Abbas' Holocaust-Vergleich: Unfähigkeit und Sprachlosigkeit
Kanzler Scholz steht mit seinem Fehlverhalten nicht allein. Wenn es um die Relativierung des Holocaust geht, hört man in Deutschland zu oft nur Schweigen.
E in Staatsgast hat bei seinem Besuch in Deutschland den Holocaust relativiert. Es gebe „50 Holocausts“ von Seiten Israel gegen Menschen in palästinensischen Städten und Dörfern, erklärte Mahmud Abbas, Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin. Anschließend rief der Mann zum Frieden mit Israel auf. Danach ein kurzer Händedruck zwischen Abbas und Scholz. Und Abgang. Keine Reaktion auf deutscher Seite. Kein Wort des Kanzlers zu der unerhörten Behauptung – die Antwort folgt mit ungehöriger Verspätung.
Scholz' langes, viel zu langes Schweigen war falsch, und das hat er vermutlich inzwischen selbst eingesehen. Doch es geht hier nicht um einen Fauxpas des Kanzlers. Wenn es eine gemeinsame grundsätzliche Überzeugung der politisch Verantwortlichen in diesem Land gibt, dann ist es die Einsicht, dass der Massenmord an Millionen Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten eben kein Ereignis war, das sich mit anderen vergleichen ließe oder gar in eine Reihe gestellt werden könnte.
Diese Auffassung ist wohlbegründet: Deutsche haben vor 80 Jahren mit industriellen Methoden versucht, ein ganzes Volk ohne Ausnahme auszurotten. Sie sind dabei sehr weit gekommen. Jeder Vergleich mit anderen Taten relativiert diese Tatsache, aus der sich historische Verpflichtungen ergeben.
Der Kanzler steht mit seinem Fehlverhalten nicht allein, und es ist billig, daraus kurzfristig politisches Kapital schlagen zu wollen, so wie es Oppositionsführer Friedrich Merz von der CDU tut. Denn in Deutschland hat sich ein seltsamer Zwiespalt entwickelt. Da sind einerseits die wohlgewählten Worte bei Gedenkfeiern, wo immer wieder versichert wird, dass man die damaligen Geschehnisse nicht vergessen dürfe, der Judenhass bekämpft werden müsse und die Existenz jüdischen Lebens in Deutschland ein Bereicherung darstellt. Und da ist andererseits die Unfähigkeit, die richtigen Worte zu finden, wenn genau diese Grundsätze in Frage gestellt werden.
Als der Attentäter von Halle versucht hatte, die Besucherinnen und Besucher einer Synagoge zu ermorden, hieß es unisono, dass man sich nicht habe vorstellen können, dass solch ein Verbrechen im Jahr 2019 möglich sein kann. Einzig die hier lebenden Jüdinnen und Juden waren nicht überrascht, denn sie wussten um die Gefahr durch Neonazis, Antisemiten und Rassisten.
Eine Reihe des Fehlverhaltens
Wenn anlässlich des 50. Jahrestags des Massakers bei den Münchner Olympischen Spielen im nächsten Monat eine Gedenkfeier geplant wird, dann lädt man gerne die Hinterbliebenen der damals ermordeten israelischen Sportler und Trainer ein. Aber die Bereitschaft zur Offenlegung von Dokumenten, zum Eingeständnis politischen und polizeilichen Versagens und zur finanziellen Entschädigung hält sich in gewissen Grenzen.
Gerne versichert die Bundesrepublik ihre Solidarität mit Israel. Aber wenn in palästinensischen Schulbüchern stereotype und menschenverachtende Bilder von Jüdinnen und Juden erscheinen, dann ist das kein Anlass darüber nachzudenken, ob die finanzielle Förderung der Autonomiebehörde einer Überprüfung bedarf.
Olaf Scholz hat sich mit seinem Schweigen in diese Reihe politischen Fehlverhaltens eingereiht. Er wird darauf hoffen können, dass die Empörung darüber eine vorübergehende Erscheinung bleiben wird. Die hehren Worte zum Gedenken und die Versprechungen werden bleiben – so wie die Sprachlosigkeit, wenn es darum geht, heute und aktuell dem Unsagbaren zu widersprechen.
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