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Proteste der Generation ZGen Zs aller Länder, vereinigt euch

Leon Holly

Kommentar von

Leon Holly

In Nepal, Marokko, Madagaskar, Bangladesch und anderswo demonstrieren Bewegungen unter dem Banner der Gen Z. Es ist ein weltweiter Aufstand der Jungen.

Social Media war überall bei der Gen-Z-Revolution in Nepal Foto: Sunil Pradhan/AA/imago

R egierungsgebäude, die brennen. Militärangehörige und Polizisten, die auf Studenten schießen. Und junge Demonstranten, die dazu in Tiktok-Videos tanzen. Wer dieser Tage eine Zeitung aufschlägt oder eben Tiktok und Instagram öffnet, wird wahrscheinlich auf den ein oder anderen Gen-Z-Protest stoßen.

In Nepal hatte die Regierung Anfang September viele soziale Medien blockiert, woraufhin die Jungen in Massen auf die Straße geströmt waren und den Rücktritt der Regierung erzwangen. In Marokko wehrt sich die Jugend gerade gegen eine Regierung, die lieber in Fußballstadien als in Schulen und Krankenhäuser investiert.

Gleichzeitig zieht es die Gen Z in Madagaskar auf die Straße, weil zwei Politiker verhaftet wurden, die eine Demo für ­bessere In­fra­struk­tur planten. Und bereits vergangenes Jahr hatten Gen-Z-Massenproteste in Bangladesch zum Rücktritt der Premierministerin Sheikh Hasina geführt.

Das sind nur die aktuell prominentesten Beispiele von Demobewegungen, vor allem in Asien und Afrika, die viele Medien als Gen-Z-Proteste bezeichnen. Dieses Label ist keine Zuschreibung von außen. Vielmehr gehen die Jahrgänge von 1995 bis 2010 selbst unter dem Banner ihrer Generation auf die Straße und schrei­ben „Gen Z“ auf ihre Demoschilder. In Marokko heißt die führende Gruppe Gen Z 212 (wobei „212“ für die Landesvorwahl steht), in Madagaskar trendet der Hashtag der Demonstrierenden: #GenZMadagascar.

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Es ist kein Zufall, dass die Proteste in Ländern mit sehr junger Bevölkerung aufflammen. Wenn – wie in Nepal – mehr als die Hälfte der Bevölkerung unter 30 Jahre alt ist, bedeutet das ein enormes Mobilisierungspotenzial. Von Rabat bis Kathmandu begehren die Jungen gegen die jeweiligen heimischen Eliten auf, streiken gegen Korruption, Vetternwirtschaft, Autokratie. Natürlich unterscheiden sich die Demos von Land zu Land in ihren Forderungen.

Aber über das Generationsbewusstsein hinaus gibt es eine große Gemeinsamkeit: die neuen sozialen Medien. Sie spielen eine große Rolle als Trigger sowohl für die Aufstände als auch für die Verbreitung der Botschaften und die Koordination der oftmals führerlosen Proteste.

Premierministerwahl über Discord

Dabei haben wir es in Nepal wohl mit dem „gen-z-igsten“ aller Gen-Z-Proteste zu tun. Auslöser für die geglückte Revolution war die Entscheidung der Regierung von Premierminister Sharma Oli, den Zugang zu ­Instagram, Tiktok und Co zu blockieren. Doch die Demos verwandelten sich schnell in einen Rundumschlag gegen die herrschende Kaste. Deren „Nepo-Kinder“ präsentieren sich auf Social Media nämlich in Saus und Braus, was Demounterstützer in flott geschnittenen Tiktoks mit der grassierenden Armut im Land kontrastierten (eine Gemeinsamkeit mit Madagaskar).

Einen Chat namens „Jugend gegen Korruption“ auf der Plattform Discord, die – ganz Gen Z – ursprünglich für Gamer gegründet wurde, machten die Demonstranten schnell zu ihrem „Hauptquartier“. Nach dem Rücktritt des Premierministers wählte die Bewegung über diesen Kanal Sushila Karki als Übergangspremier, die daraufhin auch tatsächlich ins Amt kam.

Auch anderswo setzen die Jungen auf Onlinenetzwerke und neue Technologien. In Kenia erstellen Menschen mithilfe von KI Poster, Bilder und Protestlieder, sammeln per Crowdfunding Geld, um Menschen zu den Demos zu fahren, oder nutzen ChatGPT, um im Internet Berichte über Korruptionsskandale aufzuspüren. Wer will da noch das Klischee bemühen, die Gen Z klebe passiv an ihren Smartphone-Bildschirmen?

Die Genese der Proteste erinnert dabei oft an das Aufkommen viraler Trends: Der Unmut verbreitet sich ohne klare Anführer oder Organisationsstruktur. Und die gleichen viralen Memes tauchen in verschiedenen Ländern auf. Das wohl prominenteste Beispiel: eine Piratenflagge mit Totenkopf und Strohhut aus der Manga-Serie „One Piece“, in der Piraten umherreisen und gegen korrupte Tyrannen und Sklavenhalter kämpfen. Gesichtet wurde die Flagge (unter anderem) bei Protesten in Nepal, Indonesien, Peru, Madagaskar, Frankreich, England, Osttimor und auf den Philip­pinen.

Ein neues Phänomen

Ja, junge Leute haben immer schon demonstriert. Und die Gen Z steckt halt gerade mitten in ihren Zwanzigern und somit im besten revolutionären Alter. Neu ist aber, dass eine globale Bewegung sich ihre Alterskohorte auf die Protestschilder schreibt.

Die Gen-Z-Revolutionäre aller Länder folgen keiner allumfassenden Metaerzählung mehr, träumen nicht von der sozialistischen Weltrevolution

So wären etwa die Demonstranten der Facebook- und Twitter-Revolutionen im Iran 2009 oder im arabischen Raum 2011 nicht auf die Idee gekommen, ihren Wunsch nach Freiheit und Würde als „Millenialrevolution“ zu bezeichnen. Und der Begriff der 68er-Generation hat sich erst als rückblickendes Label etabliert.

Anders als auch die 68er folgen die Gen-Z-Revolutionäre aller Länder keiner allumfassenden Metaerzählung mehr, träumen nicht von der sozialistischen Weltrevolution. Selbst prominente Solidarisierungen mit den Bewegungen anderer Länder sind rar. Während sie mit ihren nationalen Eliten abrechnet, lässt sich die Gen Z eher oberflächlich von den Ästhetiken und Taktiken ihrer Altersgenossen in anderen Erdteilen inspirieren.

Ein globales Generationsbewusstsein gibt es aber. Das entwickelte die Gen Z nicht nur wegen der Vernetzung durch Social Media, sondern auch wegen der weltweiten Polykrisen. Der Klimawandel, der Finanzschock 2008/09 oder die Pandemie waren und sind von Nordafrika bis Ostasien erlebbar. Gerade die Coronaseuche bedeutete nicht nur wirtschaftliche Entbehrungen, sondern veränderte auch das So­zial­leben radikal (und erhöhte die Tiktok-Screentime).

Sie fordern Versprechen ein

Die Solidarität auf Grundlage des Alters bleibt dennoch ein eher schwaches Band. Darin steckt auch etwas Postideologisches. Für eine Bewegung allerdings kann das von Vorteil sein, weil es die Bildung breiter politischer Koalitionen erlaubt. Auch darf man postideologisch nicht mit apolitisch verwechseln, denn das sind die Demos offenkundig nicht.

In Nepal etwa fordert die Gen Z, dass die Eliten, die nach der linksdemokratischen Revolution von 2006 an die Macht gekommen waren, sich an ihre eigenen Versprechen halten. „We are the children of a broken revolution“, stand da auf einem Plakat. Und wer will schon etwas einwenden gegen die essenzielle Forderung der Gen Z: Wir sind jung, deswegen gehört uns die Zukunft.

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Leon Holly
Jahrgang 1996, studierte Politik und Nordamerikastudien in Berlin und Paris. Von 2023 bis 2024 Volontär der taz Panter Stiftung. Schreibt über internationale Politik, Kultur, und was ihn sonst so interessiert.
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2 Kommentare

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  • Vielen Dank für den Artikel. Das Fieber der Jugend hält den Rest der Welt auf normal Temperatur, frei nach Satre.. Schön zu sehen, von einem aus einer anderen Generation, einer Generation, die mithalf wie im Wahn an der Abschaffung des menschlichen zu arbeiten, unverantwortlich handelt und wenig reflektiert. Die aber auch das Unwohlsein gepflegt hat und Träume am Leben hält und weiter auf der Suche scheint. Bunt, so wie die unserer Kinder. Und in all dem die Angst der Machthabenden, die Presse und große Tech-firmen versuchen zu kontrollieren. Ein gutes Beispiel Al-Jazeera, die täglich über Gaza berichten und heute schreiben, in Rom haben sich 10000 Menschen versammelt, um gegen die israelische Politik zu demonstrieren. In Wahrheit waren es mehr als 100000. Und viele Studenten unter ihnen. In ganz Italien bis zu 2 Millionen. Das gibt Hoffnung. Denn egal worum es geht, gibt es Hoffnung, wenn Menschen für Frieden zusammenkommen. Wie immer können wir "Erwachsenen" von den Kindern vieles lernen. Denn was auf die Menschheit zuzukommen scheint, braucht Menschen, die gerne zusammen sind und Frieden schätzen, über Hautfarben und Konfessionen hinweg. Es scheint mir gut, das Gute zu schätzen.

  • Das macht mir hinsichtlich der Lage in Deutschland dann doch angesichts der rechten Vormacht in den sog. Medien eher Angst.