Abschiebung eines Vertragsarbeiters: Hardliner in Härtefallkommission
Sachsen will einen ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter aus Vietnam abschieben. Er bekommt viel Unterstützung, aber der Ausländerbeauftragte bleibt stur.
Pham Phi Son kam 1987 als Vertragsarbeiter nach Sachsen und lebte dort bis 2017 als unbescholtener Bürger: Er hatte eine Wohnung, Arbeit und zahlte Steuern. Dann wurde seine jüngste Tochter Emilia geboren. Son wollte ihre Geburt und ihre deutsche Staatsangehörigkeit beurkunden lassen, doch da fiel der Stadt Chemnitz etwas auf: Ein Jahr zuvor hatte Son Urlaub in Vietnam gemacht und war dort länger als sechs Monate geblieben. Nach sechs Monaten Aufenthalt außerhalb Deutschlands erlischt aber in der Regel die Niederlassungserlaubnis.
Son sowie seine damals neu zugewanderte vietnamesische Frau und das Baby sollten also Deutschland verlassen. Die Stadt Chemnitz sorgte dafür, dass die Familie Wohnung und Arbeit verlor. Eine Klage gegen den Entzug des Aufenthaltsrechts vor dem Verwaltungsgericht scheiterte. Auch die sächsische Härtefallkommission lehnte damals den Härtefallantrag ab.
Die Familie lebte danach mehrere Jahre im Untergrund in einem anderen Bundesland, wurde von der vietnamesischen Community unterstützt. Im Januar dann gingen Pham Phi Son und seine Frau mithilfe des parteilosen sächsischen Landtagsabgeordneten und SPD-Fraktionsmitglieds Frank Richter sowie ihres Seelsorgers Stefan Taeubner an die Öffentlichkeit. Mit Unterstützung der Chemnitzer Stadtgesellschaft und der neuen Chemnitzer Ausländerbeauftragten, Etelka Kobuß, durfte die Familie zurück nach Chemnitz ziehen, bekam wieder eine Wohnung und eine befristete Duldung.
Seit einer Woche droht die Abschiebung
Doch nun, da Geert Mackenroth die erneute Befassung mit dem Antrag abgelehnt hat, weil keine neuen Fakten vorgetragen wurden, droht seit einer Woche erneut die Abschiebung. Der Ausländerbeauftragte sagte der taz, dass er aus Gründen des Daten- und Persönlichkeitsrechtes keine Details für seine Entscheidung nennen möchte. „Ich habe den Antrag aber gründlich geprüft und auch Akten der Behörden herangezogen.“
Nam-Anh Nguyen von der Vereinigung der Vietnamesen in Berlin und Brandenburg, die Son und dessen Familie unterstützt, macht das wütend: „Es wurden sehr wohl neue Fakten vorgetragen.“ Beispielsweise habe er ein Attest aus Vietnam vorgelegt, wonach sich der ehemalige Vertragsarbeiter während seiner langen Abwesenheit in ärztliche Behandlung begeben musste. Das habe ihn an der rechtzeitigen Rückkehr nach Deutschland gehindert. Im subtropischen Klima Vietnams sei eine alte Kriegsverletzung an seinem Bein wieder aufgeflammt. „Außerdem schlägt sich die Familie seit fünf Jahren mit Unterstützung der vietnamesischen Gemeinde finanziell durch. Diesen Willen, ihm zu helfen, hätte man auch als neuen Fakt anerkennen müssen“, fügt Nguyen hinzu.
Trennung der Familie möglich
Die sächsische Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Linke) sieht den Fehler in der Verordnung über die Härtefallkommission des Freistaats: „Es kann nicht sein, dass eine Einzelperson eine erneute Befassung ablehnen kann.“ Frank Richter bezeichnet die drohende Abschiebung der Familie Pham als „eine menschliche Tragödie“. Er appelliere an die Behörden, der Familie eine Zukunft in Deutschland zu ermöglichen.
Der Abgeordnete sieht die Gefahr, dass die Familie durch Abschiebung getrennt wird, denn gegenwärtig haben nur Frau und Kind einen vietnamesischen Reisepass und können damit nach Vietnam einreisen. Der heute 65-jährige Mann hat keinen. Diese Familientrennung und die „Deportation“ der in Deutschland geborenen Tochter „in ein völlig fremdes Land“ wäre aus Richters Sicht „am schlimmsten“. Er will die sächsische Kinderschutzbeauftragte auf den Fall aufmerksam machen.
In Sachsen plädieren die Regierungsfraktionen SPD und Grüne in einem gemeinsamen Positionspapier, das der taz vorliegt, für humanitäre Entscheidungen für ein Bleiberecht für geduldete Menschen. Ihren Koalitionspartner CDU haben sie da nicht auf ihrer Seite.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge