80 Jahre nach der Bombardierung: Neonazidemo läuft durch Dresden
Seit Jahren nutzen Neonazis die Bombardierung im Zweiten Weltkrieg für ihre Zwecke. Trotz Blockaden marschierten sie am Samstag durch die Stadt.
Eine dreiviertel Stunde zuvor saßen neben dem Mann auf der Ostra-Allee noch etwa 70 weitere Menschen. Doch die Polizei hat einen nach dem anderen hinter die Absperrung getragen. Der verbliebene Mann reagiert nicht auf die Ansprache. „Dann geb ich Ihnen jetzt mal ihre Brille in die Hand“, sagt der Polizist, geht dann um den Mann herum und zieht ihn mit einem Griff unters Kinn vom Asphalt nach oben.
Durch die Innenstadt streiften den Samstag über kleinere Gruppen von Aktivist:innen, offensichtlich auf der Suche nach einem Weg auf die Neonazis-Route. Eine Sitzblockade am Dresdner Zwinger saß von elf Uhr an bis in den späten Nachmittag auf der Straße. Andere Blockadeversuche verhinderte die Polizei, teilweise mit Pfefferspray und Schmerzgriffen.
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Proteste in Dresden
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Proteste in Dresden
Am Samstagnachmittag konnten dann in diesem Jahr schätzungsweise 2.000 Neonazis und andere Rechtsextreme durch Dresden ziehen. Nicht so viele wie vor zwanzig Jahren, als er noch als größter regelmäßiger Neonazimarsch Europas galt. Doch es waren deutlich mehr als zuletzt. Auf Telegram feierten die rechtsextremen Freien Sachsen das als Errungenschaft. Doch sie blieben nicht unbehelligt: Auf ihrer Route liefen sie immer wieder an lautem Gegenprotest vorbei.
Pfefferspray gegen Sitzblockade
Schon um halb elf waberten Bässe über die Elbe in die Altstadt. Zwei Stunden, bevor sich die Neonazis versammelten, demonstrierten bereits mehrere hundert Menschen auf der Augustusbrücke. „Gegen den deutschen Opfermythos“, hieß es auf einem Banner. „Kampf dem Faschismus“, auf einem anderen. Die ersten Reihen des Demozugs skandierten „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ und „Nie wieder Deutschland, nie wieder Dresden“. Auf der anderen Seite der Altstadt zog ein zweiter, ähnlicher Protest in Richtung des Versammlungsorts der Neonazis. Über Stunden blieben die Demonstrant:innen in der Innenstadt.
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Anne Herpertz (Piraten), die beim Bündnis „Dresden WiEdersetzen“ den Protest mitorganisiert hat, zeigte sich am Abend zufrieden, auch wenn die Neonazis laufen konnten. „Es ist uns mit Tausenden gelungen, die Naziroute zu verkleinern“, betont sie. Das sei ein Erfolg. Allerdings kritisiert Herpertz das Vorgehen der Polizei: „Es gab absolut unnötige Härte beim Räumen von Demonstrant:innen, jede Menge Schmerzgriffe und Pfefferspray in die Masse.“
Die Polizei hatte vorab angekündigt, Ziel des Einsatzes am Samstag sei die „Wahrung der Grundrechte aller Versammlungsteilnehmer“ und Konflikte zu entschärfen. Wegen der starken Mobilisierung rechneten die Beamten mit einer konfrontativen Versammlungslage. Vor Ort waren Beamte aus acht Bundesländern und von der Bundespolizei.
Beim „Gedenkmarsch“ stellten sie am Samstag 39 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz fest. „Unter anderem hatten Teilnehmer Protektorenhandschuhe, Einhandmesser, Schlagringe und Pfefferspray dabei oder trugen Springerstiefel. Weitere Männer zeigten verbotene Zeichen auf ihrer Kleidung oder hatten diese sichtbar tätowiert“, heißt es in einer Mitteilung.
Den Marsch hatte in diesem Jahr Lutz Giesen angemeldet. Früher war er aktiv in neonazistischen Kameradschaften, heute sitzt er für die Freien Sachsen im Kreistag Mittelsachsen. Gegen Mittag trafen nach und nach immer mehr Neonazis in Szenekleidung beim Versammlungsort am Bahnhof Mitte ein. In den Reden sprachen sie über das „Weiße Europa“ und über die vermeintlichen Fakten zur Bombardierung Dresdens.
Historischen Forschungen zufolge starben bei den Angriffen der Alliierten vom 13. bis zum 15. Februar 1945 etwa 25.000 Menschen. Die Zahl sei zu gering, hieß es auf der Kundgebung
Unter anderem auf einem Banner mit NPD-Logo hieß es dieses Jahr erneut, es habe 350.000 Tote gegeben. Auf einem anderem stand, es sei ein „Bombenholocaust“ gewesen, eine Verharmlosung des industriell durchgeführten Massenmords an sechs Millionen Jüdinnen und Juden. Mit dem Begriff beschäftigte sich bereits in den vergangenen Jahren die Generalstaatsanwaltschaft Dresden. Die stellte jedoch das Verfahren ein, die Bezeichnung sei nicht strafbar.
Anmelder Lutz Giesen schimpfte, die offiziellen Zahlen seien Lügen. Und am Schluss lobte er noch die Dresdner und Deutschen von 1945, die trotz des Bombardements „bis zum letzten Tag dem Feind standgehalten haben“.
Menschenkette in Dresden
Zum offiziellen Gedenken hatte die Stadtregierung selbst am Donnerstag zu einer Menschenkette um die Altstadt aufgerufen. Laut einer Pressemitteilung nahmen 10.000 daran teil, darunter neben Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und der britische Botschafter Andrew Mitchell. Seit 2010 ist die Menschenkette mittlerweile zur Tradition geworden. Damals sollte sie symbolisch die Dresdner Altstadt von den Neonazis abschirmen. In diesem Jahr war sie dafür ein bisschen zu früh.
Am Samstag stellen sich trotzdem Tausende den Neonazis entgegen. Das sei gut, meint der Dresdner Steve Hollasky. Mit warmer Mütze gegen die Kälte gewappnet, demonstriert auch er am Samstag in der Altstadt. „Dass das wieder der größte regelmäßige Neonaziaufmarsch in Europa wird, darauf hat hier natürlich niemand Lust.“
Für Hollasky gehe es aber nicht nur darum, den „Gedenkmarsch“ durch Blockaden zu verhindern. Es brauche zusätzlich eine soziale Politik, statt der aktuell in Sachsen drohenden Sparmaßnahmen. Die Rechtsextremen seien schließlich die, „die vom Frust der Gesellschaft profitieren können, wenn zu viel gespart wird. Gleichzeitig sind sie auch diejenigen, die massiv bei Armut sparen wollen.“
Doch aktuell sieht es nicht danach aus, als ob sich die Sparpolitik in Sachsen oder der Bundesrepublik ändert. Insofern dürfte es auch im 81. Jahr nach der Bombardierung zu einem „Gedenkmarsch“ in Dresden kommen – und zum entsprechenden Gegenprotest.
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