Angriff auf junge Berlinerin: Es geht um Rassismus
Eine Jugendliche wird von sechs Erwachsenen angegriffen – angeblich, weil sie keine Maske trug. Nun wehrt sie sich mit einem Instagram-Video.
Doch nicht nur wegen des Angriffs setzt sie sich mit Namen und Gesicht im Internet weiteren Anfeindungen aus. Sondern auch, weil „die Presse die Wahrheit verdreht und Lügen über mich verbreitet, muss ich mich so an die Öffentlichkeit wenden, weil ich das nicht auf mir sitzen lassen kann“, wie sie sagt.
Tatsächlich ging der Fall in den vergangenen Tagen durch die Medien, sogar überregional: „Jugendliche (17) ohne Corona-Maske in Tram verprügelt“, schrieb die B.Z. „Erwachsene verprügeln 17-Jährige, weil sie keine Maske trägt“, titelte der Focus. Alle Medien, auch die seriösen Tagesspiegel und Welt, schlagen denselben Ton an: Eine jugendliche „Maskenverweigerin“ sei angegriffen worden.
Unhinterfragt übernommen
Ursprung dieser Geschichte ist eine Polizeimeldung von Sonntag, die so beginnt: „Bei einem Streit über eine fehlende Mund-Nase-Bedeckung wurde gestern Abend in Prenzlauer Berg eine 17-Jährige verletzt.“ Im Folgenden wird geschildert, was der jungen Frau, die selber die Polizei gerufen hat, passiert sei. Es entsteht der Eindruck, sie selbst habe angegeben, ihre fehlende Corona-Maske sei Auslöser des Angriffs gewesen. Diese Darstellung wird von den Medien unhinterfragt übernommen, überall mit dem gleichen Tenor: Ein Streit um eine fehlende Corona-Maske eskaliert.
So sei es jedoch keineswegs gewesen, widerspricht Sözeri in ihrem Video: „Ich wurde gestern zusammengeschlagen, weil ich Ausländerin bin.“ Sichtlich bewegt und immer wieder den Tränen nahe erzählt sie, wie sie am Samstagabend an der Haltestelle Hufelandstraße in die Straßenbahnlinie M4 steigt und dabei mit ihrer Mutter telefoniert. Eine Station später seien „drei alkoholisierte Personen“ eingestiegen“, zwei Frauen und ein Mann. Eine habe direkt gesagt: „Verpiss dich, du alte Fotze“; es seien rassistische Beleidigungen gefolgt.
Sie habe erwidert, dass sie hier geboren sei und einen deutschen Pass habe, sagt Sözeri in ihrem Post auf Instagram – aber selbst wenn nicht, sei dies kein Grund sie anzugehen: „Wir sind alle Menschen.“ Zu diesem Zeitpunkt habe sie selbst eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen, betont Sözeri. „Die drei Personen hatten keine.“
Sie habe dann die drei darauf hingewiesen, „dass sie ihre Masken anziehen sollen, und danach mit mir weiter reden können“, zumal der Mann ihr sehr nahe gekommen sei. Die Erwachsenen hätten sie immer mehr bedrängt, eine der Frauen habe versucht sie zu schlagen.
An einer Haltestelle, laut Polizeibericht die Greifswalder Straße, sollen dann laut Sözeri alle ausgestiegen sein. „Aus dem Nichts“ mischt sich nun nach Sözeris Schilderung eine dritte Frau mit und fordert, dass allein sie, Sözeri, ihre Maske anziehen möge – dabei habe niemand der Umstehenden eine Maske angehabt.
Die Frau habe ihr ins Gesicht „gegrabscht“, sagt Sözeri. Ein „Zwei-Meter-Mann“ habe sich vor ihr aufgebaut, sie bedroht und gesagt, sie solle „aufpassen, was ich in seinem Land sage“. Als sie ausgewichen sei, habe sie ein zweiter Mann als „Drecksausländer“ beschimpft; die Frauen hätten sie geschubst, geschlagen und an den Haaren gezogen.
In diesem Moment sei ihr das Handy eingefallen, weil ihre Mutter in der Leitung geweint habe. Sie habe aufgelegt und begonnen zu filmen, doch nach wenigen Sekunden sei das Handy durch die Angriffe zu Boden gefallen und ausgegangen.
Danach hätten sie zwei Männer an den Armen festgehalten, berichtet Sözeri unter Tränen, die Frauen und ein dritter Mann auf Kopf und Bauch eingeschlagen und in die Beine getreten. „Natürlich habe ich zu diesem Zeitpunkt auch um Hilfe geschrien“, fährt die junge Frau fort, „der Bahnhof war voll. Ich habe gebettelt um Hilfe“. Stattdessen habe sich ein Mann vor ihr aufgebaut, mit „Hass in den Augen“, und sie ausgelacht. „Die anderen auch, die haben mir nicht geholfen.“ Schließlich habe einer der Männer gesagt, nun reiche es, die Gruppe sei abgezogen.
Eine gut besuchte Haltestelle
Sözeri nahm ihr Handy wieder auf und filmte erneut. Sie hat diese Szenen in ihr Instagram-Video aufgenommen und man kann eine in der Tat gut besuchte Haltestelle mit Menschen sehen, die unbeteiligt zuschauen.
Laut Polizeibericht erkannten die von Sözeri gerufenen Beamten dank des Handyvideos einen der Männer aus einem vorangegangenen Einsatz in einer Kneipe wieder. Dort „konnten die drei Männer, 42, 44 und 51 Jahre alt, festgestellt und ihnen der Tatvorwurf gemacht werden“. Sie wurden nach Alkoholtest und Personalfeststellung freigelassen, von den drei Frauen fehlt bislang jede Spur. Die Polizei sucht nun nach Zeugen.
Auf die Anfrage der taz, warum die Polizeimeldung Sözeri als Nicht-Masken-Trägerin darstellt, erklärt die Polizeipressestelle, dies sei von den Beamten vor Ort so weitergeleitet worden. „Im Rahmen der Sichtung vorhandenen Videomaterials sowie weiterer Ermittlungen, konnte nun festgestellt werden, dass die Jugendliche beim Ein- und Aussteigen aus der Tram eine Mund-Nase-Bedeckung trug und diese lediglich bei dem auf die rassistischen Beleidigungen folgenden Streitgespräch mit den sechs Erwachsenen kurzfristig nach unten gezogen hatte“, so die Polizei. Die Ermittlungen dauerten an.
Sözeri sagt im Video, sie liege seit zwei Tagen im Krankenhaus mit Gehirnerschütterung, einem Bauchtrauma und „etlichen Prellungen und Verletzungen“ am ganzen Körper. „Ich bin körperlich und psychisch wirklich am Ende, weil ich nicht verstehen kann, wie 2022 immer noch solche Menschen auf diesem Planeten leben können.“ Sie verstehe auch nicht, warum Polizei und Presse die Tatsachen derart verdrehen würden. Zum Schluss appelliert sie direkt in die Kamera blickend, das Video zu teilen und „der Welt ein Statement zu setzen, dass das so nicht weitergehen kann“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren