piwik no script img

Regenwasserdiebstahl15 Cent geklaut!

Uli Hannemann
Kommentar von Uli Hannemann

In Baden-Württemberg klaut eine Frau ihrem Nachbarn Regenwasser im Wert von 15 Cent aus dem Garten. Die Polizei ermittelt.

Indirekt in die Tat verwickelt: etwaige Blumen, die mit dem Raubeswasser gegossen wurden Foto: Stephen Shepherd/plainpicture

V ielen von uns ist der Karneval als „fünfte Jahreszeit“ bekannt. Doch es gibt sogar noch eine „sechste Jahreszeit“, die stets in die Hauptferienzeit im August fällt: Was die Italiener unter „Ferragosto“, die Astronomen unter „Perseiden“ und die Meteorologen unter „Hundstage“ verbuchen, ist für Jour­na­lis­t:in­nen das „Sommerloch“.

Dort fällt alles hinein, was eigentlich nicht berichtenswert ist. Doch weil alle verreist sind oder im Schatten dösen, rücken nunmehr die Ereignisse von der Ersatzbank in den Vordergrund: unbelegte Krokodilssichtungen in Baggerseen, umgefallene Reissäcke in China, oder welches bedauernswerte Love Interest Bundestagspräsidentin Julia Klöckner über ihren charakterlichen Zustand hinwegzutäuschen vermochte. Kurz: ­Lügen, Klatsch, Lappalien.

Schade um die Druckerschwärze, möchte man jedes Jahr aufs Neue meinen, und Friede den für das Papier gestorbenen Bäumen. Nur zum Glück ist in diesem Jahr alles anders, denn im Landkreis Tuttlingen (Baden-Württemberg) wurde doch tatsächlich eine 51-Jährige erwischt, die sich in dunkler Nacht unbefugt aus dem Regenfass im Garten ihres 38-jährigen Nachbarn bediente. Und zwar in mehreren Raubzügen mit der Gießkanne, insgesamt 40 Liter im Wert von 15 Cent. Der Bestohlene zeigte die Frau an. Die zuständige Polizeidienststelle ermittelt nun, „auch wenn der Schaden gering“ sei.

Wem gehört das Regenwasser?

Wie sich der Wert des Wassers bemisst, weiß uns der zuerst berichtende Südwestdeutsche Rundfunk (SWR) nicht zu sagen, oder er findet keinen Raum dafür, weil eben gerade in diesem Sommerloch überraschend viel Schwerwiegendes passiert. Denn neben dem aufsehenerregenden Regenwasserdiebstahl hat sich auf der Alb eine Wespe in eine eigentlich noch unreife Birne gebohrt, in Heilbronn hat ein verrückter Punk die Kehrwoche nur oberflächlich eingehalten, und auf dem Bodensee haben zwei homosexuelle Blesshühner unter den Augen tausender Schaulustiger – darunter dem Vernehmen nach auch zahlreiche Kinder! – über mehrere Tage hinweg auffällig miteinander geturtelt.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Doch im Zentrum des Interesses steht der Regenwasserklau. Mit aller Macht versucht die Pressestelle der Polizei Konstanz der aufwallenden Kommentarflut einer ob des hochkomplexen Geschehens offenkundig stark verunsicherten Bevölkerung Herr zu werden.

Viele wollten wissen, ob Regenwasser überhaupt jemandem gehöre. Schließlich hätte jede Antwort auf die Frage extreme Konsequenzen für unser generelles Zusammenleben. Gehört dann aller Regen dem besagten Nachbarn, und wenn ja, warum? Heißt der Petrus oder Nestlé oder wie? Das ist doch ungerecht. Und darf man dann bei schlechtem Wetter noch nass werden, oder ist das auch schon widerrechtliche Aneignung?

Nein, denn in dem Moment, da das Regenwasser aufgefangen wird, gilt es nicht mehr als Allgemeingut. Dazu genügt ein eigens aufgestelltes Fass, eine Tasse, ja schon ein Fingerhut. Darauf wies die Polizei unter dem entsprechenden Facebook-Post nun ausdrücklich hin.

Ein Lehrstück, kein Sommerlochthema

Die schwäbische Volksseele kocht. Einige solidarisierten sich gar mit der Kriminellen, was kein gutes Licht auf das Rechtsempfinden unserer Bevölkerung hier wie im Allgemeinen wirft. Denn wenn der Regenwasserdiebstahl verharmlost oder gar, analog zu den Narcocorridos, die zu Ehren der mexikanischen Drogenbanden gespielt und gesungen werden, verklärt und romantisiert wird, erodiert die Gesellschaft und wird unser Rechtssystem grundsätzlich infrage gestellt. „Nur zu! Besingt die Wasserdiebin doch gleich als Heldin“, möchte man diesen Tröpfen zurufen. Ein echter Gießkannocorrido. Es wäre fast lustig, wenn es eben nicht so ernste Konsequenzen hätte.

Denn heute ist es womöglich „nur“ (?!?) der Diebstahl von Regenwasser. Doch schon morgen kann jeglicher Besitz betroffen sein, dazu die Unversehrtheit von Leib und Leben. Vollkommene Straflosigkeit bei Raub und Körperverletzung, Mord und Totschlag wäre die logische Folge.

Was also eine unerfahrene Leserin vorschnell als typisches Sommerlochthema abtun mag, ist in Wahrheit doch ein Lehrstück, das so unendlich viel über uns aussagt und dabei sämtliche Wissensgebiete abdeckt, von Philosophie, Jura und Wasserwirtschaft bis hin zu Soziologie, Psychologie und Religion.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Die arme Frau hat ja vielleicht nur eine Sprichwort-Weisheit falsch interpretiert, weil sie das an des Sprichworts Anfang zu setzende Reflexivpronomen "sich" einfach unreflektiert weggelassen hat, so als ob es hieße 'Regen bringt Segen' - für uns alle ebenso wie für sie selbst, versteht sich.



    Aber wie auch sonst gilt genauso in diesem (Kriminal-)Fall: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Und darüber hat die arme Frau leider nicht genügend nachgedacht/reflektiert.



    Einfach tragisch, dieser (Regenwasser-) Fall - in eines ungnädigen Nachbars Garten.



    Ich könnte der Delinquentin zuliebe wahre Regensturzfluten heulen! (Aber selbst das würde ihr natürlich auch nicht mehr helfen.)

  • Als Nachbar hätte mensch als Scherzkeks ja Schnecken, Farbstoff oder Hanfsamen darin verstecken können. Oder der Nachbarin zum Geburtstag eine eigene Regentonne schenken, mit deutlichem Augenkniepen.



    Billiger, als die Polizei zu bemühen.



    Das Recht dazu hatte er jedoch, so ist das Recht.

    Diese Gier, für Centbeträge den Raum anderer zu betreten, scheint mir an der Grenze zu liegen (Ich hörte über eine schwäbische Vermieterin mal Ähnliches, dass sie einzelne Euros probierte vom Mieter herauszuholen, doch das wird ein Zufall sein).



    Schlimmer als hier ist diese Gier andernorten, wo Natur und öffentliche Güter geplündert werden. Vergessen wir die Steuertrickser und Umweltsauereien hierüber nicht ganz.

  • Für mich ist der Skandal, dass die zwischenmenschliche Kommunikation mal wieder nicht funktioniert und dass dafür die Gesellschaft die Arbeit der Polizei bezahlen darf - tausendfach teurer als der "Schaden". In solchen Fällen halte ich den Einsatz von Sozialarbeitern für sinnvoller und nachhaltiger ...

  • Vielleicht geht es auch einfach um das unbefugte Betreten eines Grundstücks, das zum wiederholten Mal vorkam, weswegen der Besitzer die Dame schon früher mehrmals ergebnislos angesprochen hatte, usw., vielleicht. Die taz berichtet leider nicht.

  • Wenn die Dämme schon brechen, werden die Deiche nicht lange halten. Die Alb ist bald ein Ozean!

  • Stellen wir uns nur mal vor, die mutmaßliche Täterin gründet mit dem Raubgut einen erfolgreichen Großkonzern und unterschlägt, sich auf das Gewohnheitsrecht berufend, fortan regelmäßig in besagter Höhe Steuern. Oder bringt gar ihre Erträge über ein Geflecht von Wurzeln und Regenrinnen auf einem günstiger gesteuerten Nachbargrundstück unter. Wo kämen wir da hin - wehret den Anfängen!

  • Leitungswasser gibt's für etwas über 0,1 Cent pro Liter. Bei 40 l wären das 5 Cent. Iudex non calculatne?

    • @Janix:

      Wo gibt es Leitungswasser für 0,1 Cent pro Liter? Das wäre ja ein Kubikmeterpreis von 1,00 €. Da nehme ich einen Tankwagen voll.

  • Wer zahlt denn jetzt den Einsatz bzw für die Polizeiarbeit? Für solche Possen sollte tunlichst eine Gebühr erhoben werden, hier gerät sonst Maß und Mitte aus dem Blick und die Bürokratie aus den Fugen.



    Wäre ich auch Nachbar in Reichweite besagter Regentonne, ich würde jetzt spenden für den armen Geschädigten, der für mich am Ende vielleicht wegen des Spottes wie ein begossener Pudel erscheint.



    Ich hätte zu den Jahreszeiten übrigens fast noch den sogenannten "Übergang" hinzugefügt, den es wohl nur in Deutschland als Fashion-Institution dergestalt gibt.

  • Übrigens, es gibt einen Künstler der bezahlt für sein Grundstück keine Grundstückssteuer, weil der Boden "Gott gehört". Als dann mal ein paar Scherzkekse ein Zelt auf Gottes Grundstück stellen wollten, hat er sie verjagt.

  • Das erinnert mich an Menschen die verdorbene Lebensmittel "containern". Das Problem ist nicht das die Lebensmitel mitnehmen, sondern über Zäune und Mauern klettern oder unbefugt Räume von Geschäften, Zb. Lageräume betreten. Das ist dann schwerer Diebstahl.

    Und selbst wenn das Regenwasser jedem gehört, ist man nicht berechtigt ein fremdes Grundstück zu betreten. Ich möchte auch nicht das jeder in meinen Kleingarten geht um sich Regenwasser aus meiner Tonne zu holen. und wenn es sich auch lächerlich anhört, kostenlos ist Regenwasser in einer Kleingartenanlage nicht. Oft verlangen Kommunen eine pauschale Abwassergebühr dafür.

    Einfach nicht unbefugt auf fremde Grundstücke gehen und gut ist es.

    • @Martin Sauer:

      der Bestohlene kann nun dochanteilig die Abwasergebühr auf die Diebin übertragen.



      Das mindert den Schaden dann ein wenig.....

      In Rheinland Pfalz zumindest ist die Entnahme von Wasser aus Fliessgewässern auch streng verboten.

      Menschen die sich Wasser aus kleinen Bächen in ihre Kleingärten abzweigen werden selbstvertändlich genau so verfolgt, wie der Bauer der täglich 1000 Liter Bachwasser an einen Bauunternehmer verkauft, der damit die Strasse vor seinem Betrieb reinigt.

  • Eigentlich eine Frage des Anstands, aber leider muss man mal wieder im it dem Strafrecht nachhelfen.



    Wasser für 15 Cent ist nicht die Welt, aber ungefragt gehört es sich einfach nicht.



    Das nächste mal ist es die Obst- oder Kartoffelernte, die ungefragt gestohlen wird.



    Oder vielleicht die Hanfpflanzen...

    • @Carsten S.:

      "Das nächste mal ist es die Obst- oder Kartoffelernte, die ungefragt gestohlen wird."

      Das passiert bereits regelmässig und im grossen Stil.

      Und zwar nicht als Nachlese, sondern gleich im Ganzen.

      Übrigens fragen Diebe eher selten vorher.