel­le­r*in­nen einfach abzuweisen ist nicht erlaubt. Dennoch machte die Union die Forderung nach Zurückweisungen zu einem Hauptthema im Wahlkampf.

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12 Kommentare

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  • "Für die hohe Belastung von Kommunen und einzelnen Berufsgruppen im Zusammenhang mit Migration werden allein Geflüchtete verantwortlich gemacht, anstatt die tatsächlichen sozialen, politischen und finanziellen Ursachen dieser Belastung anzugehen."

    Der Satz kommt vom DGB, der Grünen Anja Piel. Anja Piel ist Industriekauffrau. Von der man annimmt, dass sie rechnen kann.

    Frau Piel sei empfohlen sich einmal mit den Ministerpräsidenten verschiedener Bundesländer zu unterhalten. Z. B. Hendrik Wüst.



    Sat1NRW: "NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst beziffert die aktuellen Kosten pro Flüchtling auf rund 20.000 Euro pro Jahr, deutlich höher als die beschlossenen Hilfen. Dies stelle eine erhebliche finanzielle Belastung für Länder und Kommunen dar." Die meisten sind längst hoffnungslos pleite.

    Der arme Herr Wüst wird überschüttet mit Bergen von Brandbriefen verzweifelter Gemeinden in finanziellen Notlagen.

    Die weiter oben aufgeführten Sozial-Holdings verdienen allerdings sehr gut mit möglichst hohen Asylzahlen. Wir zahlen gern.

    www.sat1nrw.de/akt...schluessen-241172/

    www1.wdr.de/nachri...wuest-nrw-100.html

  • Die Zahlen der irregulären Migration sinken bereits, da kommt Dobrindt und hat Maßnahmen vor, um diese Zahlen weiter abzusenken. Und da kommt bei mir die Frage auf, ob das mit rechtlich-einwandfreien Methoden überhaupt durchführbar ist, oder, ob die CDU jetzt Dinge macht, die in Wirklichkeit nicht gehen und nach dem Muster funktionieren, wo kein Kläger, da kein Richter, bzw. diese Fälle können nicht in reale Leben übertragen werden. Weil die Menschen gar nichts in die Position kommen, ihre Fälle behandeln zu lassen. Und das kann zumindest an einem Punkt dazu führen, dass Menschen durch Europa ziehen und überall abgewiesen werden, weil sie es nicht 'rein' schaffen.



    Dobrind heizt dazu auch noch den Migrationsdiskurs wieder hoch, weil die Zahlen ja sinken, er aber den Eindruck erweckt, das Wichtigste Theme seien die hohen Zahlen. Taktisch nicht klug von ihm, er gehört ja der Regierung an, die ist im Zweifel für alles verantwortlich.

  • Wenn Politik und Medien die Gesellschaft weiter nach rechts treiben, ist abzusehen, wer die nächste BTW gewinnen wird. Das spielt aber keine Rolle, weil Parteien der Mitte in vorauseilendem Gehorsam versprechen, die Drecksarbeit der Rechtsextremen zu übernehmen.



    Menschen wegen unveräußerlichen Eigenschaften zu verabscheuen, ist keine Meinung. Es ist krank. Das heißt, dass mindestens ein Drittel, eher drei Viertel der Bevölkerung behandlungsbedürftig sind. Sie leiden an einer Angststörung, hervorgerufen durch Propaganda. Der Rest von uns hat genauso viel Angst davor, von der Mehrheit zermalmt zu werden, wegen unserer unveräußerlichen Eigenschaften.



    Noch was: Die Rechtsextremen brauchen die Ungeliebten, um an ihnen Exempel zu statuieren, damit der Rest der Bevölkerung spurt. Die Ungeliebten werden nicht ausgewiesen, sondern entrechtet werden, als abschreckendes Beispiel an Straßenecken deponiert.

  • Es geht doch nicht (nur) um Menschlichkeit. Was die Dobrindt-Quack-Sprecher*innen da treiben, vergiftet die politische Öffentlichkeit und behindert die dringend notwendige Einwanderung.

  • "Stattdessen müssten die „tatsächlichen sozialen, politischen und finanziellen Ursachen dieser Belastung“ angegangen werden." Welche sind das und was müssen wir tun um in spätesten 2-3 Jahren verwertbare Ergebnisse in der Migrationsfrage zu präsentieren, denn sonst endet die nächste Wahl in einem unfassbaren Debakel. Seit Jahren gibt es immer nur diese wohltemperierten Luftnummern und Absichtserklärungen. Wir als Bürger wollen jetzt konkret wissen was genau getan wird und welche Ergebnisse wir dadurch zeitnah erreichen werden. Genauso weiter unerschütterlich mit Phrasen unterlegt bis in den Untergang habe ich schonmal in den 80ern erleben dürfen.

    • @Šarru-kīnu:

      Einfach schön, dass Sie sich als sorbischer AfD-Gegner für die mildeste und vernünftigste Kritik hier regelmäßig als Rassist und Schlimmeres beschimpfen lassen. Das wäre mir schon längst zu blöd geworden.

    • @Šarru-kīnu:

      "Welche sind das und was müssen wir tun um in spätesten 2-3 Jahren verwertbare Ergebnisse in der Migrationsfrage zu präsentieren, denn sonst endet die nächste Wahl in einem unfassbaren Debakel"



      Das wissen Sie alle ja selber nicht...🤷‍♂️



      Mehr Integration, mehr Sprachkurse, mehr Bildungsangebote - als ob es am Geld oder einem Schalter läge - wir haben viel zu wenig Lehrer, viel zu wenig Erzieher, viel zu wenig Betreuer, etc...



      Das Zuwanderer diese Lücken irgendwann einmal füllen könnten mag gut sein - sie werden sie aber niemals füllen können, wenn jetzt nicht das Personal und die Plätze dafür vorhanden sind, sie in diese Lage zu versetzen🤷‍♂️



      Ein Haus wird vom Fundament nach oben gebaut - uns fehlt aktuell akut das Fundament, sprich Lehrer, Erzieher, Betreuer - da kann noch so viel guter Wille und Geld da sein, ohne Fundament stürzt alles darauf gebaute ein.

    • @Šarru-kīnu:

      Wenn man das Gehirn einschaltet ist das schnell zu erklären. Die Lebenssituation der ärmeren 50 % der Bevölkerung muss verbessert werden, statt die Reichen noch reicher zu machen, während die Menschen mit niedrigen Einkommen ständig in Existenzangst gehalten und immer mehr ausgebeutet werden. Außerdem muss konsequent gegen den Hass und die Hetze gegen Migranten, Erwerbslose und Demokraten vorgegangen werden.

      Gern geschehen.

      • @Truhe:

        Es bezeugt die Ausprägung des Denkniveaus, wenn man Menschen, welche sachlich argumentieren und Fragen stellen, zuerst einmal auffordert, das Gehirn einzuschalten.

      • @Truhe:

        Danke für die klare Antwort

    • @Šarru-kīnu:

      Genauso wie Sie habe ich die Phrasen-Drescherei ab 1984 bis 1989 erlebt, bis das ganze Kartenhaus fast über Nacht in sich zusammenfiel. Zur Zeit erlebe ich eine Art von Déjà Vu gepaart mit Überlegungen zur Weimarer Republik. Ich muss auch ganz ehrlich sagen, dass ich Angst vor der zukünftigen Entwicklung habe und ich stehe nicht alleine damit da.....

    • @Šarru-kīnu:

      Die Ansätze, um eine Integration Geflüchteter gelingen zu lassen, sind hinlänglich bekannt und in vielen Forschungsberichten, die den verantwortlichen Politiker:innen vorliegen, aufgezeigt worden.



      Wir dürfen uns nicht wie bisher von der Hetze der Rechten treiben lassen, aus der Ecke kommen weder Lösungen noch soziale Forderungen.