
Anschlag auf Jugendzentrum in Bremen: Antifa überführt Nazi-Brandstifter
Wegen Brandstiftung im Bremer Jugendzentrum „Friese“ wird am Donnerstag das Urteil erwartet. Dass es dazu kommt, ist Antifa-Recherchen zu verdanken.
E s ist Donnerstag, der 22. Oktober 2020, als gegen Mittag ein anonymes Schreiben bei der Bremer Polizei eingeht. Auf rund zehn Seiten übermitteln der oder die Verfasser darin Details zu möglichen Tätern, die für den Brandanschlag auf das alternative Jugendzentrum „Friese“ verantwortlich sein könnten. Schritt für Schritt gehen die Hinweisgeber die Indizien durch, ganz so, als wäre es das Protokoll einer Ermittlung. Allein: Es handelt sich nicht um das Ergebnis polizeilicher Arbeit. Die Hinweise, die tatsächlich zu den mutmaßlichen Täter führen werden, basieren auf Recherchen aus der Zivilgesellschaft.
Neun Monate zuvor kam es in der Nacht zum 16. Februar 2020 in der Einrichtung „Friese“ im Bremer alternativen Szeneviertel Steintor zu einer verheerenden Brandstiftung. Während im Erdgeschoss über 30 Menschen ein Konzert besuchen, lodern im Obergeschoss die Flammen. Es hätte Tote geben können. Der Rauch zieht irgendwann nach unten. Nur so bemerken die Veranstalter das Feuer, reagieren und verhindern das Schlimmste.
Mehrere Menschen erleiden Rauchvergiftungen, viele kämpfen bis heute mit den Erinnerungen und dem psychischen Trauma. An dem Haus entsteht ein Schaden von rund 200.000 Euro.
Über fünf Jahre später soll in dem Prozess vor dem Bremer Landgericht nun am Donnerstag ein Urteil gesprochen werden. Drei Männer sind wegen schwerer Brandstiftung angeklagt, allesamt Rechtsextremisten. Dass es überhaupt zum Prozess kam, geht zu einem erheblichen Teil auf die Arbeit antifaschistischer Recherchegruppen zurück.
Mängel bei den Ermittlungen der Polizei
Während der zurückliegenden Verhandlungstage wurde klar: Die polizeilichen Ermittlungen hatten Mängel. Im Bezug auf die Geschwindigkeit, dann handwerklich, aber auch, weil der weitere politische Kontext der Tat zu wenig Beachtung fand. Es wurde nicht wegen versuchter Tötung ermittelt und die tatsächlichen Verletzungen der Betroffenen spielten erst auf Drängen der Nebenklage eine Rolle. Bis heute ging die Polizei offenbar nicht der Frage nach, wie stark Bezüge der Angeklagten zu rechtsterroristischen Strukturen bestehen. Im gleichen Jahr des Anschlags auf die Friese gab es weitere Brandstiftungen im norddeutschen Raum, etwa in Syke, Gnarrenburg und Ganderkesee sowie ein Jahr später in Braunschweig.
Unabhängig von dem Urteil wird das nun ein parlamentarisches Nachspiel haben. Die Linksfraktion macht die Mängel der Polizeiarbeit in der Bremischen Bürgerschaft aktuell erneut mit einer Kleinen Anfrage zum Thema. „Die Ermittlungen zum Brandanschlag auf die Friese sind zu langsam und teilweise fehlerhaft geführt worden“, erklärt Nelson Jansen, der innenpolitische Sprecher und Fraktionsvorsitzende der Linken gegenüber der taz. „Der Staatsschutz als Abteilung der Polizei scheint derzeit nicht in der Lage zu sein, rechte Gewalt zuverlässig zu erkennen.“

Noch deutlicher werden die Vertreter*innen der Nebenklage und der Opferberatung. Sie sprechen von einem „rechtsterroristischen Anschlag“, dessen Gefahr die Behörden nicht erkannt hätten. „Die zögerlichen und unprofessionellen Maßnahmen des Staatsschutzes senden ein fatales Signal an alle Betroffenen rechter Gewalt: Der Rechtsstaat schützt euch nicht“, erklärte die Bremer Betroffenenberatung soliport. Lea Voigt, Anwältin der Nebenklägerin, sagte: „Die Polizei hat meiner Mandantin und den weiteren Betroffenen über Jahre das Gefühl vermittelt, dass ihr der Fall egal ist.“
Verfahren lag monatelang brach
Bereits einen Monat nach der Tat, im März 2020, hatten Zeugen offiziell zu Protokoll gegeben, zwei der möglichen Täter identifiziert zu haben. Wiedererkannt hatten sie deren Gesichter nicht etwa in einer Verdächtigendatei der Polizei, sondern auf der Webseite des Medienkollektivs Recherche-Nord, das rechtsextreme Veranstaltungen dokumentiert.
Doch danach passierte monatelang nichts. Das Verfahren lag brach. Stattdessen wurde die Hauptermittlerin im Sommer 2020 vom Fall abgezogen und sollte als eine weitere von zahlreichen Ermittler*innen in der „Soko Spielplatz“ einen womöglich ebenfalls rechtsextremen Täter finden, der auf Bremer Spielplätzen Messer anbrachte und wohl auch für den Versand von Dutzenden Pulverbriefen verantwortlich sein soll, die unter anderem bei Parteibüros eingingen und für Großeinsätze sorgten.
Es brauchte fast ein Jahr, bis im Fall der Brandstiftung in der Friese ein dritter Verdächtiger über eine Funkzellenabfrage identifiziert wurde. Weitere Monate vergingen, bis Hausdurchsuchungen beantragt und dann auch Telefone abgehört und die Verdächtigen observiert wurden.
Auch dabei wurden Fehler gemacht. Als die Ermittler Ende September 2021 morgens bei dem Hauptangeklagten Jan Hendrik E. auf einem Hof im Landkreis Verden vor der Tür stehen, ist er nicht da. Die leitende Ermittlerin erreicht ihn auf seinem Handy. E. kommt daraufhin nach Hause, hat sein Mobiltelefon aber auf dem Weg entsorgt. Er hatte auch die Zeit, Mittäter womöglich zu warnen.
Bezüge zum Rechtsterrorismus
Was die Beamten bei E. vorfinden, gleicht einer Filmkulisse für den Führerbunker. Alles ist übersäht mit Nazi-Devotionalien. Diverse Hakenkreuzfahnen hängen an den Wänden, eine Reichskriegsflagge, eine der SS sowie der Landvolk-Bewegung, die auch bei den vergangenen rechtsdriftenden Bauernprotesten eine Rolle spielte. Die Ermittler finden Bilder von Adolf Hitler und mehrere Ausgaben von „Mein Kampf“, einen Stahlhelm und auf dem Tisch einen Baseballschläger. Neben zahlreichen weiteren einschlägigen Werken steht Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ im Regal.
Und es werden mehrere Bezüge zu rechtsterroristischen Gruppen entdeckt. In den Boden der Scheune ist ein Hakenkreuz geritzt, daneben die Worte „Danke Uwe“, was als Andeutung auf Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt verstanden werden kann, die Haupttäter des NSU-Netzwerks.
E. besaß zudem das Manifest „Der Weg vorwärts“ des in Deutschland verbotenen internationalen Neonazi-Netzwerks „Blood&Honour“, in dem zahlreiche Unterstützer der NSU-Terroristen aktiv waren. Das Manifest steht in der Tradition weiterer Schriften, die zu einem sogenannten „führerlosen Widerstand“ anleiten. Es ruft dazu auf, sich in kleinen Terrorzellen zu organisieren und gegen Migrant*innen und politische Feinde vorzugehen.
Möglichen Verbindungen zu rechtsterroristischen Strukturen gehen die Ermittler aber nicht weiter nach. All die genannten Beweisstücke wurden zwar fotografiert, aber nicht beschlagnahmt. Bei der Aussage der damaligen Ermittlungsführerin vor Gericht wird deutlich, dass dies wohl auch den Vorgesetzten missfiel. Einen Tag später wurde sie von dem Fall abgezogen. Radio Bremen zitiert sie mit der Aussage: „Da war jemand enttäuscht, dass ich keinen ‚Gabentisch‘ bereitet habe für die Presse.“
Zwei der Angeklagten könnten auf freiem Fuß bleiben
Für den Hauptangeklagten E. forderte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer an einem der letzten Verhandlungstage eine Gefängnisstrafe von drei Jahren und neun Monaten wegen schwerer Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen und versuchter gefährlicher Körperverletzung in 30 Fällen. Er hatte zu Beginn des Prozesses ein Teilgeständnis abgelegt und zugegeben, mit den beiden Mitangeklagten in der Friese gewesen und den Brand „aus Versehen“ gelegt zu haben. Sein Verteidiger fordert eine Bewährungsstrafe.
Die Verteidiger der Mitangeklagten Nico J. und Dave S. wollen für sie einen Freispruch, die Staatsanwaltschaft eine Bewährungsstrafe wegen Beihilfe. Folgt das Gericht den Anträgen, so bleiben beide als Ausgang aus diesem Verfahren also auf freiem Fuß.
Dabei sind auch Nico J. und Dave S. seit Jahren in gewalttätige neonazistische Strukturen eingebunden. Ein Foto vom Oktober 2019, das die Antifa Bremen veröffentlichte, zeigt Nico J. und Dave S. als Teil der Gruppe „Phalanx 18“. Vier Monate vor der Tat posierten die beiden darauf neben sieben weiteren Männern nur 200 Meter von der Friese entfernt. Die Gruppe war gezielt gegen politische Gegner*innen vorgegangen.
Einen Monat später, im November 2019, wurde „Phalanx 18“ vom Bremer Innensenator verboten. „Der Verein ist der nationalsozialistischen Ideologie verhaftet und hat versucht, seine Ideologie mit aggressiv-kämpferischen Maßnahmen durchzusetzen“, heißt es in der Begründung. Mitglieder hätten versucht, weitere Sympathisanten zu radikalisieren, für rechtsextremistische Veranstaltungen wie den verbotenen ‚Kampf der Nibelungen‘ geworben und in Bremen mehrfach körperliche Auseinandersetzungen gesucht. Durchsuchungen fanden aus diesem Anlass auch bei Nico J. statt.
Aktiv in der rechtsextremen Szene
Bei späteren Durchsuchungen im Zusammenhang mit dem Friese-Verfahren wurden sowohl bei Dave S. als auch bei Nico J. kinderpornografisches Material gefunden – bei J. daneben auch Flyer der neonazistischen Partei III. Weg, auf denen die Partei härtere Strafen für Kinderschänder fordert.
Dave S. und Nico J. waren mehrfach gemeinsam auf rechtsextremen Veranstaltungen, etwa auf Demos von Corona-Leugnern in Bremen und Berlin, sowie auch auf einer Kundgebung der neonazistischen Partei „Die Rechte“ in Bremerhaven einen Monat vor dem Brandanschlag. Dave S. wurde bereits wegen Körperverletzung verurteilt.
Nico J. ist schon lange in der Szene aktiv und gehörte zu einer Kerngruppe der Partei „Die Rechte“ aus Bremen und dem niedersächsischen Umland, bei deren Gründung 2018 auch der Neonazi-Kader Henrik Ostendorf mitmischte. Bereits 2016 war J. auf einer geschlossenen Veranstaltung mit der mittlerweile verstorbenen Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck – zusammen mit dem Hauptangeklagten Jan E.
Vierte im Bunde ist der Bremer Neonazi Martin B.
Auch 2018 und 2019 war Nico J. mit dem Hauptangeklagten auf Demos unterwegs – sowie mit einem vierten im Bunde: Martin B.. Der gehört zum festen Kreis der Bremer Neonaziszene und nahm in der Vergangenheit beispielsweise an der Wanderung zur Stedingsehre teil, einer konspirativen Hintergrund-Veranstaltung für ausgewählte Kader.
B. gilt als Bindeglied zwischen älteren Netzwerken um die Gruppen „Phalanx 18“, die Partei „Die Rechte“ und aktuelleren Neonazi-Gruppe wie „Weserems-Aktion“ und „Division 1161“. Diese sind in einen Trend einzuordnen, der bundesweit zu beobachten ist, und bei dem neue Gruppen aus jungen Neonazis, besonders militant auftreten und denen es darum geht, politische Gegner*innen anzugreifen und einzuschüchtern.

Den Verweis auf größere politische Zusammenhänge hatten die mutmaßlichen Täter in der Nacht des Brandanschlags auf die Friese auch selbst gegeben. In dem Jugendzentrum hinterließen sie Aufkleber, die später auch bei den Durchsuchungen gefunden wurden. Einer ist dabei von der Partei „Die Rechte“, ein anderer nennt eine „Gruppe 11“. Dieser verweist auf einen Zusammenschluss in der norddeutschen Neonaziszene.
Aufkleber der „Gruppe 11“ tauchten seit Ende 2019 in neonazistischem Kontext auf, etwa im Hintergrund einer Videobotschaft von Johannes Welge, damals Kreisvorsitzender der Partei „Die Rechte“ in Hildesheim. Die Art des Labels folgt der satirischen Logik eines Internetmemes, indem sich mit Fotos anscheinend über einen rechtsextremen Mitstreiter aus Südniedersachsen lustig gemacht wird – eine Gamification des militanten Neonazismus.
Sticker der „Gruppe 11“ auf bei Brandanschlag in Braunschweig
Der Anschlag auf die Friese in Bremen ist dabei auch nicht die einzige Tat, in deren Zusammenhang Aufkleber der „Gruppe 11“ auftauchen. Am 9. März 2021 kam es in Braunschweig zu einem versuchten Brandanschlag auf das Antifa-Café Nexus. In der Nähe fanden sich damals ebenfalls Sticker der „Gruppe 11“. Mittlerweile wurde ein Mann für die Tat verurteilt, der aus dem Umfeld der Partei „Die Rechte“ stammt.
Vieles spricht dafür, dass die mutmaßlichen Täter aus Bremen nicht so unorganisiert waren, wie ihre Verteidiger im Prozess es darstellten. Nico J. und Dave S. beispielsweise trafen sich direkt nach den Hausdurchsuchungen, obwohl sie keine Handys mehr hatten und auf unterschiedlichen Polizeiwachen waren. Womöglich hatten sie sich für einen solchen Fall bereits an einem bestimmten Ort verabredet.
Vorfälle aus jüngster Zeit werfen weitere Fragen auf. Direkt nach dem ersten Prozesstag im Januar 2025 wurde das Auto der Nebenklägerin beschädigt. In der gleichen Nacht traf es auch das Auto des Rechtsextremismus-Experten und Fachjournalisten von Recherche-Nord, André Aden. Dieser war beim Prozessauftakt als Fotograf anwesend. Nico J. und der Hauptangeklagte Jan E. kennen ihn schon länger namentlich. Die Vertreterin der Nebenklage, Lea Voigt, hatte den Vorfall direkt danach als Einschüchterungsversuch gewertet: „Wir gehen davon aus, dass das einen Zusammenhang mit dem Verfahren hat“, sagte sie. Im Urteil wird all das aber wohl keine Rolle spielen.
Jean-Philipp Baeck ist Reporter im Recherche-Ressort der taz. Lotta Kampmann ist Journalistin beim Medienkollektiv „Recherche-Nord“.
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