Pistorius stellt neuen Wehrdienst vor: Der Bellizismus kommt auf leisen Sohlen
Mit dem neuen Wehrdienst soll die Bundeswehr erheblich anwachsen. Das treibt die Militarisierung der Gesellschaft voran.
D eutschland wird wieder stark, denn: 460.000 Soldat:innen will Verteidigungsminister Boris Pistorius unter Waffen haben. Eine beängstigende, eine gewaltige Zahl. Seine Pläne dafür legte der SPD-Minister am Mittwoch seinen Kolleg:innen im Bundeskabinett vor. Erreichen will er die Zahl mit dem sogenannten neuen Wehrdienst, einer Reform des freiwilligen Wehrdiensts. 18-Jährige sollen einen Fragebogen erhalten, Frauen dürfen ihn ignorieren, Männer müssen ihn ausfüllen, dürfen aber den Dienst an der Waffe ablehnen.
Der neue Wehrdienst sei wichtig, heißt es, vor allem aus der Politik. Schließlich leben wir in einer Zeitenwende, was ja auch bereits Bundeskanzler Olaf Scholz verkündet hatte. Und es stimmt. Wir leben in einer Epoche der neuen Blockbildung alter imperialistischer Zentren: China, Russland, die USA, Europa. Und die Lage ist permanent in Bewegung.
Jüngstes Beispiel hierfür ist der Wahlsieg Donald Trumps. Seine Unberechenbarkeit zeigt erneut, wie wichtig es ist, sich unabhängiger von den USA zu machen. Das darf aber nicht bedeuten, Deutschland wieder durchzumilitarisieren. Denn so sehr auch gepredigt wird, es ginge ja nur um die Verteidigungsfähigkeit für den Fall der Fälle (etwa, dass der Russe kommt?) – diese Militarisierung hat weitreichende Folgen.
Sie trägt bei zur Blockbildung, zur Gewaltspirale, zum Abbau der Diplomatie. Wozu das führt, lässt sich gut am durch Russland begonnenen Krieg gegen die Ukraine beobachten, der für manche sogar Züge eines Bilderbuchstellvertreterkrieges angenommen hat.
Mag sein, dass der sogenannte neue Wehrdienst ein freiwilliger Wehrdienst ist. Doch wird seine Normalisierung nicht nur den Bellizismus tiefer in der Gesellschaft verankern. Den Bellizismus, den Linke und auch Liberale in Deutschland nach 1945 mühevoll aus den Köpfen der Gesellschaft verdrängt hatten.
Wenn der Dienst an der Waffe erst einmal sein Comeback feiert, kann er auch weiteren Schritten Tür und Tor öffnen, ja vielleicht sogar einer vollständigen Rückkehr zum verpflichtenden Wehrdienst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel