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Antisemitismus-VorwurfTU-Chefin entschuldigt sich

Geraldine Rauch hat problematische Tweets geliked. Ihr neuer Antisemitismus-Beauftragter Uffa Jensen findet klare Worte – nimmt sie aber auch in Schutz.

Isoliert nach fragwürdigen Likes? TU-Präsidentin Geraldine Rauch bei einem PR-Termin im Audimax der Universität Foto: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Berlin taz | Turbulente Tage an der Technischen Universität (TU) Berlin: Nach lautstarker Kritik an fragwürdigen Likes auf X – früher Twitter – hat TU-Präsidentin Geraldine Rauch einen Fehler eingestanden und um Entschuldigung gebeten. „Von den antisemitischen Inhalten oder Au­to­r*in­nen der Tweets möchte ich mich klar distanzieren“, schrieb Rauch am Mittwoch in einer Stellungnahme.

Zuvor hatte die Jüdische Allgemeine den mittlerweile deaktivierten persönlichen X-Account von Geraldine Rauch durchforstet und dabei unter anderem einen Like für ein Posting zutage gefördert, das Demonstrierende in der Türkei mit einem Transparent zeigt, auf dem eine Karikatur von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit einem Hakenkreuz abgebildet ist.

Weitere Likes vergab Rauch laut dem Zeitungsbericht von Dienstag für Beiträge, die Israel einen „Völkermord“ in Gaza vorwerfen oder die „Wertepartnerschaft“ der Bundesrepublik mit Israels rechtsextremer Regierung infrage stellen.

Sie habe den Tweet wegen seines Textes geliked und das Bild nicht genauer betrachtet, erklärte Rauch nun. Sie betonte, sie hätte keinen Like vergeben, wenn sie die „antisemitische Bildsprache aktiv wahrgenommen hätte“. Das Bild nutze Symbole und Gleichsetzungen, die sie entschieden ablehne.

Senatorin Czyborra erhöhte den Druck

Die TU-Präsidentin stand am Mittwoch unter großem Druck. Am Vormittag hatte Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) laut eigenen Angaben in einem persönlichen Gespräch mit Rauch „die klare Erwartung zum Ausdruck gebracht, den Sachverhalt öffentlich klarzustellen“.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hatte Geraldine Rauch in der Jüdischen Allgemeinen vorgeworfen, öffentlich Aussagen zu befürworten „die genau die antisemitischen Narrative reproduzieren, wegen der Jüdinnen und Juden auf dem Campus nicht mehr sicher sind“.

Uffa Jensen sofort im Fokus

Bereits am Montag hatte die TU mit der Ernennung des Historikers Uffa Jensen zum Antisemitismusbeauftragten für Schlagzeilen gesorgt. Der Zentralrat der Juden in Deutschland nannte Jensens Berufung eine „große Enttäuschung“ und „ignorant“ gegenüber jüdischen Studierenden. Hintergrund ist die von Jensen vertretene sogenannte Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus, die Antisemitismus klarer gegen Kritik an Israel abzugrenzen versucht.

Auch Jensen äußerte sich ausführlich zu den Vorwürfen gegen die TU-Präsidentin. Er und Rauch seien sich einig, dass der Like für das Foto mit der Netanjahu-Karikatur „inakzeptabel und falsch war“, schrieb Jensen in einer Mitteilung. Beim Demo-Banner handele es sich ohne Zweifel „um ein sehr aggressives, antisemitisches Hassbild“ – insbesondere wegen der „blutrünstigen Entstellung von Mund und Augen“ sowie den Hakenkreuzen.

Zugleich verteidigte Jensen weitere Likes von Rauch gegen den Antisemitismusvorwurf. Die Posts, in denen die Begriffe „Völkermord“ und „Kriegsverbrecher“ vorkommen seien „aus wissenschaftlicher Sicht nicht per se antisemitisch“ und auch aufgrund der laufenden Ermittlungen internationaler Gerichte zu ebendiesen Tatbeständen „legitime Meinungsäußerungen“. Er könne aber nachvollziehen, dass Jüdinnen und Juden diese Begriffe „als höchst problematisch, feindselig und verletzend empfinden“, so Jensen weiter.

Klare Kante gegen Besetzungen

Wie viele andere Universitäten steht die TU Berlin seit einiger Zeit im Fokus von propalästinensischen Aktivist*innen. Am Rande einer Kundgebung an der TU-Mensa vor zwei Wochen war Geraldine Rauch auf die De­mons­tran­t*in­nen zugegangen und hatte Gespräche geführt. Sie sagte dort, ihre Uni dulde keinen Antisemitismus und wolle „für die jüdischen Studierenden da sein – aber auch für die palästinensischen Studierenden, die täglich Angehörige verlieren“.

Mit Blick auf die Besetzung eines Instituts an der Humboldt-Universität in der vergangenen Woche und die teils terrorverherrlichenden Schmierereien, die nach der Räumung in dem Gebäude entdeckt worden waren, erklärte Rauch nun, man habe „leider gerade erlebt, dass manche studentischen Proteste nicht friedlich bleiben und sich nicht von Antisemitismus abgrenzen“. Sie wünsche sich, dass es nicht zu Besetzungen komme und sei jederzeit zu einem „friedlichen Diskurs“ bereit. Rauch stellte aber auch klar: „Sollte es zu einer Besetzung ähnlich wie an der HU kommen, werde ich entsprechend handeln.“

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20 Kommentare

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  • Wenn man Artikel wie diesen hier gelesen hat (Die Hölle von Gaza sehen taz.de/Gaza-Krieg-...+h%C3%B6lle+gaza/) wirken Diskussionen wie hier einfach grotesk. Es gibt offenbar sehr viele Indizien für einen Genozid und die UN ruft Israel seit Monaten zur Achtung des Völkerrechts auf. Und hier wird eine Uni-Präsidentin dämonisiert, wobei diese anscheinend des Antisemitismus bereits schuldig bei Verdacht ist. Eine beeindruckende Übung in Doppeldenk!

    • @Henne Solo:

      Sie haben es differenziert ausgedrückt. Ich bin mit Wörtern wie Apartheid oder gar Genozid sehr vorsichtig. Der Letztgenannte wäre wohl gegeben, wenn die Stimmen nach Vertreibung, Ausradierung der palästinensischen Identität überhand nähmen.

      Von Netanyahu und Israel das Völkerrecht und Recht im Kriege verlangen ist das Normalste der Welt!



      Ebenso wie sehr viele Gründe incl. besagtem Völkerrecht für einen lebensfähigen palästinensischen Staat schnellstmöglich sprechen (oder einen universal konstruierten einen Staat für alle).

      Was nie diese Hamas-Handlungen "rechtfertigen" würde. Beide Seiten halten sich bitte an Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Recht.

      Ich entdecke eine bedenkliche Tendenz, sich denkvereinfachend in Gut-Böse-Schubladen einzunisten - das ist gerade in der Wissenschaft ungut.

      Beginnen wir wenigstens damit, dass Israel nicht Netanyahu ist, dass Israelis nicht alle Juden sind und Juden mehrheitlich keine Israelis und und und.

  • Weiß jemand, was die "Nicht hinlangen"-Aufkleber unter den Sitzflächen bedeuten könnten? Oder sind Berliner einfach nur verrückt?



    www.youtube.com/watch?v=MCxFHMnCubw

    • @Wolfram Heinrich:

      Keine Ahnung. Eigentlich kaputter Hörsaal, vermute ich.

      Bei aller ausdrücklichen Liebe zu unserem Föderalismus fände ich es sehr kleingeistig, einfach nur Berlin zu bashen und sich dadurch irgendwie besser zu fühlen (so hatte ich Sie aber auch nicht verstanden).

  • Ich denke, das ist ein Vorfall, der eigentlich einen Rücktritt bedingt. Von einer Uni Präsidentin ist zu erwarten, dass sie zurückhaltender agiert, sich also im äußerst komplizierten und emotional aufgeladenen Nahostkonflikt nicht einseitig positioniert durch das liken von extrem parteiergreifenden Beiträgen bei X.

    Das Social Media Kompetenz-Minimum ist es, sich sowohl das Profil des Postendenden vom Beitrag, den sie geliket hat, sowie die Bilder zum Text genau anzuschauen. Das hat sie, so gibt sie als Erklärung an, beides nicht gemacht, die Bilder nicht genau angesehen, nur den Text, und sie hätte auch nicht genau geprüft, wer das eigentlich genau gepostet hat.

    Menschlich ist das natürlich nachvollziehbar, sie war mal kurz bei X, hat was propalästinensisches gesehen und eben gelikt. Interessant natürlich, dass der Algorithmus ihr diesen Beitrag dann auch prompt angezeigt hat.

    Aber für den offen zugänglichen X Account einer Uni Präsidentin ist das natürlich eine problematische Verhaltensweise. Und dass „ihr“ neuer Antisemitismusbeauftragter, sie dann auch prompt in Schutz nimmt, trägt auch nicht zu mehr Vertrauen bei.

  • Ein Beauftragter kann sich die Zeit nehmen, intensiver hinzusehen und Dinge geradezurücken.



    Und man muss nicht Gemobbter sein, um auf Mobbing aufmerksam machen zu "dürfen".



    Dass man auf den Text geht und nicht so auf Bilder, kann ich übrigens nachvollziehen, aber gut auch, dass es bereinigt wie klargestellt wurde.

  • Kann eine Unirektorin so naiv sein? Eher nicht. Das ist das Problem.

  • Sie hat sich entschuldigt. Na, denn iss ja allet supergut, ne?

    Ihr Glück, dass sie nicht zu Bööp bö bö bööp mit den Füßen gewippt hat. Dann würde keine Entschuldigung mehr helfen. Nicht wahr, Herr Baeck, Frau Fromm? taz.de/Neue-Detail...t/!6010089&s=sylt/

  • "Sie sagte dort, ihre Uni dulde keinen Antisemitismus und wolle „für die jüdischen Studierenden da sein – aber auch für die palästinensischen Studierenden, die täglich Angehörige verlieren“."

    Bemerkenswert, dass palästinensische Studierende die evtl. Angehörige verlieren explizit erwähnt werden, aber jüdische Studierende, deren Verwandte/Angehörige evtl. Geiseln sind, keine Erwähnung finden.

  • "Die Posts, in denen die Begriffe „Völkermord“ und „Kriegsverbrecher“ vorkommen seien „aus wissenschaftlicher Sicht nicht per se antisemitisch“ und auch aufgrund der laufenden Ermittlungen internationaler Gerichte zu ebendiesen Tatbeständen „legitime Meinungsäußerungen“.



    Genau weil der Wahrheitsgehalt dieser Tatsachenbehauptungen eben nicht erwiesen ist, erfüllen sie zumindest den Tatbestand des §186 StGB (üble Nachrede). Dieser kann sich nicht nur auf Einzelpersonen, sondern auch auf eine Gruppe / ein Kollektiv beziehen (allgemeine Rechtsprechung).

    • @PeterArt:

      Nun ist das ja nicht der erste Konflikt, in dem solche Vorwürfe erhoben werden - bisher ist allerdings niemand verurteilt worden, der Bush als Kriegsverbrecher bezeichnet oder Putin einen Genozid vorgeworfen hat. Wieso also sollte es in diesem Fall anders ein?

    • @PeterArt:

      Wäre es nicht eher üble Nachrede, wenn es erwiesenermaßen nicht so ist? Und bis dahin erstmal eine Facette der sog freien Meinungsäußerung?

      • @EffeJoSiebenZwo:

        Nein. Es ist im StGB genau so definiert, wie ich es beschrieben habe. Andernfalls könnte Ich Ihnen im Übrigen ungestraft jeden Mist nachsagen, bis Sie mir das Gegenteil beweisen.

        • @PeterArt:

          Okay, vielen Dank!

  • "Zugleich verteidigte Jensen weitere Likes von Rauch gegen den Antisemitismusvorwurf. Die Posts, in denen die Begriffe „Völkermord“ und „Kriegsverbrecher“ vorkommen seien „aus wissenschaftlicher Sicht nicht per se antisemitisch“ und auch aufgrund der laufenden Ermittlungen internationaler Gerichte zu ebendiesen Tatbeständen „legitime Meinungsäußerungen“. Er könne aber nachvollziehen, dass Jüdinnen und Juden diese Begriffe „als höchst problematisch, feindselig und verletzend empfinden“, so Jensen weiter."

    Wie man sieht, macht der Mann seine Arbeit, so wie es von ihm erwartet wird.

    • @Jim Hawkins:

      "Wie man sieht, macht der Mann seine Arbeit, so wie es von ihm erwartet wird."

      Das sehe ich auch so, bedauerlicherweise.

    • @Jim Hawkins:

      Ihr letzter Satz ist vermutlich sarkastisch gemeint. Dennoch frage ich mich umgekehrt, ob der Antsemitismusbegriff, den sie selbst anlegen und der m.E. so weit gedehnt wird, dass er Gefahr läuft, alles und nichts zu bezeichnen, wirklich zielführend ist.

      Mir scheint er weniger zur Verteidigung jüdischen Lebens geeignet, als zur Instrumentalisierung für machtpolitische Zwecke – das ist nicht zuletzt in der autoritären bis inzwischen offen rassistischen Führungsriege der israelischen Regierung zu beobachten.

      Ich persönlich lehne die Verwendung von Begriffen wie "Völkermord" und die personifizierende Bezeichnung "Kriegsverbrecher" in diesem Kontext ab, weil damit tatsächlich immer wieder antisemitische Ressentiments vernebelt oder befördert werden.

      Ich sehe aber gleichzeitig keine Veranlassung, nicht darauf hinzuweisen, dass die IDF im Gaza Kriegsverbrechen begangen hat und ich finde es hochproblematisch, jede*n Menschen, die*der die o.g. Begriffe im Munde führt, pauschal Antisemitismus zu unterstellen.

      Da gibt es dann u.U. doch noch mehr Umstände und Positionen, die es für eine Beurteilung in Erwägung zu ziehen gilt. Auch wenn die jungle world das vermutlich anders sieht.

      • @Pflasterstrand:

        "Mir scheint er weniger zur Verteidigung jüdischen Lebens geeignet, als zur Instrumentalisierung für machtpolitische Zwecke – ..."

        Welche Macht haben studierende, jüdische und/oder israelische Personen, die in Deutschland einfach nur ihrem Studium nachgehen wollen? Die Macht zu entscheiden, ob sie eine Kette mit Davidstern "normal offen" tragen oder doch lieber verstecken?

        • @*Sabine*:

          ich fürchte, da handelt es sich jetzt um ein mißverständnis:

          ich argumentiere, dass ein antisemitismus-begriff, der sich auf quasi jede kritische oder polemische und u.U auch völlig unrichtige und verletzende oder andere gefährdende äußerung auszuweiten beginnt, eher zur instrumentalisierung taugt, als zur differenzierung oder abrüstung in den debatten und damit kaum zur möglichkeit der verständigung beitragen kann.

          als beispiel für eine solche instrumentalisierung habe ich das führungspersonal der aktuellen israelischen regierung genannt – netanjahu macht das allerdings schon sehr viel länger. in keiner silbe habe ich jedoch suggeriert, dass jüdische studierende den von mir kritisierten allzu weit gefassten antisemitismusbegriff machtpolitisch instrumentalisieren würden – das könnten sie ja selbst dann nicht, wenn sie es wollten oder versuchen würden.

          ich denke, dass ein inflationär verwendeter antisemitismusvorwurf nicht nur unzutreffende urteile mit sich bringt, sondern rein gar nichts dazu beiträgt, dass sich die personen, die Sie erwähnt haben, sicherer fühlen können.

          das ist aber eben etwas ganz anderes, als das, was Ihre willkürliche verknüpfung nahelegt.

          • @Pflasterstrand:

            Ich teile Ihre Auffassung. Allerdings ist der Sachverhalt insofern komplizierter, als sich in der gleichen politischen Ecke, in der der sachlich unzutreffende Genozid-Vorwurf mittlerweile inflationär verwendet wird, eben auch mit schöner Regelmäßigkeit israelbezogener Antisemitismus findet. Und Jensen hat leider in der Vergangenheit hinreichend bewiesen, dass er auf genau diesem Auge blind ist - was man wohl auch von seiner Vorgesetzten Rauch angesichts ihres wohlwollenden Verständnisses für Palästina-Aktivisten annehmen muss.