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das wird„Frauen trauen sich nicht, über Gewalt zu berichten“

Richterin Sabine Heinke über Macht und Kontrolle am Familiengericht

Interview Kaija Kutter

taz: Frau Heinke, worum geht es am Freitag auf der Tagung „Macht und Kontrolle im familiengerichtlichen Verfahren“?

Sabine Heinke: Es geht darum, wer seine Realitätswahrnehmung vor dem Familiengericht durchsetzen kann.

taz: Sie haben mit Ihrer Kollegin Katrin Bülthoff in einem Artikel vom Verschwinden häuslicher Gewalt in familiengerichtlichen Verfahren geschrieben. Wer kann vor Gericht seine Wahrnehmung durchsetzen?

Heinke: Gewalt wird häufig als etwas Mechanisches begriffen. Die systemische Wirkung von Gewalt, wie sie in der Istanbul-Konvention zum Schutz vor Gewalt aufgeführt wird, also auch die psychische und die wirtschaftliche Gewalt, wird nicht gesehen. Da heißt es dann: „Na, Sie leben ja jetzt getrennt, jetzt brauchen Sie nichts mehr zu befürchten.“ Dann muss man die Aufmerksamkeit des Gerichts darauf lenken, dass die Gewalt fortdauert.

taz: Und das gelingt nicht?

Heinke: Die Frage ist, wie versteht man was? Da wehrt sich eine Mutter gegen das Umgangsrecht und sagt: „Der Mann will das Kind nur sehen, weil er mich kontrollieren will.“ Was sagt eine Kollegin? Sie könne so was nicht mehr lesen. So attraktiv seien diese Frauen ja alle nicht. Dass ein Mann den Kontakt zum Kind nutzt, um die Mutter unter Kontrolle zu behalten, wollen viele nicht glauben.

taz: Was meinen Sie mit mechanisch?

Heinke: Hauen ist mechanisch. Und das Verständnis ist: Bin ich nicht mehr da, kann mich keiner hauen. Aber dieses Kleinmachen und Abwerten ist etwas, was sich fortsetzt, auch über Umgang. Wenn Kinder den Vater besuchen und der sagt: „Eure Mutter, die alte Schlampe, was macht die eigentlich?“

Tagung „Macht und Kontrolle im familiengerichtIichen Verfahren“ mit dem Soziologen Wolfgang Hammer und der Juristin Sabine Heinke: Fr, 7. 3., 9.30 , Bad Segeberg Uhr, Anmeldung: frauenzimmer-badsegeberg@t-online.de

taz: Ist Zwang zum Umgang ein Problem?

Heinke: Eines der Hauptprobleme. Im Gesetz steht: „Umgang dient in der Regel dem Kindeswohl“. Viele Gerichte machen daraus ein „immer“. Da muss die Frau die Ausnahme beweisen. Und das ist schwierig. Es ist ja nun mal der Vater der Kinder. Und dann kommt noch: „Sie haben sich den ja ausgesucht“.

taz: Schadet fehlender Vater-Kontakt?

Heinke: Es gibt keine Forschung, die das belegt. Ob der Umgang positiv oder negativ ist, hat sehr viel damit zu tun, wie die Familienverhältnisse vor der Trennung waren. Es ist gut, wenn Kinder mit beiden Eltern aufwachsen. Aber sind die Eltern getrennt, ist die Frage, was die Kinder dann brauchen? Da ist zum Beispiel eine vernünftige materielle Basis wichtig.

taz: Wir berichteten über Kinder, die ins Heim kamen , weil Umgang nicht klappte. Gibt es noch solche Entscheidungen?

Heinke: Der Punkt ist, wir haben fast keine Entscheidungen. Die Verfahren enden häufig mit Vereinbarungen. Den Müttern wird gedroht, kooperieren sie nicht, sieht es für die elterliche Sorge schlecht aus. Und so stimmen sie Umgang zu, um ihr Kind nicht zu verlieren.

Sabine Heinke,Jahrgang 1956, war 1992 bis 2021 Richterin in Bremen und bot zuvor als Anwältin Beratung in Frauenhäusern an. 1983 war sie Mitgründerin der Feministischen Rechtszeitschrift Streit und ist dort Redakteurin.

taz: Es heißt, Mütter manipulieren Kinder?

Heinke:Das schafft man nicht. Und als Alleinerziehende hat man anderes zu tun, als sein Kind auf irgendwas zu trainieren. Der Vater muss ja gar nicht so super gewesen sein. Aber das spielt bei Gericht keine Rolle. Es fragt keiner, was so ein Gewalttäter für eine Erziehungskompetenz hat. Leider gibt es diese Entfremdungstheorie heute noch in Handbüchern. Und auch eine Relativierung der häuslichen Gewalt. Motto: Frau provoziert, Mann kann nicht anders.

taz: Was müsste passieren?

Heinke: Wenn ich das wüsste. Die Frauen trauen sich nicht mal mehr, über Gewalt zu berichten, denn dann würden sie ja den Vater der Kinder vor Gericht schlecht machen. Auch ihre Anwälte sagen, das geht nach hinten los. Ich denke, ein Richter muss den Sachverhalt von Amts wegen aufklären. Das tun die Kollegen nicht. Oft leiten sie die Verfahren an einen psychologischen Sachverständigen weiter. Die sollen sagen, wie es für die Familie weitergeht. Sagt die Mutter, der Vater haut mich, und der Vater sagt, das tue ich nicht, dann weiß der Sachverständige nicht, was Sache ist. Und dann lässt er das weg. Der Richter könnte aber sagen: Du, Sachverständiger, geh bitte davon aus, dass der Mann die Frau geprügelt hat. Ich bin als Gericht nach der Anhörung und nach meinen Ermittlungen davon überzeugt. Aber das machen die Richter nicht.

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