Aktivistin zu Landratswahl in Thüringen: „Nicht zu schnell Nazi schreiben“
Das Bündnis „Dorfliebe für alle“ hat den CDU-Wahlsieger Herrgott unterstützt – obwohl es mit dessen politischen Überzeugungen nicht übereinstimmt.
taz: Frau Grundmann, der AfD-Kandidat Uwe Thrum hat die Wahl verloren. Das war doch das Ziel Ihres Bündnisses „Dorfliebe für alle“. Ende gut, alles gut?
Lena Grundmann: Stimmt, das Ziel bei dieser Landratswahl wurde erreicht. Aber wir als Bündnis wollten von vornherein langfristig politisch arbeiten – zum Beispiel am Demokratieverständnis. Deswegen sind wir so gesehen noch nicht fertig, noch nicht am Ziel.
Nun ist Christian Herrgott (CDU) der neue Landrat. Ihr Bündnis hat nicht direkt zu seiner Wahl aufgerufen.
Nein, und das war für uns nicht leicht. Wir kritisieren Christian Herrgott immer noch an vielen Stellen, weil er ja einige seiner Ziele scheinbar eins zu eins von der AfD übernommen hat. Aber für uns stand im Vordergrund, die AfD zu verhindern.
Wenn er nun Landrat ist, wollen Sie mit ihm zusammenarbeiten?
Lena Grundmann ist 23 Jahre alt und eine von 20 Initiator:innen des Bündnisses „Dorfliebe für alle“. Sie arbeitet beim Rettungsdienst und lebt in Neustadt an der Orla.
Da spiegelt sich wider, dass unser Verständnis von Politik und Demokratie mehr ist als das, was in den Parlamenten passiert. Uns geht es darum: Wie gestaltet man eine Nachbarschaft, sein Dorf oder eben das Leben in der Kleinstadt? Da wollen wir auch in Zukunft für unsere Werte einstehen, damit die durch den Landrat vertreten werden. Von der Parteienpolitik wollen wir uns nicht abhängig machen. Natürlich spielt es eine Rolle, wie diese Wahl gezeigt hat, wenn eine rechtsextreme Partei droht, an die Macht zu kommen. Das kann auf jeden Fall große Veränderungen bringen. Aber eigentlich wollen wir das mehr im praktischen Alltagsleben angehen.
Fast die Hälfte der Wähler:innen hat trotzdem für Thrum gestimmt, und auch Herrgott kommt bei vielen gut an. Wie wollen Sie die überzeugen?
Wir planen nun die weiteren Schritte. Jetzt, wo die Situation etwas entspannter ist, wollen wir uns erst mal in Ruhe zusammensetzen und uns austauschen. Dann wollen wir die Menschen im Saale-Orla-Kreis besser kennenlernen: Denn wir sind nur 20 Menschen beim Bündnis, und da kann man natürlich nicht direkt auf 80.000 weitere schließen.
Also stehen erst mal viele Gespräche an?
Genau, und mit den Gesprächen eine gemeinsame Grundlage zu erarbeiten, eine gemeinsame Kritik an den Entscheidungen der letzten Jahre zu entwickeln. Die haben ja zu der aktuellen Situation geführt. Von da aus können wir weitere Lösungen angehen. Das wird ein schwieriger Weg. Aber solange wir den angehen und versuchen, wieder mehr zusammenzukommen und ins Gespräch zu gehen, ist es auf jeden Fall möglich. Allerdings heißt das hier, grundsätzlich nicht mit Rechten zu reden, geht an der Realität vorbei.
Auf dem Land muss man mit Rechten sprechen?
Ja, und ich glaube, man darf auch nicht zu schnell die Kategorien „Nazis“ über alles und jeden schreiben.
Auf Ihren Kundgebungen gegen die AfD kam es immer wieder zu Konfrontationen mit Rechten.
Natürlich kommt es da zu Konfrontationen. Gerade wenn sich eine Polarisierung so deutlich abzeichnet. Aber es gibt auf jeden Fall noch die Möglichkeit, nicht zwischen die Fronten Mauern zu ziehen, sondern die Fronten zu überwinden.
Seit dem Bericht über ein Geheimtreffen der AfD protestieren bundesweit hunderttausende Menschen gegen die AfD. Was hat sich dadurch für Sie geändert?
Das ist eine sehr spannende Frage, und ich kann die auch noch gar nicht richtig beantworten. Aber ich glaube, wie sich Politik verändern wird, wird nicht in den Städten entschieden. Ich glaube vielmehr, gerade was den Rechtsruck betrifft, kommt es sehr auf die ländlichen Räume an. Für uns haben die Proteste eine breitere Öffentlichkeit hergestellt.
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