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Alkoholfreier JanuarDie Gefahr benennen

Die Suchtexpertin Heike Beckmann wirbt für einen Monat ohne Alkohol. Warum diese Denkweise problematisch ist.

Die Gefahren von Gras predigen und lustvoll ein zweites Glas Wein trinken? Foto: imago

Die einen werden als Genussmittel breit konsumiert, die anderen verteufelt. Dabei ist die Einteilung von legalen und illegalen Drogen oft auch nur willkürlich. Wie gefährlich legale Drogen tatsächlich sind, fällt aufgrund ihrer Normalisierung zu oft unter den Teppich: Während Eltern die Gefahren von Gras predigen, trinken sie lustvoll ihr zweites Glas Wein. Die Kinder sehen dabei zu und lernen: Cannabis ist gefährlich, aber Alkohol voll o. k.

Am Donnerstag warb die Fachärztin und Suchtexpertin Heike Beckmann für einen „Dry January“, also einen alkoholfreien Januar. Sie zählte positive Aspekte eines Alkoholverzichts auf, die gut für den Körper seien: erholsamerer Schlaf, besserer Stoffwechsel, Gewichtsabnahme, geringeres Risiko für Bluthochdruck, schnellere Regeneration der Leber und strahlende Haut. All das ist super, könnte aber auch aus dem Mund einer Yoga-Lehrerin kommen, die für ihre Onlinekurse wirbt.

Wie wäre es stattdessen damit, die negativen Folgen des Alkoholkonsums zu benennen? Der Stiftung Gesundheitswissen zufolge ist Alkohol ein Gift, das Entzündungen im Magen-Darm-Trakt und Krebserkrankungen hervorrufen kann. Es kann zu Herzrhythmusstörungen, Nervenschädigungen im Gehirn und vermindertem Konzentrationsvermögen kommen.

Die begrenzte Aufnahmefähigkeit kann auch soziale Schäden herbeiführen, zum Beispiel in Form von Aggressivität oder Wahrnehmungsstörungen. Darüber hinaus verursacht Alkoholkonsum jährlich 20.000 Todesfälle in Deutschland. Und wenn wir mal ehrlich sind, hat eine Person, die sich dem Genuss des Alkohols völlig hingegeben hat, nicht das eleganteste Auftreten.

Der Rausch als Normalzustand

Aber vor allem macht Alkohol süchtig. Neben Heroin, Nikotin und Kokain zählt er zu den Top fünf Drogen, von denen Kon­su­men­t:in­nen schnell abhängig werden können. Im Vergleich zu Heroin ist vielen Kon­su­men­t:in­nen aber die Gefahr oft nicht mehr wirklich bewusst – erst neulich musste ich mir in einem Gespräch über Suchtmittel die Aussage „Aber Alkohol ist ja keine Droge“ anhören. Das hat auch mit der breiten Toleranz zu tun.

Anstatt Werbung für Dry January zu machen, sollten insbesondere Sucht­ex­per­t:in­nen das Gegenteil fordern: den Alkoholkonsum nicht normalisieren, sondern auf besondere Anlässe reduzieren.

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11 Kommentare

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  • Hm, ich denke, es ist auch eine Frage, wie man Alkohol verträgt. Ich bin 64, trinke seit ca. 20 Jahren jeden Abend eine halbe bis 3/4 Flasche Wein, habe morgens nie einen Kater, schlafe sehr gut und laufe aber fast jeden Morgen vor der Arbeit eine 8-10km Runde (alternativ 50 Min. Ergometer) und fahre am Wochenende 100km+ mit dem Mountainbike. Beim letzten CheckUp vor vier Monaten waren meine Leberwerte perfekt und die Leber im Ultraschall völlig unauffällig, Ich habe kein Übergewicht oder zu hohen oder niedrigen Blutdruck und der Rest ist auch im grünen Bereich. Klar, meine Ärztin sagt, dass weniger oder gar kein Alkohol immer besser ist aber ich mag gute Weine und solange sie mir gut bekommen, werde ich daran auch nichts ändern. Bin ich jetzt ein Alkoholiker?

    • @Stefan L.:

      Einfach selber beantworten. Die erste Antwort auf die Suche nach "empfohlene tagesmenge alkohol" ergibt.

      "Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen gibt als Grenzwerte für einen risikoarmen Konsum 12 g bei Frauen und 24 g bei Männern an. (Gramm reinen Alkohols/Tag) Der Konsum innerhalb dieser Grenzen, in Verbindung mit 2 Tagen pro Woche, an denen gar kein Alkohol getrunken wird, wird als risikoarm eingestuft. Oberhalb dieser Grenzen steigt das Risiko für schwerwiegende Erkrankungen."

  • Ein Problem mit dem Predigen der negativen Folgen von Alkoholkonsum ist doch, dass viele Menschen das eh in einem selbstdestruktiven Zusammenhang tun. "Warum sollte ich länger leben wollen?" hört man da oft...

    Andererseits können die positiven Folgen von Alkoholverzicht durchaus überzeugend sein. Wer regelmäßig Alkohol trinkt, für den ist es völlig normal, dass er sich morgens (oder mittags) lustlos und verkatert aus dem Bett quälen muss. Der Vorstellung, dass man morgens auch erholt und putzmunter aus dem Bett springen kann, hilft ein Alkoholverzicht für einen Monat oder so schon gewaltig auf die Sprünge.

    Die Leidensfähigkeit vieler Alkoholiker ist schon enorm. Leider vergeuden sie das oft darauf, sich mit ihrem Alkoholkonsum irgendwie zu arrangieren, so dass nichts mehr übrig bleibt für das Bewältigen von sonstigen Herausforderungen. Gewohnheitsmäßiger Alkoholkonsum ist praktisch ein selbstgeschaffenes Problem, an dem man sich dann heroisch abarbeitet.

  • Ich finde den Ansatz, die positiven Seiten des Alkohoverzichts aufzuzeigen, gar nicht schlecht.



    Wie beim Rauchen ist doch eigentlich hinreichend bekannt, dass es schädlich ist, zu viel und/oder regelmäßig zu trinken oder gar zu saufen.



    Ansonsten ist das Grundproblem, wie angemerkt, die Normalität des Alkkonsums. In Film und Fernsehen sieht man zwar kaum noch Zigaretten, aber nach wie vor dauernd den alltäglichen Suff. Es ist nach wie vor normal, dass man auf dieses oder jenes mit Alkohol anzustoßen hat, dass man zum Essen Wein trinkt, danach einen Schnaps, das Feierabendbier etc.

  • Kleine Korrektur: es sterben in Deutschland jährlich ca. 70.000 Menschen in Folge von Alkoholkonsum.

    • @kick:

      Der allergrößte Killer ist Bewegungsmangel. Damit ist eine der gesundheitsschädlichsten Gewohnheiten die maßgeblich für diesen Mangel verantwortliche Autofahrerei:



      „Einer von vier Erwachsenen stirbt an Bewegungsmangel und drei von fünf Jugendlichen (im Alter von 11 bis 17 Jahren) sind potenzielle Todeskandidaten aufgrund mangelnder körperlicher Aktivität im Erwachsenenalter.“



      www.ncbi.nlm.nih.g...ticles/PMC7813970/

  • Würde man in dem Kommentar das Wort Alkohol z.B. durch Cannabis ersetzen könnte er auch direkt von der CSU stammen....

  • Stimmt schon, nur ist es wie mit Rauchen aufhören: schrittweise vornehmen. Man muss erst in Ruhe merken was die Unterschiede sind.



    Ich trinke praktisch garnicht mehr. Tu ich es doch mal, merke ich es noch Tage später an Stimmung etc.. Bereits die kleinen Nuancen sind es ehrlich gesagt nicht wert Normalzustand zu sein. Rauchen ganz drangegeben: wenn man dann doch mal eine zieht, merkt man es schon beim Treppensteigen (ich nehme übrigens nie den Aufzug: auch hier sollte man unter 70 und ohne Gebrechen eventuelle Schwächen nicht! als gegebenen Normalzustand annehmen).



    Mit gesundheitlichen Grüßen

    • @sachmah:

      Schwierig- ich bin aus einber Alkoholikerfamilie und kann sagen- alles oder gar nichts. Auch durch meinen Zivildienst bei Condrops geläutert....

      • @Ungehorsam Bleiben:

        Sie versucht Leute zu erreichen, die kein Problem mit Alkohol haben oder falls doch, dies nicht wissen. Das Angebot eines harten Entzugs kommt da nicht gut an.

  • Die Medizinerin und Suchtexpertin wird ihre Gründe haben - es geht um das Erleben, darum, wie es sich für Menschen anfühlt, eine Weile zu verzichten, zumindest für die, die in der Lage dazu sind. Und nur die sind ja angesprochen.



    Es geht um Selbstwirksamkeit - das scheint mir, für die adressierte Gruppe, ein besseres Motiv zu sein als mit Warnungen überhäuft zu werden.