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MindestlohnDie SPD eiert herum

Kersten Augustin
Kommentar von Kersten Augustin

15 Euro Mindestlohn hatte die SPD versprochen, das konnte sie gegen die Union nicht durchsetzen. Nun widerspricht sie bereits dem Koalitionsvertrag.

15 Euro Mindestlohn, mit dieser Forderung sind Olaf Scholz und die SPD angetreten Foto: Rene Traut/imago

E rfolg ist relativ, besonders in der Politik. Ob eine Partei ihre Ziele durchsetzt, ist eine Sache der Interpretation. Damit werden täglich Zeitungen und Talkshows gefüllt. Beim Mindestlohn dagegen ist es schwer, eine Niederlage als Erfolg zu verkaufen. Da steht dann eine Zahl, an der nicht viel zu deuteln ist.

15 Euro Mindestlohn, mit dieser Forderung ist die SPD angetreten. Ohne einen Erfolg in dieser Frage kann sie die Koalition mit der Union kaum vermitteln, weder der Basis noch der Wählerin. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hat nun angekündigt, dass man den Mindestlohn notfalls per Gesetz auf 15 Euro anheben werde, falls die ach so unabhängige Mindestlohnkommission nicht zum gleichen Ergebnis kommen sollte wie die SPD. Das ist nachvollziehbar, politisch sauber ist es nicht.

Inhaltlich spricht nichts gegen einen höheren Mindestlohn. Materiell würde er die Lage vieler Menschen verbessern. Und es wäre doch einen Versuch wert, die AfD mal mit Umverteilung zu bekämpfen statt mit Nachahmung. Nur, warum hat die SPD die 15 Euro nicht in den Verhandlungen mit der Union durchgesetzt? Im Koalitionsvertrag wurde die Aufgabe der Kommission überlassen, weil man sich nicht einigen konnte. Wenn die SPD dem schon nach zwei Wochen widerspricht, erinnert das an die FDP in der Ampel. Gute Zusammenarbeit ist das nicht.

Die Höhe des Mindestlohns war immer eine politische Frage, darüber kann die vermeintlich unabhängige Kommission nicht hinwegtäuschen. Sie ist der Versuch, die Idee der Tarif­autonomie zu übertragen. Aber ein Mindestlohn ist kein Tarifvertrag. Die Gewerkschaften können die Mindestlöhner nicht zum Streik auffordern, haben also kein Druckmittel.

Sollte die Kommission nun einen Mindestlohn unter 15 Euro vorschlagen, dürfte die SPD es noch schwerer haben, einen höheren Mindestlohn gegen die Union durchzusetzen als schon in den Koalitionsverhandlungen. Zugeben kann die SPD das nicht. Denn das würde die Zustimmung ihrer Mitglieder gefährden, bevor die Koalition überhaupt angetreten ist.

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Kersten Augustin
Ressortleiter Inland
Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.
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7 Kommentare

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  • ziel de spd bei mindestlohn schön + gut - doch leider, leider gibts diese vermaledeite kommission. + die wollte die spd doch gar nicht abschaffen? oder?

  • Neben dem Index als Grundlage zur Berechnung (Orientierung an der allgemeinen Tariflohnentwicklung) - wird nach dem neuen Regelwerk der Mindestlohnkommission auch der Referenzwert von 60 % des mittleren Bruttolohns eines Vollzeitbeschäftigten berücksichtigt. Das ist neu und greift eine langjährige Forderung der Gewerkschaften, aber auch eine Richtwert-Empfehlung der Europäischen Mindestlohnrichtlinie auf.

    Selbst Merz hat erklärt das der 15 Euro Mindestlohn ab 2026 kommen wird.

    Im Koalitionsvertrag legten Union und SPD fest, dass sie "an einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission" festhalten. Diese werde sich "im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 % des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren.

    Union und SPD haben folglich die Formulierungen aus der Geschäftsordnung der Kommission übernommen. Sie haben aber hinzugefügt: "Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar."

    Die SPD will den Mindestlohn - und die CDU relativiert erwartungsgemäss.

    Wo ist das Problem?

  • Zwar ist Ostern schon vorbei,



    Doch was bleibt ist Eierei.



    --



    Kommissionen, Illusionen und Visionen ,



    Ein Gefecht mit Platzpatronen -



    Das Ende sind Koalitionen.

  • Es passt doch ins Bild. Die SPD ist doch seit Jahren schon Mehrheitsbeschaffer. Politik gestalten ist ihr ebenfalls seit Jahren nicht gelungen. Einzig und alleine beim Sozialabbau hat sie kräftig mitgemacht.

  • Der Kommentar ignoriert völlig was die SPD gegen die Union bereits durchgedrückt hat.



    Bei den Sondervermögen wurden der Union Schulter an Schulter mit den Grünen Punkte abgerungen - das jemand der das Wahlergebnis verpasst hatte gut und gerne auf die Idee kommen konnte, dass zukünftig rot-grün regiert und sie nur ein paar Stimmen der Union für die Zweidrittelmehrheit noch brauchen...



    Und auch in Sachen Migration und Steuern hat die SPD von Merz' Versprechen nicht viel übrig gelassen.



    Wenn man all das berücksichtigt und nicht nur stur aufs Thema Mindestlohn schaut, dann liegt die SPD bislang deutlich im Plus gegenüber der Union. Und das ist doppelt verwunderlich, weil erstens die Union 10% mehr als die SPD geholt hat und zweitens die SPD der absolute Wahlverlierer war.



    Keine Partei hat mehr verloren und trotzdem ringt die SPD der Union ein Zugeständnis nach dem anderen ab und bekommen als Zucker oben drauf auch noch mutmaßlich 7 Ministerposten aufs Tablett.



    Verrückte Welt, verkehrte Welt - die neuen Rekordumfragewerte der AfD legen nahe, dass sich viele Unionswähler komplett verraten fühlen.



    Die SPD ist von mir aus weiter ziellos, aber rumeiern, nein, das tut nur die Union.

    • @Farang:

      Dann wären Sie mal ab, was passiert, wenn Merz mit Hilfe der SPD zum Kanzler gewählt worden ist.



      Dann zieht er die Daumenschrauben an, denn die SPD hat sich in der Euphorie völlig ausgeliefert.



      Was soll sie machen? Die Koalition verlassen? Dann macht Merz eine Minderheitsregierung mit Duldung durch die AfD.



      Nicht zu früh freuen, SPD.

    • @Farang:

      Völlig richtig. Das Problem sind halt vollmundige Wahlplakate, die nicht als Zielsetzung, sondern als "Versprechen" gewertet werden. Und Zeiten, in denen weniger als Alles Nichts ist. Egal wie oft das hier noch versucht wird. Der SPD, die 7 Ministerien und ein milliardenschweres Sondervermögen ausgehandelt hat, einen zu kleinen Anteil im aktuellen Koalitionsvertrag zu bescheinigen, verkennt schlicht die Stärke ihres Wahlergebnisses.