Aktivistin über Schottlands Trans-Gesetz: „Frauenschutz ist gefährdet“

Schottlands neues Selbstbestimmungsgesetz sorgt für eine Krise mit London und heftige Debatten. Der Vorstoß hat Schattenseiten, erklärt Maren Smith.

Frauen protestieren mit Schildern

Frauendemo gegen das neue Trans-Gesetz in Edinburgh im Dezember 2022 Foto: Lesley Martin/PA Wire/picture alliance

Neue Krise zwischen Schottlands Re­gio­nalregierung und Großbritanniens Regierung: London blockiert das neue schottische Selbstbestimmungsgesetz. Für Schottlands Regierung ist das ein Anschlag auf Transrechte. Für Frauenrechtsaktivistin Maren Smith von der Organisation “For Women Scotland“ ist umgekehrt das Gesetz ein Anschlag auf den Schutz von Frauen, insbesondere Opfer sexueller Gewalt, vor männlichem Missbrauch der Transidentifikation.

taz: Frau Smith, im Dezember beschloss das schottische Parlament eine Reform des Gesetzes zur Geschlechtsumwandlung: Die Veränderung des amtlichen Geschlechtseintrags soll zukünftig ohne medizinische Diagnose von Geschlechtsdysphorie möglich sein, eine einfache Erklärung und drei Monate Leben im deklarierten Geschlecht sollen genügen, das Mindestalter wird auf 16 Jahre heruntergesetzt. Nun hat Großbritanniens Regierung das Gesetz blockiert. Was sagen Sie dazu?

Maren Smith: Wir sind erleichtert. Zu denen, die sich schon vor der Abstimmung gegen die Reform aussprachen, gehörten die UNO-Sonderbeauftragte für Gewalt gegen Frauen, die britische Aufsichtsbehörde zur Einhaltung des Gleichstellungsgesetzes und die schottische Aufsichtsbehörde für Kinder- und Jugendschutz. Die britische Regierung hatte keine andere Wahl. Die schottische Regierung hat ihre legislativen Kompetenzen überschritten und ein Gesetz verabschieden lassen, das auch für Bewohner in England und Wales Folgen hat. Frauengruppen und Rechtsexperten in Schottland warnen bereits seit 2018, dass die geplante Reform Auswirkungen auf das britische Gleichstellungsgesetz haben wird und dass die schottische Regierung diesen Konflikt lösen muss, wenn sie die heutige Si­tua­tion vermeiden will.

ist 51, aufgewachsen in Naumburg an der Saale, lebt seit 1995 in Schottland und ist eine Sprecherin der Frauenrechtsgruppe „For Women Scotland“.

Was wird an dem Gesetz kritisiert?

Es geht in diesem Gesetz nicht mehr um Menschen mit Trans­identifizierungen. Die Worte trans, transgender und transsexuell kommen im gesamten Gesetz nicht vor. Es geht hier darum, ein eigentlich sehr gutes ­existierendes Gesetz zu reformieren. Das bisherige Gesetz aus dem Jahr 2004 gilt als international beispielhaft, weil hier der Staat die Rechte der Trans­sexuellen mit den Rechten aller anderen Bürger abwägt. 95 Prozent aller Anträge auf Änderung des Geschlechts­eintrags sind derzeit erfolgreich. Wer nicht erfolgreich ist, kann sich nach sechs Monaten neu bewerben. Bei der beschlossenen Neuregelung gibt man nur noch an, dass man das Geschlecht ändern möchte, und da wird nichts überprüft.

Und wieso ist das ein Problem?

Sobald ein Mann seinen Personenstand amtlich geändert hat, kann man ihn nicht mehr von geschützten Freiräumen und Schutzzonen für Frauen ausschließen.

Doch im schottischen Parlament haben die Po­li­ti­ke­r:in­nen doch versprochen, dass solche Räume geschützt bleiben?

Die schottische Regierung hat im Parlament gesagt, dass die Änderung des Personenstands keinen Unterschied machen würde. Wir haben aber gerade eine Verfassungsklage gegen die schottische Regierung verloren, wo sie genau mit dem Gegenteil argumentierte, nämlich, dass die Änderung des Personenstands alles ändere. Mit der Reform sind in Schottland zum Beispiel reine Frauen- und Lesbenvereine nicht mehr möglich, weil wir jeden Mann, der seinen Personenstand geändert hat, reinlassen müssen. Das Gleiche gilt für Mädchenschulen.

Schon 2012 hat die schottische Regierung die Bedingungen für staatliche Förderung geändert: Das Programm „Equally Safe“ fordert von Organisationen, die Frauen Schutzräume anbieten, etwa zur Beratung für Opfer sexueller Gewalt und Frauenhäuser, einen Nachweis, wie sie Männer versorgen, die sich selbst als Frau bezeichnen – und das sind nicht einmal unbedingt Männer, die ihren Personenstand geändert haben. Die schottische Regierung sagt: Ihr dürft sie legal ausschließen, ihr müsst uns aber trotzdem sagen, wie ihr die Leute unterbringt, oder ihr kriegt keine Gelder. Das ist natürlich ein Problem für uns. Frauenschutz und Freiräume sind gefährdet.

„Ich musste erleben, wie Transrechtsaktivisten und superaggressive junge Männer mit Sturmhauben uns bedrohten“

Können Männer, die sich als Frau bezeichnen, tatsächlich in diese Räume hinein?

Das ist das Thema, das am allermeisten diskutiert wird: der Missbrauch der Möglichkeit, dass Männer sagen können, ich identifiziere mich als Frau, und sich dann unrechtmäßig Zugang verschaffen. Nicola Sturgeon hat am Ende akzeptiert, dass das passieren wird, nachdem sie das fünf Jahre lang dementiert hatte. Wir sind der Meinung, dass das Wohlbefinden, die Sicherheit, die Rechte von Frauen geopfert werden, nur um Menschen zu schützen, die sich als trans identifizieren. Das ist nicht nötig. Wir können beide Gruppen schützen. Es gibt auch Organisationen, die Männer mit dem Schutzmerkmal und parallel dazu ein reines Frauenumfeld betreuen.

Was sind „Männer mit dem Schutzmerkmal“?

Viele Leute denken, Transfrauen sind Frauen, die sich als trans identifizieren. Und dann gibt es ganz viele, die denken, wenn man Transfrau sagt, dann sind damit die Schutzbedürftigen nach dem britischen Transsexuellengesetz gemeint, also postoperative Transsexuelle, die dann immer wieder Probleme hatten, wenn sie zu einer Behörde gingen oder ihren Personenstand nachweisen mussten, und dann steht da der Eintrag „Mann“. Für diese Gruppe war das Transsexuellengesetz gedacht, das bisher auch gut funktioniert. Heute geht es aber vor allem um Personen, die sich zeitweise oder permanent als Frau identifizieren, aber keine medizinische Behandlung wünschen und oft auch keinen Versuch unternehmen, als Frau aufzutreten.

Selbstbestimmungsgesetz Am 22. Dezember 2022 verabschiedete Schottlands Regionalparlament mit 86 zu 39 Stimmen ein Gesetz zur Erleichterung der amtlichen Geschlechtsumwandlung. Eingebracht hatte es die Regionalregierung von Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon (SNP). Sie setzte sich damit über den Protest von Frauen­organisationen und auch Teile der eigenen Partei hinweg.

Kompetenzgerangel Nach der Verabschiedung wurde breit diskutiert, ob dieses Gesetz in den Kompetenzbereich der schottischen Autonomieinstitutionen falle, da damit Schottland und der Rest des Vereinigten Königreiches die Geschlechterzugehörigkeit unterschiedlich regeln würden. In London sagten sowohl die konservative Regierung als auch die Labour-Opposition, die SNP überschreite damit Schottlands Kompetenzen.

Machtwort Am Abend des 16. Januar beschloss das britische Schottlandministerium, das schottische Gesetz nicht wie üblich dem König zur Inkraftsetzung vorzulegen. Erstmals wandte London damit Artikel 35 des Schottland-Autonomiegesetzes an, wonach schottische Beschlüsse ungültig sind, die die korrekte Anwendung britischer Gesetze behindern. Das schottische Gesetz widerspreche der britischen Gleichheitsgesetzgebung, erklärte Schottlandminister Alister Jack am Dienstag. Schottlands Ministerpräsident Nicola Sturgeon nannte das einen „frontalen Angriff“ und kündigte eine Klage an.

Ist zumindest die Senkung der Altersgrenze auf 16 sinnvoll?

Eine unabhängige britische Untersuchung der Behandlungsdienste für Kinder und Jugendliche mit geschlechtlichen Identitätsfragen und Widersprüchen kam vergangenes Jahr zum Schluss, dass, wenn man die Geschlechtsdysphorie von Kindern einfach bejaht, die Wahrscheinlichkeit einer medizinischen Behandlung wächst – und es gibt keinen Beweis dafür, dass diesen Kindern mit der medizinischen Blockierung der Pubertät wirklich geholfen wird. Laut den letzten Forschungsergebnissen kann sie in fast allen Fällen langfristig schädlich sein. Kinder in diesem Alter sind auf Identitätssuche. Das ist ein ganz normaler Reifeprozess unter Teenagern. Sie sind in diesem Alter noch nicht in der Lage, diese Identitätssuche gut für sich zu lösen. Beim Thema Strafmündigkeit hat die schottische Regierung viel Wert auf neue Forschung zum Reifeprozess des menschlichen Gehirns gelegt. Das Resultat? Erst mit Mitte zwanzig können Menschen vollkommen die Konsequenzen abwägen.

Hat sich die schottische Regierung bei der Verabschiedung des Gesetzes an alle Vorschriften gehalten?

Nein. Unter der UN-Kinderrechtskonvention sind alle Staaten dazu verpflichtet, im besten Interesse von Kindern zu handeln, wenn sie Gesetze verabschieden. In der UN-Frauenrechtskonvention steht, dass jeder Staat verpflichtet ist, jeglichen Gesetzesvorschlag darauf gründlich zu untersuchen, welche beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen er auf das Wohlergehen, das Leben und die Rechte von Frauen hat.

Außerdem müssen in Schottland bei öffentlichen Anhörungen erst die schriftlichen Eingaben zur Kenntnis genommen werden. Hier begannen unmittelbar nach der Eingabe der schriftlichen Stellungnahmen gleich die mündlichen Anhörungen, ohne sich mit Zeugen und Experten zu treffen, die etwa angaben, warum das Gesetz schlecht für Frauen ist. So kam es vor der Abstimmung zu einer Notsitzung mit der UNO-Sonderbeauftragten. Das ließ nicht viel Bedenkzeit übrig.

Hat all das auch etwas mit den Unabhängigkeitsbestrebungen der schottischen Regierung zu tun?

Ja! Die schottische Regierung möchte als progressive und fortschrittliche ­Alternative zur britischen Regierung gesehen werden. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Das neue Gesetz zur Hassrede musste verschoben worden, da die schottische Polizei angab, sie könnte es nur nach jahrelangem Training umsetzen. Es beschneidet die Rede­freiheit dermaßen, dass auch Kritik an der Regierung strafbar sein kann und Eltern für Äußerungen ihrer Kinder bestraft werden sollen.

Die schottische Regierung sagt, dass das Gesetz der demokratische Wille des schottischen Parlaments ist und dass es undemokratisch ist, das Gesetz jetzt zu blockieren.

Wir sagen dazu, dass der gesamte Prozess der Gesetzschreibung undemokratisch war. Frauen, die sich an der öffentlichen Debatte beteiligen wollten, sind massiv bedroht und teilweise auch tätlich angegriffen worden. Wir erhielten bei unserer ersten öffentlichen Versammlung zum Gesetzentwurf eine Bombendrohung und konnten die Versammlung nur mit Polizei und Sicherheitsleuten durchführen. Diese Regierung hat sich auch nach mehrfachen Aufrufen geweigert, das Mitspracherecht von Frauen bei dieser Debatte anzuerkennen, geschweige denn zu verteidigen. Die letzten Umfragen haben außerdem gezeigt, dass die Öffentlichkeit entschieden gegen die Reform ist. Das zeigte sich auch bei den drei Aufrufen zur Stellungnahme. Insgesamt beteiligten sich fast 50.000 Bürger und Bürgerinnen sowie Hunderte von Organisationen, eine klare Mehrheit sprach sich gegen die Reform aus.

Wie sind Sie in dieses Thema hineingeraten?

Im Jahr 2017 wurde eine 60-Jährige verprügelt, weil sie eine Frauenrechtsveranstaltung über die Reform des britischen Transsexuellengesetzes besuchen wollte. Ich war damals noch in sozialen Medien aktiv und und folgte vielen linken Leuten, Gruppen und Parteien. Viele waren der Meinung, die Frau hätte das verdient. Das hat mich als ehemalige DDR-Bürgerin beschäftigt. Ich war darüber befremdet. Und dann bin ich selbst zu meiner ersten Veranstaltung gegangen. Da kam das Thema Geschlechtsdysphorie auf und dass einige der Mädchen oft Erfahrungen mit sexueller Gewalt gemacht hätten. Ich fühlte mich persönlich angesprochen, weil ich auch solche Erfahrungen gemacht habe. Mädchen, die Opfer männlicher Gewalt werden, reagieren häufig mit der Ablehnung des eigenen Körpers und des Frauseins.

Ich musste dann erleben, wie Transrechtsaktivisten und superaggressive junge Männer mit Sturmhauben uns bedrohten. Die Kombination, davon zu erzählen, was mir passiert ist, und diese jungen Männer, die uns beim Raus­gehen körperlich bedrohen – die Polizei hatte sich im Übrigen geweigert, uns zu ermöglichen, den Versammlungsort sicher zu verlassen –, traumatisierte mich. Als ich dann eine Panikattacke hatte und eine Freundin ganz vorsichtig vorschlug, dass ich Hilfe bräuchte, hatte ich das Problem, dass Schottlands Dachverband für Opfer sexueller Gewalt „Rape Crisis Scotland“ bestreitet, dass die Anwesenheit von Männern mit Schutzmerkmal Frauen schadet, die als Opfer männlicher Gewalt ein rein weibliches Therapieumfeld benötigen. 2019 sind wir damit zur Leitung vom Dachverband gegangen. Die haben uns jedoch vorgeworfen, dass uns Männer mit Schutzmerkmalen nicht leidtäten. Deren Recht überwiege unsere Bedürfnisse als Opfer männlicher Gewalt. Das war weiter traumatisierend. Und dann haben sie uns verboten, darüber zu reden. Es war wirklich bizarr.

Was hier nicht verstanden wurde, ist, dass manchmal bereits die reine Anwesenheit von Männern reicht, dass traumatisierte Frauen Angstzustände kriegen. Deshalb suchen sie ja die Therapie. Ich bin nicht die Einzige. Wir haben in unserer Gruppe eine ehemalige Leiterin von Frauenstrafanstalten, die seit der Rente darüber spricht, wie in schottischen Frauengefängnissen verurteilte Gewalttäter und Sexualstraf­täter Frauen terrorisieren.

Wie hat sich die Debatte um das neue Gesetz auf Sie ausgewirkt?

Wir kriegen Todesdrohungen und solche Sachen. Und ich habe Kinder, da ist das nicht so prickelnd. Es sind Hunderte von Drohungen, aber die meisten sind einfach nur unangenehm. Unsere Direktorin hat schon einige an die Polizei weitergegegeben.

Wie geht es jetzt weiter?

Wir hoffen, dass die schottische ­Regierung unsere Einwände nicht mehr als „ungültig“ zurückweist. Es wäre besser, wenn es beim der­zeitigen Gesetz bleibt. Wenn nicht, geht es auf Kosten vieler Frauen und Mädchen.

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