+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Referenden noch diese Woche geplant
Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson wollen ab Freitag über den Beitritt zu Russland abstimmen. Moskau sieht härtere Strafen für Deserteure vor.
Scholz: „Scheinreferenden“ werden nicht akzeptiert
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die geplanten Abstimmungen in mehreren ukrainischen Regionen über einen Beitritt zu Russland für völkerrechtswidrig erklärt. Es sei „ganz, ganz klar, dass diese Scheinreferenden nicht akzeptiert werden können, dass sie nicht gedeckt sind vom Völkerrecht und von den Verständigungen, die die Weltgemeinschaft gefunden hat“, sagte Scholz am Dienstag am Rande der UN-Generalversammlung in New York. „Das ist alles nur der Versuch einer imperialistischen Aggression, die dadurch verbrämt werden soll.“
Russland müsse seine Truppen zurückziehen, forderte Scholz. „Die Ukraine hat jedes Recht, die Integrität und Souveränität des eigenen Landes und die eigene Demokratie zu verteidigen. Dabei unterstützen wir die Ukraine. (dpa)
Referenden zu Annexion auch in Cherson und Saporischschja
In der von der russischen Armee besetzten südukrainischen Region Cherson soll den prorussischen Behörden zufolge ab Freitag ein Referendum über einen Anschluss an Russland stattfinden. „Ich informiere Sie darüber, dass das Referendum entsprechend dem Dekret von 23. bis 27. September 2022 stattfinden wird“, erklärte der Chef der von Moskau eingesetzten Verwaltung, Wladimir Saldo, am Dienstag im Onlinedienst Telegram. Kurz zuvor hatten die ostukrainischen Separatistenregionen im Donbass Referenden im selben Zeitraum angekündigt. Nach Angaben der pro-russischen Verwaltung kündigte auch die Region Saporischschja ein Referendum zu Annexion an. (afp/ap)
Region Luhansk setzt Referendum für Beitritt zu Russland an
Die Separatistenführung in der umkämpften Region Luhansk in der Ostukraine hat ein umstrittenes Referendum für den Beitritt zu Russland angesetzt. Die Abstimmung werde vom 23. bis 27. September abgehalten, sagte der Chef des Separatistenparlaments, Denis Miroschnitschenko, am Dienstag der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Das Referendum gilt als Reaktion auf die aktuelle ukrainische Gegenoffensive im Osten des Landes. (dpa)
Beamte aus Cherson forderten erneut ein Referendum
Die Referenden im Donbass seien nicht nur von großer Bedeutung für den Schutz der Bewohner, sondern auch, um „die historische Gerechtigkeit“ wieder herzustellen, schrieb Dmitri Medwedew am Dienstag im Online-Netzwerk Telegram. Medwedew fügte hinzu: „Das Eindringen in russisches Gebiet stellt ein Verbrechen dar“, schrieb Medwedew am Dienstag in Online-Netzwerken. Zur Selbstverteidigung könnte Moskau „alle Mittel der Notwehr einsetzen“, hob der heutige stellvertretende Vorsitzende des russischen Nationalen Sicherheitsrats hervor.
Prorussische Behörden in der Ukraine fordern, Referenden über einen Anschluss an Russland abzuhalten. Aufgrund der Gegenoffensive ukrainischer Streitkräfte im Nordosten und Süden der Ukraine, wo die Ukrainer große Gebiete zurückerobern konnten, wächst die Sorge der Besatzer.
Medwedew erhielt nach seinen Aussagen über die Referenden umgehend Unsterstützung vom Präsidenten des russichen Unterhauses. Wjatscheslaw Wolodin sagte am Dienstag vor den Abgeordneten: „Wenn die Einwohner des Donbass sich frei äußern, um Teil Russlands zu sein, werden wir sie unterstützen.“
Der ranghohe prorussische Vertreter im Donbass, Denis Puschilin, erklärte am Dienstag, dass die separatistischen „Republiken“ Donezk und Luhansk seit Montagabend „aktiv“ an einem Referendum über den Beitritt zu Russland arbeiteten.
Die Vorbereitungen für Abstimmungen nach dem Modell des Referendums, das 2014 zur international kritisierten Annexion der südukrainischen Halbinsel Krim durch Russland führte, laufen bereits seit Monaten.
Die Besatzungsverwaltung der südlichen Region Cherson hatte am 5. September erklärt, sie würde ihr Referendum aufgrund der aktuellen Ereignisse „aussetzen“. Beamte aus Cherson forderten die Besatzungsbehörden am Dienstag jedoch erneut auf, „unverzüglich ein Referendum“ über einen Anschluss an Russland abzuhalten. (afp)
Härtere Strafen für Deserteure in Russland
In Russland sollen verschiedene Vergehen von Soldaten künftig schärfer geahndet werden. Das russische Unterhaus, die Duma, verabschiedet in zweiter und dritter Lesung ein Gesetz, das härtere Strafen für Desertieren, Ungehorsam und Beschädigung militärischer Einrichtungen vorsieht. Voraussetzung ist demnach, dass dies im Kampfgeschehen oder während einer Militärmobilmachung geschieht. Zuletzt war verstärkt über eine Mobilmachung in Russland diskutiert worden, was zu einer weiteren Eskalation des Ukraine-Kriegs führen könnte. (rtr)
Ungarn lehnt neue EU-Russland-Sanktionen ab
Die ungarische Regierung spricht sich gegen neue Russland-Sanktionen der Europäischen Union aus. „Die EU sollte … aufhören, von einem achten Sanktionspaket zu sprechen und Maßnahmen anzukündigen, die nur die Krise bei der Energieversorgung verschärfen würden“, erklärt Außenminister Peter Szijjarto. (rtr)
Russland verlegt U-Boote der Schwarzmeerflotte
Russlands Schwarzmeerflotte hat nach britischen Erkenntnissen einige ihrer U-Boote von Sewastopol auf der Halbinsel Krim in den mehrere Hundert Kilometer entfernten Hafen von Noworossijsk in Südrussland verlegt. Der Hauptgrund dafür sei wahrscheinlich eine Veränderung des Bedrohungsniveaus, erklärt das Verteidigungsministerium in London in seinem täglichen Lagebericht. Es verweist darauf, dass in den vergangenen zwei Monaten sowohl das Hauptquartier als auch der wichtigste Flugplatz der Schwarzmeerflotte auf der Krim angegriffen worden seien. (rtr)
Ukrainer drängen Russen im Osten weiter zurück
Die Ukraine ist nach eigenen Angaben weiter nach Osten in von russischen Truppen aufgegebenes Gebiet vorgedrungen. Der ukrainische Gouverneur der von russischen Streitkräften kontrollierten Region Luhansk, Serhij Hajdaj,schreibt im Messengerdienst Telegram, die ukrainischen Streitkräfte hätten die vollständige Kontrolle über das Luhansker Dorf Bilohoriwka wiedererlangt und bereiteten sich auf den Kampf um die Rückeroberung der gesamten Provinz vor. Es werde um jeden Zentimeter gekämpft werden: „Der Feind bereitet seine Verteidigung vor. Wir werden also nicht einfach einmarschieren.“ Die Angaben konnten nicht unabhängig verifiziert werden. (rtr)
Olaf Scholz spricht erstmals bei UN-Generaldebatte
Mit Reden von UN-Generalsekretär António Guterres, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro beginnt am Dienstag (09.00 Uhr Ortszeit; 15.00 Uhr MESZ) in New York die Generaldebatte der UN-Vollversammlung. Zu dem einwöchigen diplomatischen Spitzentreffen reisen rund 150 Staats- und Regierungschefs zum UN-Hauptquartier nach New York, darunter auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Er hält seine Rede am Dienstagabend (Ortszeit).
Wegen der Coronapandemie durften die Redner 2020 und 2021 auch Videoansprachen einreichen. Dieses Jahr müssen sie nun wieder persönlich auf das Podium im Sitzungssaal der UN-Vollversammlung treten. Eine Ausnahme machen die UN-Mitgliedstaaten lediglich für den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski, der wegen des russischen Angriffskriegs nicht nach New York reisen kann. Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den chinesischen Staatschef Xi Jinping, die ebenfalls keine Reise nach New York planen, gibt es dagegen keine Ausnahmeregelung. (afp)
Direktor russischer Rüstungsfirma festgenommen
Die russischen Ermittlungsbehörden haben einem Medienbericht zufolge den Direktor eines großen Rüstungsbetriebs wegen Betrugsverdacht festgenommen. „Juri Schumski, Generaldirektor des Staatsbetriebs „Swerdlow-Werk“, eines der landesweit größten Unternehmen zur Herstellung von Sprengstoff, wurde festgenommen“, schrieb die Tageszeitung Kommersant am Montag. Es soll um Exportgeschäfte mit Nato-Ländern gehen, die über Mittelsmänner unter anderem in der Schweiz und Österreich abgewickelt worden seien. Schumski wurde erst kurz vor Kriegsbeginn zum Direktor der Fabrik ernannt.
Offiziell geht es um einen reinen Betrugsfall: Über Briefkastenfirmen seien sieben bis zehn Prozent der Vertragssumme abgezwackt worden, heißt es. Der Duma-Abgeordnete Dmitri Kusnezow, der die Untersuchungen gefordert hatte, sprach nach der Festnahme von einer „Selbstreinigung“ der Branche. Ein politischer Hintergrund ist aber nicht auszuschließen. Kusnezow hatte Untersuchungen wegen des Exports von Sprengstoff nach Bulgarien, Großbritannien, Serbien und Zypern gefordert. Der Sprengstoff habe in den „feindlichen Nato-Ländern“ zu militärischen Zwecken verwendet werden können, klagte er.
Schumski war erst zu Jahresbeginn zum Direktor des Swerdlow-Werks ernannt worden, nachdem es unter seinem Vorgänger unter anderem zu einer Reihe von Explosionen und Bränden in den Fabrikhallen gekommen war. Auch nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gab es eine Reihe von Unfällen in russischen Rüstungsunternehmen, was zu Spekulationen um Sabotage führte. (dpa)
Füllstand deutscher Gasspeicher überschreitet 90 Prozent
Die deutschen Gasspeicher haben einen Füllstand von 90 Prozent überschritten. Dies geht aus Daten auf der Internet-Seite der europäischen Gas-Infrastruktur-Unternehmen hervor. Die Bundesregierung peilt einen Füllstand von 95 Prozent ab Anfang November an. Das Zwischenziel von 75 Prozent war Mitte August früher erreicht worden als geplant, wie auch die Marke von 85 Prozent Anfang September. Die Speicherfüllung gilt als ein entscheidendes Element dafür, dass Deutschland ohne Gas-Abschaltungen durch den Winter kommt. (rtr)
Diplomatische Gespräche über AKW Saporischschja
Die Außenminister Russlands und Frankreichs haben über die angespannte Sicherheitslage in dem von russischen Truppen besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja gesprochen. „Wichtig ist, dass es in der Ukraine nicht zu einem Nuklearunfall kommt in Folge der russischen Besatzung“, sagte Frankreichs Chefdiplomatin Catherine Colonna am Montag vor Journalisten in New York.
Lawrow erneuerte den Vorwurf Moskaus, wonach ukrainische Soldaten mit vom Westen gelieferten Waffen Infrastrukturanlagen wie das AKW beschießen sollen. Sie beschwören damit eine nukleare Katastrophe herauf, wie er sagte. Der Beschuss müsse aufhören, forderte Lawrow nach Angaben seines Ministeriums. Nach ukrainischer Darstellung wiederum beschießen die russischen Truppen das Kraftwerk selbst, um die Ukrainer für die Schäden verantwortlich zu machen.
Experten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) haben die Sicherheitslage an Europas größtem AKW untersucht. Ihr Bericht geht aber nicht auf die Frage ein, welche Seite schießt. Die IAEA will eine entmilitarisierte Zone um Saporischschja durchsetzen. Die Ukraine fordert die Kontrolle über das AKW zurück. (dpa)
Deutschland liefert Ukraine vier weitere Panzerhaubitzen
Deutschland wird der Ukraine vier weitere Panzerhaubitzen 2000 sowie ein weiteres Munitionspaket liefern. Das Verteidigungsministerium teilte am Montag mit, dass sich die Bundesregierung dazu „trotz der angespannten eigenen Materiallage“ bei der Bundeswehr entschieden habe. Die Lieferung wird durch Gespräche mit der Industrie über eine vorgezogene Lieferung überholter Geschütze aus der Instandsetzung des Heers möglich geworden und werde „unverzüglich“ in die Wege geleitet.
„Die von Deutschland und den Niederlanden gelieferten Panzerhaubitzen 2000 haben sich im Gefecht mehr als bewährt“, sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. „Damit steigt die Zahl dieser von Deutschland gelieferten Hochleistungsgeschütze auf 14.“ Deutschland hat gemeinsam mit der niederländischen Armee bereits zahlreiche Geschütze dieses Typs an die Ukraine geliefert. Die Bundeswehr bildet auch ukrainische Soldaten an den Panzerhaubitzen aus. (rtr)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland