Agrarministerin Julia Klöckner: Große Klappe, nichts dahinter
Julia Klöckner war bislang eine schlagfertige Bundesagrarministerin, die gekonnt Kritiker lächerlich machte. Aber erreicht hat sie fast nichts.
Eines hat Julia Klöckner als Bundesagrarministerin bewiesen: Die CDU-Politikerin kann ihre Gegner sehr schlagfertig beschimpfen und lächerlich machen. Das musste zum Beispiel der grüne Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt bei der Eröffnungsfeier der Agrarmesse „Grüne Woche“ 2020 erfahren, als er wagte, sich dort für mehr Umwelt- und Tierschutz auszusprechen. Vor Hunderten EU-Kommissaren, Ministern und Branchenvertretern „dankte“ Klöckner ihrem Vorredner Behrendt, dass er „hier vor allen Dingen die Sicht des Prenzlauer Bergs eingebracht hat“. Das sei interessant, „aber Deutschland ist natürlich mehr als der Prenzlauer Berg“. Die Agrarlobbyisten im Publikum johlten.
Doch ihrem angeblichen Ziel, das Verhältnis zwischen Landwirtschaft und dem Rest der Gesellschaft zu verbessern, schadete diese Spitze. Genauso wie Klöckners zigfach wiederholtes Schimpfen auf die „80 Millionen Hobby-Agrarwissenschaftler in Deutschland“, die den Bauern sagen würden, was sie zu tun hätten.
Mit solcher Polemik kanzelte Klöckner während ihrer ersten, nach vier Jahren nun endenden Amtszeit berechtigte Kritik ab. Zum Beispiel, dass die Landwirtschaft 2020 laut Umweltbundesamt rund 13 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland verursachte. Dass Tiere in deutschen Ställen oft unter qualvollen Bedingungen gehalten werden. Dass potenziell gesundheitsschädliches Nitrat vor allem aus Düngern das Grundwasser belastet, aus dem das meiste Trinkwasser gewonnen wird. Und dass Landwirte etwa mit Pestiziden maßgeblich zum Aussterben von immer mehr Pflanzen- und Tierarten beitragen.
Bei den wichtigsten Themen ihres Ministeriums hat Klöckner nichts oder kaum etwas erreicht. Und das Wahlprogramm ihrer CDU deutet darauf hin, dass die Partei auch nach der Bundestagswahl am 26. September möglichst wenig verändern will.
Emissionen kaum gesunken
Unter ihren angeblichen Erfolgen zählt Klöckner in einer Liste für die taz auf: „In Deutschland hat der Agrarsektor seine Ziele bei der CO2-Reduktion voriges Jahr übererfüllt – seit 1990 wurden die Treibhausgasemissionen um rund 24 Prozent reduziert.“ Doch der Rückgang seit 1990 liegt hauptsächlich daran, dass nach der Wiedervereinigung in Ostdeutschland viele Betriebe ihre Tierhaltung aufgaben. Seit ungefähr 2006 dagegen sind die Emissionen kaum gesunken, der Anteil der Landwirtschaft am gesamten Ausstoß Deutschlands dagegen stieg, weil die anderen Sektoren sehr wohl reduzierten.
Auch in Sachen Tierschutz waren die Klöckner-Jahre verlorene Jahre. Im März 2020 wurden dem Statistischen Bundesamt zufolge 79 Prozent der Schweine in Ställen mit Vollspaltenböden gehalten, also auf Betonböden mit Löchern, durch die die Fäkalien fallen. Die Tiere müssen ständig über ihrer Gülle stehen, an den Betonkanten können sie sich leicht verletzen. Auslauf bekommen sie nie.
Einzelkäfige für Sauen bleiben legal
Auf Betreiben Klöckners legalisierte das Parlament die weit verbreiteten, aber laut Bundesverwaltungsgericht zu engen Einzelkäfige für Sauen für weitere 10 Jahre. Diese „Kastenstände“ sind ungefähr so groß wie das Schwein. Es kann sich nicht umdrehen und sich nur langsam hinlegen. Klöckner rechnet sich in erster Linie als Erfolg an, dass der Bundestag das Töten männlicher Küken, die keine Eier legen und zu wenig Fleisch ansetzen, kurz nach dem Schlüpfen verboten hat. Doch das ist nur ein sehr kleiner Teil der Tierhaltungsprobleme in Deutschland.
Kontakt zum Außenklima und Auslauf – das wären echte Fortschritte. Vorschreiben wollte Klöckner so etwas nicht. Stattdessen setzte sie fast alles auf den von ihrem CSU-Vorgänger übernommenen Plan eines staatlichen „Tierwohlkennzeichens“ für Fleisch, bei dessen Erzeugung höhere als die gesetzlichen Mindeststandards eingehalten wurden. Doch die Anforderungen an die Schweinehalter waren skandalös niedrig.
Ausnahmen aus wirtschaftlichen Gründen möglich
Zum Beispiel sollte die Einstiegsstufe des Labels weiter erlauben, Schweinen einen Großteil des Schwanzes abzuschneiden – obwohl die EU das schon lange verboten hat. Und da es nur freiwillig sein sollte, hätten die Verbraucher Fleisch aus schlechter Haltung nicht erkennen können. Deshalb legte Koalitionspartnerin SPD ihr Veto ein. Erst nachdem der Europäische Gerichtshof Deutschland wegen zu viel Nitrat im Grundwasser verurteilt hatte, sorgte Klöckner für neue Regeln gegen Überdüngung. Aber ihre Düngeverordnung enthält etliche Schlupflöcher, die EU-Kommission hat schon erklärt, dass sie mit der Umsetzung nicht zufrieden sei.
Auch das „Aktionsprogramm Insektenschutz“ bringt kaum Fortschritte. Es schränkt den Pestizideinsatz nur auf weniger als 10 Prozent der Agrarfläche und lediglich gering ein. Für den Anbau von Gemüse und Wein etwa gilt es überhaupt nicht. Selbst bei den anderen Pflanzen sind Ausnahmen aus wirtschaftlichen Gründen möglich. Hatte Klöckner erst gesagt, „was der Biene schadet, muss weg vom Markt“, ermöglichte sie später immer wieder „Notfallzulassungen“ aus der Gruppe der Neonikotinoide, obwohl die EU sie schon verboten hatte.
Zu viel Zucker und Fett
Besonders großspurig pries Klöckner die Reform der EU-Agrarsubventionen an, an der sie maßgeblich beteiligt war. Sie ist mit 60 Milliarden Euro pro Jahr die größte Stellschraube in der Landwirtschaft der Europäischen Union. Hier will die Ministerin einen „Systemwechsel“ erreicht haben. „Künftig wird jeder Euro Förderung an Auflagen für Umwelt- und Klimaschutz gekoppelt.“ Das war bisher auch schon so, nur sind die Bedingungen sehr schwach: Im Wesentlichen müssen die Bauern einfach die geltenden Umweltgesetze einhalten. Eine Selbstverständlichkeit.
Die Ministerin lobt sich zudem dafür, dass sie die Lebensmittelindustrie darauf verpflichtet habe, Zucker, Salz und Fette in Fertigprodukten zu reduzieren. Gesund sind zum Beispiel die meisten speziell an Kinder vermarkteten Lebensmittel aber immer noch nicht, wie eine Marktstudie der Organisation Foodwatch kürzlich zeigte. Gut ist, dass Klöckner im Herbst 2020 die farbige Nährwertkennzeichnung Nutri-Score eingeführt hat. Aber im Vergleich zu Frankreich und Belgien etwa war sie sehr spät mit diesem für die Hersteller freiwilligen System dran.
Erfolge minimal
Werbeverbote für ungesunde Kinderlebensmittel, verbindliche Vorgaben für den Zuckeranteil und eine Zuckersteuer will Klöckner erst gar nicht. Dabei sind über die Hälfte der Erwachsenen hierzulande übergewichtig. Klöckners Erfolge sind also minimal. Sie hat kaum etwas verändert an den Umweltschäden durch die Landwirtschaft und der grassierenden Fehl-Ernährung. Damit hat sie die Mission erfüllt, die ihr die Wähler von CDU und CSU gegeben hatten. Das Wahlprogramm dieser Parteien sah eben keine Agrar- und Ernährungswende vor, sondern vor allem ein „Weiter so“.
CDU und CSU treten auch bei dieser Bundestagswahl mit einem Programm an, das keine wesentliche Veränderung verspricht. Die Parteien betonen die angeblichen Leistungen der Landwirtschaft für Artenvielfalt und Klimaschutz. Aber die Probleme, die sie verursacht, benennen die Konservativen nicht. Stattdessen heißt es vage: „Natur-, Klima-, Arten- und Moorschutzleistungen werden wir durch Kooperationen und Anreize fördern.“ An sich ja sinnvoll. Aber da konkrete Angaben zu Umfang und Art dieser Förderung fehlen, kann sich niemand auf solche Versprechen verlassen. Viel klarer spricht sich die Union dagegen dafür aus, Pflanzen der neuen Gentechnik leichter zuzulassen.
Schwach im Vergleich zu Grünen und Linken
Besonders schwach wirkt das Unionsprogramm, wenn man es mit denen der Grünen oder der Linken vergleicht. Die Grünen, die dem Thema am meisten Platz widmen, wollen das am meisten gebrauchte Pestizid, Glyphosat, sofort verbieten und den Einsatz von Ackergiften allgemein reduzieren. Dafür planen sie eine Abgabe auf Pestizide. In Natur- und Trinkwasserschutzgebieten sollen solche Chemikalien nicht mehr benutzt werden dürfen. Dafür bekämen die betroffenen Betriebe einen finanziellen Ausgleich.
Es sollen weniger Tiere in Deutschland gehalten werden, um den Treibhausgasausstoß zu senken. Sie sind gegen Amputationen und Haltung von Tieren in Käfigen. Ein Tierschutzcent auf tierische Lebensmittel soll den tierfreundlichen Umbau von Ställen finanzieren. Der Konsum von Fleisch und Milch soll sinken.
Klöckner und die Union würden all das gern verhindern. Klöckner kandidiert in ihrem Heimatwahlkreis Kreuznach in Rheinland-Pfalz für den Bundestag. Sollte Armin Laschet Kanzler werden und wie angekündigt die Hälfte der Unionsministerposten mit Frauen besetzen, hätte die Vizevorsitzende der CDU sogar Chancen auf einen Platz im Kabinett. Aber die WählerInnen könnten sie ja noch stoppen.
Hinweis der Redaktion, 08.09.21: In einer früheren Version dieses Artikels war das Budget für die EU-Agrarsubventionen falsch beziffert. Wir haben das korrigiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste