Anschlagsserie in Sachsen: Ein Verdacht liegt in der Luft

Über Monate verübten wohl Autonome Anschläge in Sachsen, nun konnte die Polizei zwei Männer festnehmen. Doch die Beweise sind überaus dünn.

Sachsens Innenminister Roland Wöller bei einer Pressekonferenz in Dresden

Zu früh über die Festnahmen gefreut? Sachsens Innenminister Roland Wöller Foto: Sebastian Kahnert, dpa

DRESDEN taz | Roland Wöller ließ es nach einem Durchbruch klingen. Seit Monaten verübten mutmaßlich Autonome Brandanschläge auf Baukräne und Polizeiautos in Leipzig, attackierten eine Immobilienmaklerin, setzten in Bautzen und Rodewisch Baufahrzeuge in Brand. Verhaftungen aber? Fehlanzeige. Bis Sachsens Innenminister vor einer Woche stolz die Festnahme zweier Linksextremisten einige Tage zuvor vermeldete: Sie sollen verantwortlich sein für den Anschlag in Rodewisch. Ein großer Ermittlungserfolg, freute sich Wöller.

Das LKA und die Generalstaatsanwaltschaft Dresden aber bleiben bis heute seltsam gebremst: Zu den Festnahmen wird dort geschwiegen, „aus ermittlungstaktischen Gründen“. Nicht mal das Geschlecht oder Alter der Beschuldigten wird genannt. Die Zurückhaltung könnte einen Grund haben: Denn die Haftbefehle stehen nach taz-Informationen auf durchaus wackligen Füßen.

In der Nacht zum 5. November 2019 hatten Unbekannte in Rodewisch auf dem Gelände einer Baufirma vier Baufahrzeuge mit Brandsätzen angezündet und vollständig zerstört. Der Schaden betrug 400.000 Euro. Parallel erfolgte ein Brandanschlag auf eine Baufirma in Bautzen, mit ähnlich hohem Sachschaden.

„Feuerzellen gegen Knäste“

In einem Bekennerschreiben auf Indymedia wurden die Taten als Vergeltung dafür begründet, dass sich die Firmen am Bau der neuen JVA Zwickau beteiligten. Die Unternehmen dürften sich „nicht an dem grausamen Geschäft des Knastsystems beteiligen“. Unterzeichnet wurde mit: „Militante Feuerzellen gegen Knäste“.

Zu den Anschlägen übernahm die kurz danach gegründete Soko Linx des LKA Sachsen die Ermittlungen. Je 30.000 Euro Belohnung für Hinweise wurden ausgelobt. Und die Ermittler betrieben einigen Aufwand, um die Täter zu finden, wie Ermittlungsunterlagen zeigen. Zum einen durchforsteten sie das Internet, zum anderen hefteten sie sich an eine konkrete Spur: einen nicht gezündeten Brandsatz. Zwar fanden sie daran offenbar keine DNA-Spuren, aber sie entnahmen Geruchsproben.

Jürgen Kasek, Anwalt

„Auf dieser Grundlage hätte es nie einen Haftbefehl geben dürfen“

Vor einigen Wochen schien es, als seien die Ermittler schließlich fündig geworden. Sie stießen auf ein Facebookprofil eines 22-Jährigen, der sich kritisch über Hentschke Bau, die angegriffene Bautzener Baufirma, äußerte. Linke werfen dem Inhaber eine frühere Großspende an die AfD vor. Mit einem Polizeihund, der zuvor die Geruchsspuren des Brandsatzes aufgenommen hatte, rückten die Ermittler dann Anfang September bei der WG des Mannes in Dresden an – und der Hund schlug an. Auch ein zweiter Hund bestätigte laut Ermittlungsunterlagen, dass der Geruch des Brandsatzes in der Wohnung wahrnehmbar war.

Für die Ermittler war dies Beweis genug, dass sich der Beschuldigte am Tatort befand. Der Mann wurde, zusammen mit seinem 23-jährigen Mitbewohner, festgenommen. Der Vorwurf: besonders schwere Brandstiftung.

„Völlig haltlose Beweisführung“

Mehr als die Hunde scheinen die Ermittler aber nicht in der Hand zu haben. Und schon die werfen Fragen auf: Konnte ein Hund wirklich noch zehn Monate nach der Tat den Geruch des Brandsatzes in der Wohnung nachweisen? Jürgen Kasek, Anwalt des festgenommenen 22-Jährigen, hält das für ausgeschlossen. „Das erscheint mir nach so langer Zeit unmöglich und ist eine völlig haltlose Beweisführung. Auf dieser Grundlage hätte es nie einen Haftbefehl geben dürfen.“

Laut Kasek bestreitet sein Mandant vehement, etwas mit der Tat zu tun zu haben. Auch habe er sich im Tatzeitraum in einer Berufsschule nahe Dresden befunden, ohne Fehlzeiten. In der Tatnacht sei er in seiner früheren Wohnung bei Dresden gewesen, was sein damaliger Mitbewohner bezeugen könne. Laut Kasek befinden sich auch auf beschlagnahmten Datenträgern des 22-Jährigen keine Hinweise auf die Tat. Es gebe nicht mal einen Nachweis, dass sein Mandant überhaupt zur autonomen Szene gehöre. Jedenfalls hätte er sich mit seiner Face­book-Kritik an Hentschke Bau reichlich unkonspirativ verhalten, so der Anwalt. „Ich bin mir sehr sicher, dass hier die Falschen festgenommen wurden.“

Prüfung des Haftbefehls beantragt

Kasek beantragte inzwischen einen Haftprüfungstermin beim Amtsgericht Dresden, um den Haftbefehl des Festgenommenen aufheben zu lassen. Das Gericht und die Generalstaatsanwaltschaft äußerten sich dazu und zum Ermittlungsstand nicht. Auch der Anwalt des zweiten Festgenommenen wollte vorerst nichts zu dem Fall sagen.

Innenminister Wöller dürfte nun sehr genau schauen, wie sich der Fall weiterentwickelt. Denn hat Anwalt Kasek Erfolg und würden die Festgenommenen wieder freigelassen, wäre die Erfolgsbilanz der Ermittler zu der Anschlagsserie in Sachsen wieder bei null.

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