Angela Merkel in den USA: Abschied unter Impf-Protest
Joe Biden empfängt Merkel in Washington. Das Treffen wird überschattet von Demos gegen Deutschlands Beharren auf dem Patentschutz für Impfstoffe.
![Demonstrierende mit einer Merkel-Puppe Demonstrierende mit einer Merkel-Puppe](https://taz.de/picture/4978292/14/Merkel-USA-1.jpeg)
Einige trugen Masken aus dem zurückliegenden Präsidentschaftswahlkampf mit der Aufschrift „Biden/Harris“. Ein paar Straßen weiter, vor dem Hauptsitz des Pharmariesen Pfizer, der seine Fassade mit dem Slogan „Die Wissenschaft gewinnt“ dekoriert hat, riefen sie: „Pfizer profitiert vom Leiden der Menschen“.
DemonstrantInnen blockierten auch eine zentrale Kreuzung, bis sie von der Polizei geräumt wurden. Auch vor mehreren deutschen Konsulaten quer durch die USA fanden Proteste statt. Am Weißen Haus stieg ein Banner auf, das die Bundeskanzlerin aufforderte, den Patentschutz für Covid-19-Impfstoffe aufzuheben, um Menschenleben zu retten. Für diesen Donnerstag ist ein „Die-In“ auf dem Lafayette Square direkt vor Joe Bidens Amtssitz geplant.
Es kommt nicht alle Tage vor, dass eine europäische SpitzenpolitikerIn in den USA mit Protest empfangen wird. Für Angela Merkel, die in den zurückliegenden Jahren die Sympathie der Trump-GegnerInnen genoss, ist es eine radikale Wende.
EU und Deutschland stoppen
Die Kanzlerin traf am Mittwochabend (Ortszeit) zu ihrem voraussichtlich letzten Besuch ihrer Amtszeit in Washington ein. Biden will ihr das Amtsende verschönern: Auf dem Terminplan für ihren einzigen Besuchstag am Donnerstag stehen ein Frühstück mit der Vizepräsidentin, die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Johns-Hopkins-Universität für Merkels Verdienste um die internationalen Beziehungen, ein Vier-Augen-Gespräch mit Biden sowie ein Abendessen mit EhepartnerInnen im Weißen Haus.
Das deutsche „Nein“ zur vorübergehenden Aufhebung des Patentschutzes für Covid-Impfstoffe hat dem Treffen eine neue Richtung gegeben. Im vergangenen Oktober haben Indien und Südafrika bei der Welthandelsorganisation (WTO) beantragt, die Produktion und den Vertrieb der Impfstoffe durch die Aussetzung der Patente zu beschleunigen. Seither ist ihre Resolution so umgeschrieben worden, dass ihr mehr als 140 Länder in der WTO zustimmen. Aber Deutschland, die EU, Großbritannien, die Schweiz und Südkorea verhindern die Aussetzung des Patentschutzes.
Biden hatte im Wahlkampf versprochen, dass er sich als Präsident für die weltweite Verteilung des Impfstoffes einsetzen werde. Doch einmal im Amt, schien das keine Priorität mehr zu sein. Erst im Mai, nachdem AktivistInnen und linke DemokratInnen monatelang Druck gemacht hatten, erklärte sich Biden bereit, den Patentschutz vorübergehend auszusetzen. Neuseeland und mehrere andere Länder schlossen sich an. Doch da die WTO einstimmig entscheidet, genügte das nicht.
Die DemonstrantInnen sind nicht die einzigen in den USA, die versuchen, Merkel umzustimmen. Am Dienstag hatten neun Abgeordnete des US-Kongresses einen Brief an die deutsche Botschafterin in Washington, Emily Haber, geschickt. Darin bitten die Abgeordneten vom linken Flügel der Demokratischen Partei um ein Treffen mit der Kanzlerin.
Die neun sind dankbar für die „Rolle, die Deutschland, insbesondere Kanzlerin Merkel, in den zurückliegenden vier Jahren bei der Verteidigung der Demokratie gespielt hat“. Und sie hoffen, dass die Kanzlerin ihre Blockade bei der Welthandelsorganisation aufgibt. „Die dritten Covid-19-Wellen toben in vielen Teilen der Welt und die Varianten werden bedrohlicher“, schreiben sie, „wir brauchen eine viel größere Produktion von mRNA-Impfstoffen, um Millionen von Leben zu retten.“ Bislang stellen nur deutsche und US-amerikanische Unternehmen mRNA-Impfstoffe her.
„Episches moralisches Versagen“
„Vermutlich steckt die Macht der Pharmakonzerne in Deutschland hinter Angela Merkels Position“, sagte Michael Galant von der Gruppe Global South am Mittwoch in New York. Er hofft, dass Biden das Treffen mit Merkel nutzt, um sie zu einer Umkehr zu bewegen.
„Dies ist Bidens Moment für globale Führung“, sagte der Jesuit Charlie Chilufya von der katholischen Lobbygruppe Justice and Ecology bei einer Podiumsdiskussion am Protesttag. Das Treffen des Präsidenten mit der Kanzlerin nannte er schon vorab „ein episches moralisches Versagen“, sollte Deutschland die Blockade bei der WTO nicht aufgeben – „um die Produktion von mehr Covid-19-Impfstoffen und Behandlungen zu erleichtern, die benötigt werden, um Millionen von Leben zu retten.“
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