Antisemitimsmus im Kulturbetrieb: Kein Problem zum wegsignieren
Die Klausel der Berliner Kulturverwaltung gegen Diskriminierungen stößt auf harte Kritik. Künstler*innen sehen einen Trend zum Bekenntniszwang.
Doch für die Idee erntet Chialo bisher vor allem Kritik – auch von denen, die das Anliegen mit ihm teilen: die sich selbstverständlich zur offenen Gesellschaft bekennen und die sich einer Arbeit gegen jegliche Diskriminierung verpflichtet sehen.
Die Entscheidung der Senatsverwaltung, sich diesem Thema zu widmen, sei ein wertvoller Schritt, dürfe aber nicht zu einer Falle werden, sagt etwa Sonia Simmenauer, Musikagentin und Präsidentin des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft. Es sähe „alles danach aus, dass es gar zu einem Bumerang wird“. Simmenauer ist eine von vier Kulturproduzent*innen, die der Senator selbst in den Kulturausschuss am Montag eingeladen hatte zu einer Anhörung zu Antisemitismus und der Verantwortung von Kunst und Kultur.
Förderung Wer Fördergelder beantragt, muss seit Ende Dezember unterschreiben, dass er*sie sich positioniert „gegen jedwede Diskriminierung und Ausgrenzung sowie gegen jede Form von Antisemitismus gemäß der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und ihrer Erweiterung durch die Bundesregierung“.
Definition Die IHRA definiert Antisemitismus als „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“
Kritik In einem offenen Brief kritisieren Kulturproduzent*innen, dass die IHRA-Definition eine „nicht-rechtsverbindliche Arbeitsdefinition“ sei, gar nicht vorgesehen als Grundlage für staatliche Sanktionen. Der Verfassungsblog teilt diese Einschätzung. Demnach ist eine Definition für die Bekämpfung von Antisemitismus auch nicht erforderlich: „Das Antidiskriminierungsrecht kennt keine vergleichbare staatliche Definition von Rassismus, Sexismus oder Homo- und Transphobie.“
Klausel Das ist auch in der Klausel des Senats so: Nur Antisemitismus wird konkret benannt und definiert, alles andere ist unter „jedwede Diskriminierung und Ausgrenzung“ zusammengefasst und wird in der Klausel nicht weiter aufgeschlüsselt. (usch)
Für Simmenauer ist die Klausel selbst das Problem. Denn eine Selbstverpflichtung oder unterschriebene Erklärung beendet nicht antisemitisches Handeln und Denken. Man schreibe der Klausel aber „offensichtlich magische Fähigkeiten“ zu, als ob Diskriminierung allein davon verschwinden könnte, wenn jemand so eine Klausel unterschreibt.
Priorisierung erzeugt Abwehr
Ganz im Gegenteil: Indem der Senator eine Klausel präsentiert, an der sich nun viele abarbeiten, geraten wirklich wirksame Maßnahmen gegen Antisemitismus aus dem Blick. Dazu gehöre es auch, Dissens auszuhalten. Die Klausel sei „ein Schlag gegen die Demokratie, ein beliebtes Instrument von Diktaturen und die Legitimierung von Denunziation“, sagt Simmenauer. Sie befürchtet, dass sie gar mehr Antisemitismus erzeugen könnte, weil sie ihn so priorisiert und damit Abwehr hervorruft. Sie drohe, die wirklichen Aufgaben im Kampf gegen Diskriminierungen zu vernebeln.
Chialo verteidigt seine Klausel damit, dass auch andere Bundesländer und der Bund Ähnliches vorbereiten. Schleswig-Holstein verlangt bereits seit Juni 2023 von Fördergeldempfänger*innen, dass sie eine Klausel gegen Antisemitismus unterzeichnen.
Die Idee ist nicht neu: 2011 hatte CDU-Bundesfamilienministerin Kristina Schröder eine Extremismusklausel eingeführt. Organisationen, die sich mit staatlichen Fördergeldern aus drei Bundesprogrammen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie und Toleranz engagieren, sollten eine Erklärung für die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ unterzeichnen. Sie sollten für sich sowie ihre Partner bestätigen, mit ihrer Arbeit den Zielen des Grundgesetzes förderlich zu sein.
Die Extremismusklausel war damals von Jurist*innen und Politiker*innen als Gesinnungscheck kritisiert worden, auch aus der CDU selbst. Sie erzeuge ein „Klima des Misstrauens“ und behindere die Arbeit gegen Rechtsextremismus. Die damalige rot-rote Regierung Berlins war für Initiativen, die die Unterschrift verweigerten und denen damit Bundesförderungen wegbrachen, eingesprungen. Das Verwaltungsgericht Dresden erklärte sie 2012 für rechtswidrig. Schröders Nachfolgerin Manuela Schwesig (SPD) schaffte sie wieder ab.
Bekenntnisse dagegen statt Bewußtsein für Antisemitismus
Anders als die Klausel damals soll sich die nun geplante nur auf die direkten Empfänger der Förderung beziehen: Sie bedeute nicht, dass man als Fördergeldempfänger*in auch sicherstellen muss, dass alle, die man einlädt, mit denen man zusammenarbeitet oder an die man Räume vermietet, sich entsprechend bekennen müssen, stellte eine Sprecherin der Kulturverwaltung auf Nachfrage klar.
Kulturarbeiter*innen sowie Politiker*innen kritisieren dennoch die Effekte. Guido Möbius, Musiker und Promoter, spricht von einem „Trend zu Bekenntniszwängen“. Die Klausel reihe sich ein in Aufforderungen durch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sowie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) an Muslim*innen, sich gegen Antisemitismus und gegen Terrorismus zu positionieren, die Bekenntnisse zum Existenzrecht Israels und Antisemitismus als Voraussetzung für Einbürgerung.
„Ich möchte eine Erklärung gegen Antisemitismus gern aus fester Überzeugung unterschreiben – freiwillig“, sagt Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles, der ebenfalls im Kulturausschuss gehört wurde. „Wenn ich sie quasi unterschreiben muss, weil das alle müssen, die die Gelder für ihre Einrichtung nicht gefährden wollen, ist mir diese Chance genommen.“ Am Berliner Ensemble hätten sie vor zwei Jahren gemeinsam einen Verhaltenscodex für ein freiheitliches und respektvolles Miteinander entwickelt, der auch allen Verträgen beigelegt werde und mit dem sich die Mitarbeiter*innen einer Arbeit gegen Diskriminierung verpflichten. Reese sagt, er hätte sich den Dialog über eine Klausel vor deren Einführung gewünscht.
„So eine Klausel lenkt doch nur davon ab, eine wirkliche Lösung zu suchen. Sie lenkt ab von den kleinen Schritten, die zu Wahrnehmung und Bewusstsein von Antisemitismus führen“, sagt Simmenauer. Und kritisiert, dass Chialo damit genau das verhindert, was er eigentlich befördern will: den Dialog.
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