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Abschiebedebatte nach Solingen-AnschlagDie deutschen Assad-Versteher

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Nach dem Anschlag in Solingen offenbart sich eine neue Achse der Härte gegen Flüchtlinge: CDU und BSW wollen Abschiebungen in den Folterstaat Syrien.

Mit der BSW geeint in der Reaktion auf das Attentat in Solingen: CDU-Chef Friedrich Merz Foto: Kay Nietfeld/dpa

W ie bekämpft man Terror? Deutsche Politiker haben ein neues Pauschalrezept entdeckt: Zusammenarbeit mit Terrorregimen. „Nach Syrien und Afghanistan kann abgeschoben werden, weitere Flüchtlinge aus diesen Ländern nehmen wir nicht auf“, schrieb der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz in seiner „Merzmail“ am Sonntag. „Ich würde mir wünschen, dass wir die Wirtschaftssanktionen gegenüber Syrien aufheben“, sekundierte in der Tagesschau vom Montag die Vorsitzende des Bündnisses Sahra Wagenknecht, Sahra Wagenknecht, und schlug eine Rückführung der Flüchtlinge vor: „Der Krieg ist vorbei, es gibt keinen Grund, generell Menschen aus Syrien in Deutschland zu behalten.“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte schon eine Woche vorher gesagt, an Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan sei sie „dran“.

Dass in Afghanistan und Syrien Staatsterror herrscht, ist da offensichtlich egal. Erst drei Jahre ist es her, da stellte das Oberlandesgericht Koblenz in einem ersten wegweisenden Urteil fest: Das Assad-Regime in Syrien beging Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Rahmen eines „ausgedehnten und systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung“, und zwar schon zu Beginn der friedlichen Demonstrationen für Demokratie in Syrien 2011, lange bevor deren Scheitern in den Bürgerkrieg führte.

Das Koblenzer Urteil beschreibt Assads Vernichtungsapparat, dessen Opfer­zahlen „monatlich in die Tausende“ gingen, bis ins Detail. Im Rahmen der heutigen Syrien-Debatten muss man das genau lesen:

Die Toten wurden bürokratisch erfasst.

Oberlandesgericht Koblenz

„Soweit Häftlinge in Gefängnissen und Geheimdiensteinrichtungen ums Leben gekommen oder unmittelbar auf der Straße getötet worden waren, wurden ihre Leichen in die Militärkrankenhäuser gebracht. Dort wurden die – großteils nackten oder nur mit Unterwäsche bekleideten, durch Spuren von Unterernährung und/oder Folter gezeichneten – Leichen zusammen mit den in den Militärkrankenhäusern selbst Verstorbenen gesammelt und in Kühlhäusern zwischengelagert, angesichts ihrer die Kapazitäten überschreitenden Anzahl bald aber schlicht in Hallen oder Höfen abgelegt. Die Toten wurden bürokratisch erfasst (…). Die Anzahl der allein in Damaskus auf diese Weise erfassten Leichen betrug anfänglich mindestens zehn pro Tag, stieg aber bald auf eine tägliche Anzahl von mindestens 50. Von den Sammelstellen wurden die Leichen nach ihrer katalogartigen Erfassung in Kühltransportern und Lastkraftwagen, teilweise auch auf Sattelschleppern in hierzu eigens errichtete Massengräber gefahren.“

Realitätsverweigerung deutscher Politiker

Wissen deutsche Politiker, die nach Syrien abschieben wollen, dass die Verantwortlichen hierfür bis heute an der Macht sind? Haben sie die Syrien-Urteile deutscher Gerichte gelesen? Bedeutet „Nie wieder ist jetzt“ nicht auch, nie wieder staatliche Massenvernichtung gewähren zu lassen?

Assad ließ man letztlich immer gewähren. Als aus dem Protest in Syrien ein Bürgerkrieg wurde, setzte das Assad-Regime neben brachialer Repression auf Luftangriffe mit Fassbomben und chemischen Kampfstoffen. Dass die damaligen westlichen Führer Barack Obama, François Hollande und David Cameron es 2013 versäumten, auf den ersten großen Chemiewaffeneinsatz Assads gegen die eigene Bevölkerung militärisch zu antworten, gehört zu den großen nicht aufgearbeiteten Versäumnissen der internationalen Politik. Der Westen hielt still und war dann überfordert, als Millionen Menschen aus Syrien flohen.

Ebenso gab er 2021 Afghanistan kampflos an die Taliban zurück, ein Verrat an einer ganzen jungen afghanischen Generation. Russlands Putin-Regime, das Assad militärisch gerettet hatte, knöpfte sich daraufhin siegessicher die Ukraine vor.

Der westliche Sündenfall Syrien bildet eine zentrale Grundlage der geopolitischen Krisen der Gegenwart. Aber schon vor Monaten versprach SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz schnelle Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien, ohne zu wissen, wie. CDU und AfD bemängeln, dass da nichts passiert ist, und nun auch Wagenknechts BSW.

Die Achse der Möglichkeiten

Auf der Grundlage gemeinsamer Menschenverachtung ist in Deutschland vieles möglich. Vielleicht schon bald CDU-BSW-Koalitionen in Sachsen und Thüringen, in der Flüchtlingsabwehr geeint? Ihre Hauptopposition in diesen Ländern wäre wohl die AfD, aus der bereits 2018 der Vorschlag kam, syrische Flüchtlinge über Russland nach Syrien zu repatriieren.

In Deutschland gibt es derweil noch offene Haftbefehle gegen Folterverantwortliche des syrischen Regimes. Darüber spricht niemand. Auf die deutschen Putin-Versteher folgen die deutschen Assad-Versteher. Ermutigt werden sie durch einen einzigen islamistischen Terroristen aus Syrien, dessen Terrorakt jetzt hunderttausende Geflüchtete in Angst stürzt. Es wäre die Aufgabe einer verantwortungsbewussten Regierung, dem mit Verantwortung zu begegnen. Das Gegenteil ist der Fall.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.