Anthroposophische Medizin an der Charité: Die gekaufte Professur

Warum hat die Berliner Charité eine Professur für Anthroposophie? Interne Unterlagen zeigen, wie sich die Pseudomedizin an der Uniklinik einkaufte.

Das Bettenhaus der Charité in Berlin Mitte

An einer der renommiertesten Universitätskliniken hat sich die Anthroposophie eine Professur gekauft Foto: Olaf Schuelke/imago

Wer sich über die „Stiftungsprofessur für Integrative und Anthroposophische Medizin“ an der Berliner Charité informieren will, dem lächelt ein grauhaariger Mann im Poloshirt von der Website der Universitätsklinik entgegen. Er heißt Harald Matthes, leitet das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe und forscht zur Behandlung von Krebs mit Mistelpräparaten. Er ist auch Präsident der Deutschen Akademie für Homöopathie und Naturheilkunde, heißt es auf der Webseite. Was dort nicht steht: wer die Stiftungsprofessur eigentlich mit wie viel Geld finanziert. In anderen Fällen listet die Charité diese Informa­tio­nen detailliert auf. Und selbst auf Nachfrage macht die Charité um diese Professur ein großes Geheimnis.

Die Anthroposophie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von Rudolf Steiner erfunden. Der spirituelle Lehrer war der Überzeugung, dass Krankheiten in vorherigen Leben ausgelöst werden und Pflanzen durch ihre Wesenskraft heilen. Die Wirksamkeit von anthroposophischen Mitteln ist wissenschaftlich bis heute nicht belegt. Die Charité hingegen ist eine der renommiertesten Universitätskliniken Europas, viele deutsche No­bel­preis­trä­ge­r:in­nen haben an ihr geforscht. Warum gibt es hier überhaupt eine Professur für „Anthroposophische Medizin“?

Der taz liegen interne Unterlagen über die Einrichtung und Verlängerung der Stiftungsprofessur vor, darunter Verträge, Briefe, E-Mails und Sitzungsprotokolle. Diese wollte die Charité lange nicht herausrücken, die taz hat den Antrag auf Einsicht auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes bereits im März 2022 gestellt. Die Charité gab erst klein bei, als die taz vor Gericht zog. Auch wenn vieles in den Dokumenten geschwärzt ist, lässt sich nachzeichnen, wie sich die Anthroposophie in eine der angesehensten Unikliniken eingekauft hat – und damit einen Haken auf der To-do-Liste ihres „Masterplans“ machen konnte. Dieser sieht vor, die Anthroposophie durch Lehrstühle an Universitäten zu legitimieren.

Es war schon bekannt, dass die anthroposophische Software-AG-Stiftung aus Darmstadt die Professur finanziert. Was bisher verschwiegen wurde: Anfang 2022 hat die Charité die Professur um fünf Jahre verlängert. Das wurde nie ­öffentlich kommuniziert und passierte ausgerechnet zu einer Zeit, als die taz eine Recherche über Missstände in Matthes’ Krankenhaus veröffentlichte und der Professor an einer Studie über Impfschäden durch die Corona-Impfung arbeitete, von der sich die Charité kurz darauf distanzierte.

Am Dienstag vergangener Woche hat die taz der Pressestelle der Charité Nachfragen zu der Angelegenheit geschickt. Die Pressestelle hat diese Fragen nach mehrfacher Bitte um Fristverlängerung nicht beantwortet. Sie verweist auf eine angebliche Vertraulichkeit und betont, dass alle Regeln eingehalten wurden. Matthes reagierte überhaupt nicht auf eine taz-Anfrage.

Die Stiftung hatte Geld und Geduld

Die Einrichtung der Stiftungsprofessur hatte einen langen Vorlauf: Im Dezember 2010 bietet die Software-AG-Stiftung der Charité nach einem Gespräch an, eine anthroposophische Professur zu finanzieren, so steht es in den der taz vorliegenden Dokumenten. Die Stiftung schreibt auf ihrer Internetseite, mit ihrem Geld die „Akademisierung der Anthroposophischen Medizin“ voranbringen zu wollen. Eine Professur an einer berühmten Institution wie der Charité erscheint da wohl wie ein Hauptgewinn. 250.000 Euro pro Jahr stellt die Stiftung der Charité dafür in Aussicht.

Dieses Geld zu investieren ist der Stiftung offenbar so wichtig, dass sie über fünf Jahre bei der Charité um die Professur wirbt. Als es ihnen nicht schnell genug geht, schreibt die Projektleiterin im Dezember 2016 scharfe Mails an die Charité: Sie seien „ziemlich irritiert und entsprechend verärgert“. Man würde sich freuen, „wenn diese unendliche Geschichte endlich einen positiven Abschluss finden kann“.

Eine Vorstellung, wer diese Professur antreten könnte, hat die Stiftung offenbar schon früh – obwohl Professuren eigentlich nicht „ad personam“, also auf eine Person zugeschnitten, ausgeschrieben werden dürfen. Im Mai 2012 schlägt sie vor, das anthroposophische Krankenhaus Havelhöhe in Berlin mit einzubeziehen. Es würde dafür einen klinischen Bereich zur Verfügung stellen. Darüber hatte man sich offenbar schon ausgetauscht.

Harald Matthes im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe

Harald Matthes, Chefarzt im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe und Professor an der Charité Foto: Fabrizio Bensch/reuters

Der Vertrag über die „Einrichtung einer W2-Stiftungsprofessur auf Zeit für fünf Jahre“ ist auf den 15. April 2015 datiert. Darin ist auch festgehalten, dass die Charité darauf hinweisen muss, dass die Professur von der Software-AG-Stiftung finanziert wird. Was sie dann aber nicht macht.

Zu diesem Zeitpunkt ist die Professur bereits öffentlich ausgeschrieben. In der Ausschreibung sind sehr spezielle Anforderungen formuliert: Gewünscht sind unter anderem Expertise in der Gastroenterologie und Onkologie sowie Forschungsinteresse für chronisch entzündliche Darmerkrankungen. Das sind zufälligerweise die Spezialisierungen, die der ärztliche Leiter des Krankenhauses Havelhöhe vorzuweisen hat: Harald Matthes.

Matthes landet als „primo et unico loco“ auf der Berufungsliste, also als erstplatzierter und einziger Kandidat. Ob sich überhaupt noch jemand anderes auf die Professur beworben hat, möchte die Charité nicht beantworten. Normalerweise stehen auf einer Berufungsliste drei Personen, es sei denn, die Anforderungen an die Professur sind zu nischig. Als im Fakultätsrat über die Besetzung der Professur abgestimmt wird, braucht es zwei Wahlgänge, weil die nötige Mehrheit bei der ersten Abstimmung nicht erreicht wird. Im März 2017 wird Matthes schließlich als Professor an die Charité berufen. Für die An­thro­po­so­ph:in­nen hat das historische Bedeutung: „Es kommt einem Ritterschlag für die Anthroposophische Medizin gleich“, heißt es in einer Chronologie des Dachverbandes.

Ein Professor mit Sonderwünschen

Vor seiner Berufung hat Harald Matthes sich noch eine Besonderheit ausgehandelt: Er möchte Chefarzt in Havelhöhe bleiben, weshalb er sich formal am ersten Tag seiner Professorenkarriere an der Charité für fünf Jahre beurlauben lässt. Dieses Konzept nennt sich „Jülicher Modell“. Harald Matthes ist nicht der Erste, der seine Professur in dieser Form ausübt. Unüblich aber ist die Kooperation mit einem privaten Krankenhaus, normalerweise wird die Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen vereinbart.

Matthes’ Arbeitgeber, das Krankenhaus Havelhöhe, profitiert dadurch auch finanziell von dem Deal. Die Charité überweist nämlich einen großen Teil des Stiftungsgeldes nach Havelhöhe – in den Unterlagen ist die Rede von einem Betrag in Höhe eines W2-Gehaltes. Der damalige Dekan der Charité, Axel Radlach Pries, nennt Matthes’ Wünsche in einem Schreiben „ungewöhnlich und über bisherige Modelle von Stiftungsprofessuren an der Charité hinausgehend“.

Auch unüblich ist, dass ­Harald Matthes laut dem internen Lehrveranstaltungsverzeichnis keine Kurse an der Charité gibt, obwohl der der taz vorliegende Vertrag neun Semesterwochenstunden Lehre festschreibt. Beim Jülicher Modell sind zwei Stunden Lehre pro Woche die Regel.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Harald Matthes ist also bei der Sache der große Gewinner: Er bekommt einen Professorentitel ohne viele Verpflichtungen, während gleichzeitig Geld an sein Krankenhaus fließt.

Was hat aber die Charité davon? Im Vertrag über die Einrichtung der Professur heißt es, dass so neue Aspekte in die Forschung, Lehre und Krankenversorgung fließen sollen. Matthes selbst gibt sich überzeugt, dass er zum wissenschaftlichen Fortschritt der Institution beiträgt. Bevor seine Professur nach fünf Jahren ausläuft, bittet er im August 2021 um Verlängerung. „Ich möchte darauf hinweisen, dass meine Arbeiten und Ergebnisse in Forschung, Lehre und klinischer Versorgung zu internationaler Anerkennung geführt und zur Reputation der Charité beigetragen haben“, schreibt er. Zu diesem Zeitpunkt arbeitet er an der sogenannten ImpfSurv-Studie, für die Menschen mit einem Onlinefragebogen zu möglichen Nebenwirkungen durch die Corona-Impfung befragt werden. Er bekommt dafür viel Aufmerksamkeit in den Medien.

Mangelhafte Forschung

Im April 2022 etwa taucht Matthes im MDR-Fernsehen auf, sein Name wird eingeblendet, darunter „Charité Berlin“. Er präsentiert die Zwischenergebnisse seiner Studie: Die schweren Nebenwirkungen seien viel häufiger, als das für Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut angeben würde. Nur: Das kann man so gar nicht sagen.

Die Studie hat methodische Mängel, die Charité distanziert sich von den Aussagen ihres Professors. Personen hätten doppelt an der Befragung teilgenommen, und ohne die Beurteilung einer Ärz­t:in auf einen Zusammenhang zwischen Symptomen und Impfung zu schließen sei nicht wissenschaftlich. Die Studie wird abgebrochen.

Davor, als die Studie noch lief, hat sich die Evaluierungskommission mehrmals getroffen, um über die Verlängerung der Stiftungsprofessur zu beraten. Sie hat dabei „alle Leistungen Prof. Matthes eingehend geprüft“. Was genau die Kommission festgehalten hat, ist nicht bekannt. Das der taz herausgegebene Dokument ist großflächig geschwärzt.

Fest steht: Im Februar 2022 stimmt die Kommission für die Verlängerung um weitere fünf Jahre. Die Anthroposophie darf ihre Professur an der Berliner Charité bis mindestens 2027 behalten. Die anthroposophische Stiftung überweist dafür nun 293.000 Euro im Jahr.

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