Anonymität von Aktivist:innen: Innenminister gegen Fingerkleberei
Aktivist:innen verkleben bei Protesten ihre Fingerkuppen, um nicht identifiziert zu werden. Die Innenminister wollen dagegen nun vorgehen.
Die Praxis ist inzwischen geläufig bei linken Besetzungsaktionen, etwa bei den Aktivist:innen von „Ende Gelände“ in Tagebauen oder dem Protest im Dannenröder und Hambacher Forst. Fingerkuppen werden mit Sekundenkleber bestrichen oder mit Rasierklingen eingeritzt, damit die Polizei keine Fingerabdrücke nehmen kann. Ausweise bleiben zu Hause, teils werden noch Gesichter geschminkt.
Für die Polizei ist das schon länger ein Ärgernis. Nun reagieren die Innenminister. Auf ihrer halbjährlichen Innenministerkonferenz (IMK), die am Mittwochabend in Rust (Baden-Württemberg) begann, soll ein schärferes Vorgehen gegen die Aktivist:innen vereinbart werden. Es brauche „eine Erweiterung und Erhöhung des Sanktionsrahmens“ für jene, die ihre Identität vorsätzlich gegenüber Amtsträgern „durch Manipulation körperlicher Identifizierungsmerkmale“ verschleierten, heißt es in einer Beschlussvorlage, die der taz vorliegt. Zudem sollen Gewahrsamnahmen zur Identitätsfeststellung über die bisherigen 12 Stunden hinaus möglich sein.
„Zu seiner Meinung stehen“
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU), diesmal IMK-Gastgeber, macht Druck. „Es macht den Kern unserer Demokratie aus, dass wir Argumente und Meinungen offen austauschen“, so Strobl zur taz. „Wer politisch aktiv ist, soll für jeden erkennbar zu seiner Meinung stehen – und nicht feige Fingerkuppen überkleben, um seine Identität zu verschleiern.“
Die Aktivist:innen sehen in dem Vorstoß dagegen eine Kriminalisierung ihres Protests. „Wir sind mitten in der Klimakrise und trotzdem wird unser Protest durch neue Maßnahmen immer weiter kriminalisiert“, erklärte Kim Solievna, Sprecherin von Ende Gelände, der taz. „Das ist undemokratisch und skandalös im Angesicht der sich weiter verschärfenden Erderhitzung und des zerstörerischen Kapitalismus. Ziviler Ungehorsam bleibt legitim.“
Konkret wollen die Innenminister Paragraf 111 des Ordnungswidrigkeitsgesetzes verschärfen. Über diesen können schon jetzt Geldbußen bis zu 1.000 Euro verhängt werden für Personen, die Amtsträgern ihre Personalien verweigern oder falsch benennen. Den Innenministern reicht das nicht. Einen neuen Höchstsatz lässt der Beschlussentwurf aber vorerst offen.
Mehr als 12 Stunden Gewahrsam
Verschärft werden soll auch Paragraf 163c der Strafprozessordnung, der festhält, dass Personen für Identitätsfeststellungen nicht länger als zwölf Stunden in Polizeigewahrsam bleiben dürfen. Die IMK will diese Grenze streichen: Auch längere Freiheitsentziehungen seien „in eng umgrenzten Ausnahmefällen“ und „zur effektiven Gewährleistung und Durchsetzung des Strafverfolgungsinteresses des Staates“ erforderlich, heißt es in der Beschlussvorlage. Dafür sollen auch die JustizministerInnen von Bund und Ländern eingespannt werden. Längere Gewahrsamnahme, etwa wenn auch schwerere Straftaten vorgeworfen werden, sind auch heute schon möglich, aber nur mit Richterentscheidung.
Ende Gelände verteidigt dagegen sein Vorgehen. „Die Maßnahmen, die wir gezwungen sind zu ergreifen, um unsere Identität zu schützen, sind der ständigen Kriminalisierung zum Beispiel durch die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, aber auch den Bedrohungen von rechts geschuldet“, erklärt Solievna. Sie dienten zudem dem „Schutz vor Einschüchterungsversuchen seitens Konzernen.“
NRW hatte schon 2018 sein Polizeigesetz verschärft und – auch wegen der Proteste in Tagebauen und im Hambacher Forst – den Polizeigewahrsam zur Identitätsfeststellung auf bis zu sieben Tage verlängert. Auch nach den Aktionen im Dannenwalder Forst in Hessen saßen einige Aktivist:innen, die ihre Identität nicht preisgaben und denen schwerere Straftaten vorgeworfen werden, länger in Haft. Für eine junge Frau gilt das seit November bis heute.
Ziviler Ungehorsam
Erst am Dienstag hatten Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts auch vor radikalem Klimaprotest gewarnt. Linksextreme instrumentalisierten den Klimaschutz und verschöben den demokratischen Diskurs, heißt es in dem Bericht. Ende Gelände wird dabei eine „maßgebliche Rolle“ zugeschrieben. Auch im Dannenröder Forst seien Arbeiter und Polizisten angegriffen, Baumaschinen angezündet oder Fallen gelegt worden.
Ende Gelände beruft sich mit seinen Aktionen dagegen auch auf das höchste deutsche Gericht. „Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass der Staat nicht genug für den Klimaschutz tut“, so Sprecherin Solievna. „Mit unserem Protest nehmen wir deshalb den Kampf für mehr Klimagerechtigkeit selber in die Hand.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt