Schüsse in München: Die Suche nach Antworten
Die Polizei weiß ziemlich genau, was der Attentäter in der bayrischen Hauptstadt in seinen letzten Stunden getan hat. Aber nicht, warum.
München taz | Was wäre passiert, wenn Emra I. in der Nähe des israelischen Generalkonsulats nicht sofort Polizisten angetroffen hätte? Welche Gefahr ging wirklich von dem 18-Jährigen aus? Welchen Plan verfolgte er? Hatte er überhaupt einen konkreten Plan? Die Fragen sind auch am Tag nach den Schüssen vor dem israelischen Generalkonsulat in München noch immer offen. Und unklar ist, ob es je eine eindeutige Antwort darauf geben wird.
Diesen Eindruck konnte auch eine Pressekonferenz nicht zerstreuen, in der Polizei und Staatsanwaltschaft am Freitagnachmittag einen Überblick über den aktuellen Ermittlungsstand gaben. Immerhin lässt sich der Tatverlauf inzwischen schon relativ präzise beschreiben.
So weiß man nach der Schilderung von Christian Huber, dem Leiter der Abteilung Einsatz der Münchner Polizei, dass der Täter am Donnerstagmorgen um 6.30 Uhr seine Wohnung im Salzburger Land verlassen hat und mit dem Auto nach München gefahren ist. Kurz vor 9 Uhr stellte er den Wagen in der Münchner Maxvorstadt ab und machte sich auf den Weg in Richtung des NS-Dokumentationszentrums. Er war dann wohl rund zehn Minuten in dem Areal zwischen Karolinenplatz, Dokumentationszentrum und israelischem Generalkonsulat unterwegs, betrat zwei der umliegenden Gebäude und gab insgesamt mindestens neun Schüsse aus einem alten Karabiner ab, einer ehemaligen Schweizer Wehrmachtswaffe.
In der Nähe des Karolinenplatzes traf er schließlich auf fünf Polizeibeamte, die ihn aufforderten, die Waffe abzulegen. Als er in Richtung der Polizisten schoss, nahmen diese ihn unter Beschuss. Er starb noch vor Ort.
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Die Identität des Mannes wurde anhand eines gefundenen Führerscheins schnell festgestellt: Emra I., ein 18-jähriger Österreicher mit bosnischen Wurzeln. Ebenso, dass er vor Ort allein handelte, für die Bevölkerung also nach seiner Ausschaltung keine Gefahr mehr bestand. Das stand schon nach Minuten fest.
Nur die Antworten, die helfen würden zu verstehen, was da am Donnerstag geschah, kann bislang niemand geben. In ein typisches Raster scheint der Täter nicht zu passen. Er könne nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden, sagte denn auch Gabriele Tilmann auf der Pressekonferenz, dennoch gelte es nun, diverse Ermittlungen anzustellen. Die Leitende Oberstaatsanwältin ist Chefin der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET), die in Deutschland die weiteren Ermittlungen übernommen hat.
Gab es im Hintergrund Mittäter, Helfer, Unterstützer, Mitwisser? War Emra I. in ein Netzwerk eingebunden? Was war die eigentliche Tatmotivation? All dem müsse nun nachgegangen werden, so Tilmann. Bisher wisse man nichts über irgendwelche Verlautbarungen des Täters. Es gebe nur eine – freilich naheliegende – Arbeitshypothese: dass es sich um eine islamistisch beziehungsweise antisemitisch motivierte Tat handelte. Dafür sprächen der Tatort am israelischen Generalkonsulat und dem NS-Dokumentationszentrum und der Tatzeitpunkt, der Jahrestag des Münchner Olympia-Attentats.
Wer war Emra I.? Von den österreichischen Behörden war zu hören, dass er mit seinen Eltern im Salzburger Land, in Neumarkt am Wallersee, gewohnt habe. Dort war er schon im vergangenen Jahr wegen Islamismusverdachts ins Visier der Polizei geraten. Wie die Salzburger Polizei mitteilte, sei gegen ihn ein Waffenverbot verhängt worden, das frühestens 2028 ausgelaufen wäre.
Die Ermittler waren auf den damals 17-Jährigen aufmerksam geworden, nachdem er Mitschüler verletzt und bedroht hatte. Auf seinem Mobiltelefon soll damals islamistische Propaganda gefunden worden sein. Es hätte auch Hinweise gegeben, dass er sich in den Jahren 2021 bis 2023 mit Anleitungen zum Bombenbau beschäftigt habe. In einem Online-Spiel hatte er zudem offenbar islamistische Gewaltszenen nachgestellt.
Die Ermittlungen wurden im April dieses Jahres jedoch eingestellt. Laut Staatsanwaltschaft Salzburg hätten keine Beweise vorgelegen, dass sich Emra I. radikalisiert oder islamistische Propaganda verbreitet habe. Der junge Mann habe sich auch nicht in islamistischen Kreisen bewegt oder besonders religiös gelebt.
Leser*innenkommentare
shantivanille
Nach Angaben der Polizei handelte es sich bei der Waffe um einen alten Karabiner mit einer „massiven Durchschlagskraft“. Das lässt schließen.
Der von der Polizei niedergeschossene Angreifer sei von der Polizei vor dem tödlichen Schusswechsel zum Niederlegen seiner Waffe aufgefordert worden.
Der Angreifer soll Videospiele gespielt haben, in denen Hinrichtungen nachgestellt wurden.
Eigentlich ein typischer jugendlicher Islamist. Geht mit der Zeit. Spielt Videospiele in denen Hinrichtungen nachgestellt werden. Die frühere Islamistengeneration fand Kopf-ab-Videos ganz toll, die der IS ins Netz stellte, und reiste dann in die IS-Regionen um mitzumachen.
Dieser junge Mann fand wohl HTS ganz gut, steht für „Haiat Tahrir al-Scham“, ein Al-Quaida-Ableger.
Mittlerweile sind diese ganzen Attentäter ziemlich jung. Das sollte uns heftig zu denken geben.
Kriebs
"Der junge Mann habe sich auch nicht in islamistischen Kreisen bewegt oder besonders religiös gelebt."
--> Ebenso wie die Attentäter vom 11.9. Diese Art Täter nannte man früher islamistische Schläfer. Offenbar gibt es die noch. Der Attentäter von Mannheim war ja vorher auch unauffällig.
Wäre schön, wenn wir eine Regierung hätten, die sich um derartige Angelegenheiten kümmert, statt mit sinnlosen Gesetzen Symbolpolitik zu machen.
Wenn die Anschlagsserie so weitergeht und sich Grüne und SPD des Themas nicht ernsthaft annehmen, sehe ich zur nächsten Bundestagswahl Braun.
In Brandenburg hat die AfD wohl bereits 4 % zugelegt und die Grünen müssen um den Einzug in den Landtag zittern. Noch ein Attentat bis zur Wahl und die AfD hat auch dort (mindestens) die Sperrminorität.
Jim Hawkins
@Kriebs Das Spektrum der islamistischen Täter reicht eben von den gut vorbereiteten, studentischen Akteuren des 11. September bis zu eher spontan agierenden wie im Fall des Münchner Täters.
Das macht die Angelegenheit ja so gefährlich. Jeder, im Einzelfall können das eben auch Spinner sein, kann Teil des Jihad werden.
Der Täter von Linz ist wohl auch nicht die hellste Kerze auf dem Baum, aber das spielt ja keine Rolle.
Der 7. Oktober war der Startschuss, es ist noch einiges zu erwarten.
Die Linke kann man vergessen, sie verhält sich in weiten Teilen affirmativ zum Terror und die Politik ist leider auch noch nicht aufgewacht.
Jim Hawkins
Ja nun, dann rätseln wir eben noch eine Weile herum.
Man hat also keinen Mitgliedsausweis des IS gefunden. Na dann kann das ja alles mögliche sein.
Aber im Ernst, der islamistische Terror kommt eben vielgestaltig daher. Der eine schickt ein Video an den IS, wie der Killer aus Solingen, der andere eben nicht.
Es gibt kein eindeutiges Muster. Das scheint ein Merkmal islamistischen Terrors zu sein.
Es ist eben nicht die RAF, die sich in kryptischen Bleiwüsten erklärte.
Jeder kann mitmachen, jeder auf seine Art und Weise.
shantivanille
@Jim Hawkins Jeder auf seine Weise:
"2013 rief Scheich Abu Mohammed al-Adnani, der Sprecher der Terrormiliz IS, mit einer auf Englisch, Französisch und Hebräisch übersetzten Botschaft zu Anschlägen auf: „Töte einen ungläubigen Amerikaner oder Europäer, speziell die dreckigen Franzosen, oder einen Australier, oder einen Kanadier. Töte ihn, egal auf welche Art und Weise. Du brauchst niemanden um Rat oder Urteil zu fragen. Töte den Ungläubigen, egal, ob er Zivilist oder Soldat ist. Wenn Du Dir keine Bombe oder Patrone beschaffen kannst, dann schlag ihm mit einem Stein den Schädel ein, oder erstich ihn mit einem Messer, oder überfahre ihn mit Deinem Auto, oder stürze ihn irgendwo hinunter, oder erwürge ihn, oder vergifte ihn“.
Das war die Anfangsphase, wo der IS noch milde unterwegs war.
Später kam die Vorliebe für Enthauptungen.
Was läuft aktuell? Bomben in Konzertsäle mit zehntausenden junger Mädchen?
www.lpb-bw.de/islamischer-staat