Abschiebungen nach Syrien: Gefahr für die syrische Gesellschaft
Auf der Innenministerkonferenz werden Abschiebungen nach Syrien gefordert. Straftäter kommen so straffrei davon und gefährden die Bevölkerung vor Ort.
D as syrische Regime von Baschar al-Assad trägt zweifellos die Hauptverantwortung für die derzeitige Lage im Land. Das hat dazu geführt, dass über die letzten 13 Jahre hinweg extremistische Gruppen leicht nach Syrien einreisen konnten. Die syrische Revolution von 2011 wollte eine zivile und demokratische Staatsordnung aufbauen, basierend auf dem Prinzip der Bürgerschaft. Das Assad-Regime hat uns, die Zivilbevölkerung, bekämpft und radikal-islamistische Kräfte gestärkt. Das hat uns ins Chaos gestürzt.
Deshalb schockiert mich die Nachricht, dass Personen, die in Deutschland mit terroristischen Handlungen in Verbindung gebracht werden, nun nach Syrien abgeschoben werden sollen. Diese Praxis steht im Widerspruch zum Weltrechtsprinzip. Es bedeutet, dass die Bundesanwaltschaft Verbrecher bestrafen kann, die in einem anderen Land Gräueltaten begangen haben.
Als Syrer habe ich unter vielen terroristischen Handlungen gelitten, sowohl seitens der Islamisten als auch der Regierungsanhänger. Ich habe Deutschland wegen seiner besonderen Rechtsprechung immer als einen Ort verstanden, an dem ich Gerechtigkeit suchen kann. Bis heute.
Ich höre auch, dass die deutsche Bundesregierung zum Zwecke der Abschiebung sogenannte sichere Landesteile in Syrien ausweisen will. Welchen Teil von Syrien genau will Deutschland als sicher betrachten? Es ist ein furchtbares Gedankenspiel. Selbst wenn es in Syrien eine sichere Zone gäbe, würde man sie durch die Rückführung von terroristischen Gefährdern wieder zerstören.
geboren 1979 in Deir al-Sor im Nordosten Syriens, studierte Jura in Beirut. Mit Beginn der Revolution kehrte er in seine Heimatstadt zurück, um sich dort zu engagieren. 2014 floh er vor der Machtübernahme des IS ins Ausland. Nach dessen Niederlage im Nordwesten Syriens kam Al-Rawi zurück und baute zivile Zentren in den ehemaligen IS-Hochburgen Al-Bab und A'zaz auf, um der islamistischen Ideologie entgegenzuwirken. Bis heute leitet er diese Zentren.
Um Martin Luther King zu zitieren: „Unrecht an irgendeinem Ort bedroht die Gerechtigkeit an jedem anderen.“ Es ist inakzeptabel, Kriminelle straflos dorthin abzuschieben, wo sie möglicherweise erneut Straftaten begehen. Sie bringen uns in Gefahr.
Wer ein stabiles und von internationaler Hilfe unabhängiges Syrien will, sollte Syrer*innen den deutschen Gesetzen entsprechend behandeln und terroristische Gefährder hier vor Gericht stellen. Alles andere untergräbt die Bemühungen, Syrien zu einem sicheren Land zu machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren