Bauern und die Bundestagswahl: Grüne Gefahr, grüne Hoffnung
Landwirt Christian Bielefeld will die FDP wählen, um einen grünen Agrarminister zu verhindern. Ein Fehler, findet sein Berufskollege Björn Scherhorn.
Da kann Scherhorn, neben einer Kuhweide keine 3 Kilometer von Bielefelds Betrieb entfernt stehend, nur mit dem Kopf schütteln. „Es bleibt keine andere Option als die Grünen“, sagt der 40-Jährige. Er trägt einen braunen Lederhut, ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „Bio rockt“, lange Haare, am Hals ist er tätowiert. Manche der kleineren Parteien gefalle ihm sogar noch besser, aber die würden ja nicht die 5-Prozent-Hürde schaffen.
Wie kommen zwei Berufskollegen zu so dermaßen unterschiedlichen Ansichten? Warum sollte das auch Nichtlandwirte interessieren?
Letzteres lässt sich leicht beantworten: Die deutschen Bauern erzeugen die meisten Lebensmittel, die hierzulande gegessen werden. Sie belegen die Hälfte der deutschen Landfläche, sie halten die meisten Tiere, vor allem sie belasten das Grundwasser mit dem potenziell gesundheitsschädlichen Nitrat aus Düngern, sie sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass immer mehr Pflanzen- und Tierarten aussterben. 13 Prozent der Treibhausgase kommen laut Umweltbundesamt aus der Landwirtschaft.
90 Prozent der Bauern arbeiten konventionell
Wer wissen will, warum Bauern wie Bielefeld und Scherhorn zu ihrer Wahlentscheidung kommen, besucht sie am besten auf ihren Höfen. Die Allee zum Betrieb von Christian Bielefeld und seiner Familie führt an einer ganzen Reihe von großen Kuhställen vorbei. An die zehn Gebäude stehen auf Bielefelds Anwesen. In den Ställen geben 350 Kühe Milch, auf 250 Hektar Acker und Wiese bauen die Bielefelds den Großteil des Futters an. Damit liegen sie weit über dem Branchendurchschnitt in Deutschland. Bielefeld kann sich sieben Mitarbeiter und ein großzügiges Wohnhaus mit langer Tafel und Kaminzimmer leisten. Die Kühe können sich zwar im Stall frei bewegen. Aber in den Monaten, in denen sie Milch geben, kommen sie nie auf die Weide. Bielefeld baut vergleichsweise wenig Pflanzenarten an und schützt sie mit Pestiziden vor Schädlingen und Krankheiten.
Sein Hof gehört zu den 90 Prozent der landwirtschaftlichen Unternehmen in Deutschland, die konventionell arbeiten. Andere Bauern halten ihn für einen „guten Betrieb“, ein Vorbild: effizient, wachstumsorientiert, für seine Region groß. Das Ziel solcher Unternehmen ist es, so billig wie möglich zu produzieren, um die Konkurrenz auszustechen – nicht nur die im Nachbardorf, sondern auch die auf dem Weltmarkt.
Diese Strategie unterstützen im Bundestag seit Jahrzehnten vor allem CDU/CSU und FDP. Konsequenterweise betonen die Unionsparteien in ihrem aktuellen Wahlprogramm die angeblichen Leistungen der Landwirtschaft für Artenvielfalt und Klimaschutz. Aber die Probleme, die sie verursacht, benennen die Konservativen nicht. Genauso wenig wie die FDP. Denn sonst müssten sie ja möglicherweise wie die Grünen staatliche Eingriffe wie eine Pestizidabgabe oder höhere Steuern auf besonders klimaschädliche Lebensmittel wie Fleisch befürworten. Das würde die Produktionskosten erhöhen oder den Absatz der Landwirte schmälern.
„Turbo-Kuh“ gibt 10.000 Kilogramm Milch im Jahr
Auch Bauer Bielefeld redet Umwelt- und Tierschutzprobleme der Landwirtschaft klein. Er habe einen Zeitungsartikel über die Wasserverschmutzung gelesen, wonach „doch nicht die Landwirtschaft wissenschaftlich erwiesen zum Großteil für die Einträge ins Wasser verantwortlich ist, sondern zu einem Großteil es doch Kläranlagen der Menschen sind“. Am meisten überdüngt seien Schrebergärten. Experten etwa des Umweltbundesamts bestätigen aber immer wieder, dass das Nitrat nur zu einem kleinen Teil aus Kläranlagen kommt. Kleingärten belegen lediglich 0,1 Prozent der deutschen Bodenfläche. Sie dürften also selbst bei heftiger Überdüngung kaum ins Gewicht fallen.
Warum er seinen Milchkühen keinen Auslauf gewährt? „Weil es auch für die Tierernährung“ besser sei, antwortet Bielefeld. Im Stall sei das Futter anders als auf der Weide immer gleich. Und das sei wichtig für eine Kuh, „die mehr als 10.000 Kilogramm Milch geben möchte, worauf wir angewiesen sind, weil wir zu Weltmarktbedingungen produzieren müssen“. Über 10.000 Kilogramm Milch pro Jahr – das darf man als „Turbo-Kuh“ bezeichnen, die viele Grüne wegen ihrer Tierschutzprobleme für problematisch halten.
Die Partei mache Politik eben „nicht in erster Linie für die Landwirte“, sondern für die „60, 70 Prozent Verbraucher“, die Naturschutz wollten, sagt Bielefeld. Dabei würde er als Rinderhalter und Futterbauer „viel mehr für die Natur tun als gegen die Natur und auch einen großen Teil zur Ernährung beitragen“.
Björn Scherhorn hat auch Milchkühe, aber nur 70, für die er das komplette Futter auf 88 Hektar anbaut. Die Rinder stehen die meiste Zeit des Jahres auf der Weide. Sie geben dem Landwirt zufolge nur 6.700 Liter Milch pro Jahr. Chemisch-synthetische Pestizide darf er nicht benutzen. Scherhorn ist Biobauer. Während Bielefeld die Kälber gleich nach der Geburt von den Mutterkühen trennt, lässt Scherhorn den Nachwuchs monatelang bei den Elterntieren. Er und seine Frau bewirtschaften den Hof quasi allein.
Weniger Tiere
Was er sich von den Grünen verspricht? „In der Agrarpolitik muss sich deutlich was ändern“, antwortet Scherhorn. In den vergangenen 16 Jahren, in denen CDU und CSU das Landwirtschaftsministerium führten, hätten einfach zu viele Höfe aufgeben müssen. Newcomer im Regierungsgeschäft wie Annalena Baerbock könnten da frischen Wind bringen.
Die Grünen wollten die Agrarsubventionen der Europäischen Union so reformieren, dass nur noch die Bauern Geld bekämen, die besonders viel für den Umwelt- und den Tierschutz tun, lobt Scherhorn. Subventionen könnte es zum Beispiel dafür geben, die Kühe auf der Weide zu halten. Das tue dem Wohlbefinden der Tiere und ihrer Gesundheit gut, sagt Scherhorn. Und so könnten die Landwirte mehr Grünland erhalten, das artenreicher ist als Ackerland und mehr Kohlendioxid speichert. Aber viele Bauern wehren sich gegen solche zusätzlichen Bedingungen. Scherhorn findet: „Diese Auflagen sind ein Prädikatszertifikat.“ Sie führten zu einer umweltfreundlicheren Produktion, mit der die heimischen Bauern sich von Billigimporten abgrenzen könnten.
„Weniger Tiere ist richtig“, sagt Scherhorn zu der Forderung der Grünen, die Tierzahlen zu senken. Die Tierhaltung verursacht die meisten Treibhausgase der Landwirtschaft, Fleisch und Milchprodukte sind klimaschädlicher als pflanzliche Nahrungsmittel. Die Grünen wollen niedrigere Obergrenzen für die Tiere pro Fläche, mehr Tierschutz und eine verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung. Der Tierwohlcent soll den Umbau der Ställe finanzieren. Nicht alle Details hält Scherhorn für sinnvoll. Aber es geht in die richtige Richtung, ist der Landwirt überzeugt. „Wenn wir weniger Tiere haben, haben wir weniger Ware auf dem Markt und dann gibt es auch keine Übersättigung mehr“, sagt Scherhorn. In der Folge würden auch die Preise steigen und die Landwirte pro Produkt mehr verdienen. „Es gibt kein Recht auf jeden Tag Fleisch oder einen Liter Milch“, sagt der Bauer.
Er unterstützt auch die Forderung der Grünen, eine neue Abgabe auf Pestizide zu erheben. „Die externalisierten Kosten der konventionellen Landwirtschaft müssen eingepreist werden“, so der Landwirt. Pestizide vergiften nicht nur Schädlinge, sondern auch andere Pflanzen und Tiere. Deshalb sind sie eine Ursache für den Artenschwund. Scherhorn verzichtet als Biobauer auf chemisch-synthetische Pestizide, erntet dafür aber auch weniger. Eine Pestizidabgabe könnte diesen Wettbewerbsnachteil zumindest teilweise ausgleichen, hofft er.
Gefahr durch Freihandel
Scherhorn hat keine Angst vor den Grünen, denn er sieht sich gut gerüstet für den Umbau der Landwirtschaft, den die Partei vorschlägt. „Wir gehen vorweg“, sagt Scherhorn. Sein Hof hat ja schon das Biosiegel, er hält seine Kühe auf der Weide, er baut nicht nur eine Fruchtart auf einem Acker an, sondern mehrere gleichzeitig. Bald will er Lebensmittel zwischen Bäumen erzeugen, die CO2 speichern und die Wasserversorgung verbessern. „Es nützt nichts, wenn wir in die Blockadehaltung gehen“, warnt Scherhorn seine Berufskollegen. Sonst würde der Staat mehr Umweltschutz diktieren, ohne dass die Landwirte aktiv mitgestalten könnten. „Das ist dann eine schleichende Enteignung über eine Zwangsökologisierung.“
Vor allem aber hat sich Scherhorn schon lange davon verabschiedet, für den Weltmarkt produzieren zu wollen. „Früher habe ich auch Mineraldünger aufs Feld gekippt, Bäume gefällt und so weiter“, erzählt Scherhorn vor seinem Fachwerkhaus, das seine Vorfahren vor 230 Jahren gebaut haben. Aber billig genug war seine Milch dann immer noch nicht. „Irgendwann stand ich da oben unter dem Dach und wollte springen.“ Er tat es nicht und stellte 2016 auf Bio um. Jetzt verkauft er seine Biomilch und seinen Käse in Deutschland zu den höheren Ökopreisen. Scherhorn hat verstanden: „Ein nachhaltig erzeugtes Produkt hat auf dem Weltmarkt keine Chance, es ist zu teuer.“ Deshalb will er, dass die EU ihren Markt etwa vor Milchimporten weiterhin durch hohe Zölle schützt.
Das berührt ein Thema, das Bauern wie Bielefeld als Argument gegen höhere Umweltstandards nutzen. „Solange das Fleisch und die Eier aus Drittländern kommen, können wir nicht weniger produzieren zu höheren Preisen, wenn es keiner kauft“, sagt der konventionelle Landwirt. Er würde es gut finden, wenn die deutschen Bauern besser vor der Konkurrenz von außerhalb der EU geschützt wären. Aber ausgerechnet seine FDP ist dafür nicht zu haben. Sie will sogar noch mehr Freihandel. Und will das Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten so schnell wie möglich abschließen – obwohl Bauern befürchten, dass dann viel mehr billiges Rindfleisch von dort in die EU gelangt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?