Mutter über Sorgerechtsprozesse: „Gewalt wird nicht berücksichtigt“

Eine betroffene Mutter über Gerichte, die bei Sorgerechts-Prozessen nicht berücksichtigen, wenn der andere Elternteil psychische Gewalt einsetzt.

Mann in roter Jacke und Kind mit blondem Pferdeschwarz schauen auf einen Teich

Papa soll sich auch mal kümmern dürfen, finden viele Richter – aber was, wenn Gewalt im Spiel ist? Foto: Patrick Pleul/dpa

taz: Frau Hansen, warum protestieren Sie am 25. Oktober vor der niedersächsischen Staatskanzlei?

Anna Hansen: Es geht uns Müttern darum, SPD und Grüne kurz vor ihren Koalitionsgesprächen mit der Nase auf die “Istanbul-Konvention“ zu stoßen. Diese Konvention, die die Mitgliedsstaaten des Europarats zum Schutz von Frauen vor Gewalt vereinbart haben, muss in Deutschland dringend umgesetzt werden. Niedersachsen muss den Anfang machen.

Was ist das Problem?

Aus unserer Sicht wird besonders Artikel 31 der Konvention selten beachtet. Familiengerichte müssen bei ihren Entscheidungen über Umgang und Sorgerecht Gewalt berücksichtigen und das tun sie nicht, weil sie in ihrer Argumentation die Gewalt vom Sorge- und Umgangsrecht trennen.

Woran machen Sie das fest?

Daran, dass vor Gericht seit Jahren vor allen Dingen der 'Gegenpart’ gestärkt wird. Also der, der klagt. Und das ist meist derjenige, der die Gewalt ausgeübt hat und weiterhin ausübt. Dadurch werden Kinder Mittel zum Zweck.

Interessiert Familiengerichte nicht, ob jemand schlägt?

Gewalt besteht nicht nur aus körperlicher Gewalt. In unseren Fällen geht es um psychische Gewalt, die verharmlost wird und der deshalb nicht nachgegangen wird. Es gibt Anzeigen, die abgelehnt wurden, weil es das öffentliche Interesse nicht betrifft. Und dann wird dem Gewalt ausübenden Part aus Steuergeld Prozesskostenhilfe gewährt. Und der nutzt dann Gerichte, Verfahrensbeistände und Gutachter, um seine Gewalt weiter auszuüben.

44, arbeitet in Hannover in der Messebranche und ist eine von Familiengerichtsverfahren betroffene Mutter.

Ist psychische Gewalt nicht schwierig nachzuweisen?

Ja so ist es. Aber auch in Fällen, wo es Nachweise gibt, wird das sowohl von Richtern als auch von Gutachtern nachrangig behandelt.

Die Opfer sind stets Frauen?

Es sind zu mehr als 80 Prozent Frauen die Opfer und innerhalb des Familiensystems werden auch Kinder zu Opfern. Es gibt auch Männer, die diesen Weg gehen müssen. Diese sind aber deutlich in der Minderheit.

Woher wissen Sie das?

Wir Mütter wissen das aus eigenen jahrelangen Gerichtsverfahren. Es gab jetzt im April die Studie „Familienrecht in Deutschland“ des Soziologen Wolfgang Hammer, die auf über 1.000 Fällen basiert und gut recherchiert ist. Auch wenn Hammer selber sagt, dass es hier noch vertiefter Forschung bedarf, hat seine Studie uns Müttern verdeutlicht, dass wir nicht allein sind und vielen dasselbe passiert. Und nun gibt es ganz aktuell den Bericht der „Grevio“-Group, das ist ein Fachgremium, das die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland überprüft. Der Bericht warnt, dass es bei deutschen Gerichten ein Risiko gibt, dass Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder unentdeckt bleibt. Gängig ist die Unterstellung, die Mütter würden die Kinder manipulieren.

Sie sagen, dass oft die Mütter das Sorgerecht verlieren?

Also es gibt Bundesländer, wo das so ist, und Niedersachsen gehört leider dazu. Richter haben bei jahrelangen Verfahren irgendwann die Nase voll und sagen: So, jetzt wechseln wir mal das Sorgerecht zur anderen Person. Oder wir machen Wechselmodell, egal welche Vergangenheit Elternteil eins und Elternteil zwei miteinander haben. Der Fortbestand von Täter- oder Opferrolle wird so weiter festgeschrieben.

Gerichte sind unabhängig. Was kann Niedersachsen tun?

Die Gerichte dazu aufrufen, ihre Praxis zu ändern. In der heutigen Zeit sollte kontinuierliche Weiterbildung selbstverständlich sein. Dies gilt für Richter ebenso wie für Verfahrensbeistände und Jugendamtsmitarbeiter, auf deren fachliche Kompetenz sich Richter verlassen und beziehen.

Was erwarten Sie konkret von der neuen Koalition?

Dass die Praxis der Familiengerichte verändert wird. Dafür fordern wir ein unabhängiges Gremium beim Familienministerium. Niedersachsen könnte zudem mit einer Bundesratsinitiative die Umsetzung der Istanbul-Konvention forcieren.

Haben Sie denn schon Kontakt zu Politikern im Landtag?

Noch nicht. Die Idee für die Kundgebung kam relativ spontan. Wir sind derzeit etwa 20 aktive Mütter. Viele haben Angst. Sie fürchten, das ihr Name irgendwo fällt und das nächste Verfahren anders ausfällt, als ihnen lieb ist.

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