Geflohene gewinnen vor Gericht: Gericht stoppt „Bild“-Pranger
Nach einem Urteil des Landgerichts Frankfurt darf „Bild“ drei Somalier:innen nicht mehr erkennbar zeigen – wegen unzulässiger Stigmatisierung.
Die Vorgeschichte: Gleich nach Antritt der neuen schwarz-roten Bundesregierung ordnete Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) an, dass die Bundespolizei alle Asylsuchenden an den deutschen Grenzen zurückzuweisen soll. Nur vulnerable Asylsuchende, etwa Minderjährige, sollten noch einreisen können. Die meisten Flüchtlinge kommen nun einfach über die grüne Grenze nach Deutschland.
Doch die drei Somalier:innen – zwei junge Männer, eine junge Frau – konnten diesen Weg nicht gehen, weil die junge Frau eine Fußverletzung hatte. Die drei Somalier:innen klagten deshalb mithilfe von Pro Asyl aus Polen beim Verwaltungsgericht (VG) Berlin gegen die Zurückweisung und erhielten Recht. In einem ausführlichen und grundsätzlich begründeten Beschluss erklärte das VG Berlin die Zurückweisung für rechtswidrig.
Dobrindt stand nun unter starkem politischem Druck, denn er war vorab monatelang gewarnt worden, dass die Zurückweisung von Asylsuchenden rechtswidrig sei. Dobrindt erklärte die Berliner Beschlüsse jedoch zur „Einzelfallentscheidung“ und hält an den Zurückweisungen fest.
Die Bild-Zeitung kritisierte nun aber nicht Dobrindt, sondern begann die drei Somalier:innen ins Zwielicht zu ziehen, mit dem Titel: „So tricksten drei Somalier den Asyl-Hammer herbei.“
Immer wieder zitierte Bild dabei aus internen Vermerken der Bundespolizei, sodass der Eindruck entstand, dass es hier eine enge Zusammenarbeit zumindest mit einzelnen Beamt:innen geben könnte. Dabei wurde zum Beispiel thematisiert, dass die Geburtsurkunde der jungen Frau, nach der sie 16 Jahre alt ist, gefälscht sein könnte. Auf ihr Alter kam es rechtlich freilich gar nicht an, da die Zurückweisungen generell als rechtswidrig eingestuft wurden.
Im Mittelpunkt des Frankfurter Gerichtsverfahrens stand nun ein Bericht der Bild von Ende Juni, der online unter der Überschrift veröffentlicht wurde: „Nimmt Litauen die drei Somalier zurück?“
Dort teilte der Bild-Chefreporter Nikolaus Harbusch mit, dass inzwischen das Dublin-Verfahren begonnen hat, mit dem der für das Asylverfahren zuständige EU-Staat festgestellt werden soll. In der Berliner Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) habe inzwischen die Anhörung der drei Somalier:innen stattgefunden. Möglicherweise komme es schon bald zur Überstellung der drei nach Litauen oder Polen. Bisher ist das noch nicht erfolgt.
In dem Bild-Artikel wurden die drei Flüchtlinge mit passbildartigen Fotos abgebildet, unverpixelt und ohne schützenden Balken vor den Augen. Möglicherweise stammen die Fotos von deutschen Behörden.
Persönlichkeitsrecht der Flüchtlinge überwiegt
Die Flüchtlinge haben Bild jedenfalls keine Fotos überlassen und auch keine Erlaubnis zur Nutzung solcher Fotos gegeben. Unter den Fotos standen die jeweiligen Namen, wobei jeweils nur der Vorname ausgeschrieben war und die Nachnamen auf den ersten Buchstaben verkürzt waren.
In schmal begründeten Beschlüssen erließ das Frankfurter Gericht Unterlassungsverfügungen gegen Axel Springer Deutschland. Bild darf nicht mehr mit Fotos und teil-ausgeschriebenen Namen über die drei Somalier:innen berichten. Dabei betonte das Gericht, dass es sich nicht gegen die kritische Berichterstattung an sich wende, diese sei sogar „von hohem öffentlichen Interesse“.
Unzulässig sei nur die identifizierende Berichterstattung, insbesondere wenn sie die Einzelschicksale „in stigmatisierender Weise“ nutze, in dem sie die drei Flüchtlinge „an einen Online-Pranger stellt“. Die in einer Reihe stehenden Fotos wirkten „vergleichbar einem Steckbrief“, auch weil in dem Bericht davon die Rede sei, dass sich die Flüchtlinge angeblich „illegal in Deutschland“ aufhalten. Bereits der ausgeschriebene, „in Deutschland nicht weit verbreitete Vornamen“ könne auch zur Identifizierung führen.
In der Abwägung mit dem Berichterstattungsinteresse der Bild-Zeitung kommt das Landgericht zu dem Schluss, dass das Persönlichkeitsrecht der Flüchtlinge überwiege. Deren hohe Schutzwürdigkeit ergebe sich zum einen aus ihrem jungen Alter. Außerdem mache eine identifizierende Berichterstattung eine „jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossene“ Integration in Deutschland unmöglich.
Jedenfalls „vorerst“ habe die Entscheidung des VG Berlin den drei Somalier:innen eine „Bleibeperspektive“ in Deutschland eröffnet. Gegen die Verfügung kann der Springer Verlag noch Rechtsmittel einlegen.
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