Die Ruhe nach dem Sturz

Zehn Jahre war Bodo Ramelow Thüringer Ministerpräsident. Nun ist der Linke abgewählt – und seine Partei verliert massiv an das Bündnis Sahra Wagenknecht. Und Ramelow? Nimmt es erstaunlich gelassen

Gefasst: Bodo Ramelow muss am Wahlabend seine Wahl­niederlage einräumen Foto: Michael Kappeler/dpa

Aus Erfurt Anna Lehmann

Bodo Ramelow lächelt. Die Beine von sich gestreckt, ohne Krawatte, sitzt der Thüringer Ministerpräsident kurz nach 21 Uhr auf einem durchgewetzten Sofa hinter der Bühne im Erfurter Zughafen. Hier, in einem alternativen Kulturbahnhof, kommt die Linke zu ihrer Wahlparty zusammen. „Halt Dich an deiner Liebe fest“, singt Rio Reiser. Ramelow sieht so entspannt aus wie einer, der sich auf sein Feierabendbier freut.

Dabei steht seit drei Stunden fest: Er ist als Ministerpräsident abgewählt. Die Linke hat zwei Drittel ihrer Mandate verloren, landet bei der Thüringer Landtagswahl nur auf Platz 4. Mit Abstand stärkste Kraft ist die AfD. Sie wird im Landtag ein Drittel der Sitze haben, ein Szenario, vor dem Ramelow die ganze Zeit gewarnt hat. Den Auftrag zur Regierungsbildung wird der CDU-Politiker Mario Voigt als Zweitplatzierter erhalten.

Müsste Ramelow nicht toben, wüten, weinen, sich die Haare raufen? Seine Wutausbrüche sind so legendär wie gefürchtet. „Diese Niederlage habe ich vorausgesehen“, sagt Ramelow stattdessen. Und sich monatelang auf dieses Szenario vorbereitet. Nun, da es eingetreten ist, wirkt er, als sei eine Last von ihm abgefallen. Die Ruhe nach dem Sturz.

Im Raum sitzen noch ein Unternehmer, Weggefährtinnen, ein Künstler kommt dazu. Der Musiker, der auf Partys Schlager nachsingt, beugt sich zu Ramelow. „Komm zu mir nach Mallorca und werde mein Begleitsänger.“ Ramelow sagt zumindest nicht nein.

Zehn Jahre war Ramelow Ministerpräsident von Thüringen. Dass er 2014 im zweiten Versuch gewählt wurde, war eine Revolution. Dass die Linke mit ihm als Spitzenkandidaten 2019 stärkste Kraft wurde, ein Wunder. Ein vergiftetes. Die rot-rot-grüne Koalition hatte ihre knappe Mehrheit im Landtag verloren, war auf Stimmen der CDU angewiesen. Gegen eine AfD, die damals schon zweitstärkste Kraft war. Bei der Wahl des Ministerpräsidenten stellte die AfD zum Schein einen eigenen Kandidaten auf, stimmte dann aber zusammen mit der CDU für den FDP-Kandidaten. Der nahm die Wahl an, nach einer Woche war der Spuk vorbei. Die Wahl des Ministerpräsidenten wurde wiederholt, im dritten Wahlgang erhielt Ramelow die nötigen Stimmen. Doch dieses politische Nahtoderlebnis ging nicht spurlos an ihm vorüber.

Viereinhalb Jahre lang führte er eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung, toleriert von der CDU. „Es gab Tage, da wäre ich lieber weggelaufen, statt mich die ganze Zeit mit so einer völlig unzuverlässigen CDU rumärgern zu müssen“, sagt Ramelow im Zughafen.

Die Bilanz der Minderheitsregierung ist auf den ersten Blick gar nicht so schlecht. 4 Haushalte und 146 Gesetze verabschiedete man gemeinsam mit der CDU. Allerdings: Wirkliche Reformen konnte die Regierung nicht mehr durchziehen, musste sogar Rückschläge einstecken. Etwa beim Klimaschutz, wo die CDU mithilfe der AfD ein Gesetz gegen Windräder im Wald durchdrückte, was erst vor Gericht gestoppt wurde.

Einige Probleme der Landesregierung waren freilich hausgemacht. Der von einer linken Regierung geführte Freistaat scheiterte grandios an einer menschenwürdigen Erstunterbringung von Flüchtlingen.

Dennoch hätte es nochmal klappen können mit der Strategie, die Ramelows Strippenzieher und Staatskanzleichef Benjamin Immanuel Hoff ersonnen hatte. Im Wahlkampf sollte es auf das Duell des Demokraten Ramelow gegen den Faschisten Höcke hinauslaufen. Doch das Motto „Bodo oder Barbarei“ funktionierte nur so lange, bis das neugegründete Bündnis Sahra Wagenknecht Anfang des Jahres auf der Bildfläche erschien. „89.000 Wählerinnen von uns sind zum BSW gegangen. Das sind Stimmen, die uns massiv fehlen“, sagt Hoff im Landtag, nachdem die ersten Nachwahlbefragungen öffentlich werden.

Ramelow tingelt da noch von einem Sender zum nächsten. Der Plenarsaal ist am Wahlsonntag ein riesiges Fernsehstudio, überall Kamerateams. Ramelow wird bei Phoenix abgepudert, links von ihm wird Katja Wolf, die Spitzenkandidatin des BSW, beim Stand von RTL verkabelt. Wolf spricht davon, dass Thüringen nun endlich mal gut regiert werden müsse. Gerade noch hat sie Ramelow nach der gemeinsamen Runde beim ZDF über den Rücken gestrichen, eine verstohlene Geste des Trostes. Noch im vergangenen Jahr gehörte die einstige Oberbürgermeisterin von Eisenach zur Linken.

Nun könnte die Linke weiter erodieren, auch Ramelow hatte das Angebot erhalten, Spitzenkandidat zu werden. Ein Angebot, welches er als „widerlich“ zurückwies. Dass die Linke nach der Wahl massenhaft Leute verliert, glaubt er nicht. Einige wenige, sicherlich. „Diese Hofschranzen werden sich alle melden.“

Ist er sauer auf Wolf? Ach, nee, sagt der neue, milde gestimmte Ramelow und lacht. „Eher erstaunt, haha, dass man sich selber einredet, dass man der AfD was wegnimmt und hinterher nicht mal mehr daran erinnert werden möchte.“

Der Bodo-Bonus, er trug die Linkspartei nur auf 13 Prozent. Immerhin dreimal so viel, wie die Ge­nos­s:in­nen in Sachsen erhielten, aber nie kam die Partei in Schlagnähe der CDU. Dabei schmiss sich Ramelow mit Leib und Seele in den Wahlkampf. Fastete, besuchte jedes Nest in Thüringen und ging sogar mit Ponys spazieren. Mantraartig wiederholte er, er kämpfe gegen die Normalisierung des Faschismus, sein Ziel sei eine stabile demokratische Mehrheitsregierung.

Doch das Linkenlogo zog nicht, im Gegenteil. Dass die Partei es auf Plakaten wegließ, half aber auch nicht. Nur als Direktkandidat in seinem Erfurter Wahlkreis erreichte er 42,6 Prozent. Ein Vertrauter berichtet, dass Ramelow schon vor Wochen begonnen habe, seinen Nachlass in der Staatskanzlei zu ordnen.

Denn Ramelow ist kein Phantast, er ist Pragmatiker durch und durch. Seine Botschaft ließ sich zwischen den Zeilen also auch so interpretieren: Im Falle einer Niederlage werde er als Vermittler bereitstehen, um den Weg für seine Nach­fol­ge­r:in­nen zu ebnen. Er habe Mario Voigt bereits seine Unterstützung angeboten, erzählt Ramelow am Sonntag. „Wenn er sie möchte, gebe ich sie gern.“

Die CDU wird sie brauchen. Eine Koalition von CDU, BSW und SPD wird keine absolute Mehrheit haben, im neuen Landtag kommen AfD und Linke mit 44 gemeinsam auf genauso viele Mandate. Patt also, und das bei einer AfD, die sich in Thüringen selbstbewusst als „Volkspartei Nummer eins“ bezeichnet.

Doch die Verhandlungen zwischen dem Antikommunisten Voigt und der Partei von Ex-Kommunistin Wagenknecht können knifflig werden. Denn die Parteigründerin würde am liebsten mitverhandeln und hatte vorab schon mal Bedingungen gestellt: Der Verzicht auf die Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen und weitere Ukrainehilfen müsse in den Koalitionsvertrag. Auch wenn das nicht in Erfurt, sondern in Berlin entschieden wird – für die CDU wäre ein solches Diktat nicht akzeptabel.

Es kann also noch eine Weile dauern, bis Ramelow tatsächlich seine Sachen aus dem Eckzimmer der Erfurter Staatskanzlei räumen muss, darunter eine Grubenlampe der Kali-Kumpel von Bischofferode, die Anfang der 90er erfolglos, doch mit tatkräftiger Unterstützung von Ramelow gegen die Schließung ihrer Grube streikten.

Die Thüringer Landesverfassung sieht anders als die sächsische keine Zeitbegrenzung für die Regierungsbildung nach einer Landtagswahl vor. Im Artikel 75 heißt es: „Der Ministerpräsident und auf sein Ersuchen die Minister sind verpflichtet, die Geschäfte bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger fortzuführen.“

Als Direktkandidat in seinem Erfurter Wahlkreis holte Ramelow aber 42,6 Prozent

Ramelow hofft, dass es schnell geht. „Geschäftsführender Ministerpräsident im Wartestand ist kein schöner Zustand. Ich würde gern Urlaub planen, mich ein bisschen um meine Gesundheit kümmern. Drei Wochen am Stück wären nicht schlecht.“

Der Musiker verabschiedet sich. Ramelow winkt ihm zu. „Samu, wir sehen uns auf Malle.“

Sänger wird Ramelow aber nicht. Er wird auch nicht nach Berlin gehen, um seiner Partei zu neuem Glanz zu verhelfen. Er will Abgeordneter im Landtag bleiben. 35 Jahre habe er für Thüringen gekämpft, zehn davon als Gewerkschafter, 15 Jahre als Oppositionschef, die letzten zehn als Ministerpräsident. „Ich darf mir nicht den Luxus nehmen, einfach hinzuschmeißen. Ich habe mein Direktmandat gewonnen, das ist ein Auftrag.“ Die künftige Rolle Ramelows: Hinterbänkler.

Außerdem wird er bald wieder einen Hund haben. Lilo, die französische Bulldogge seiner schwangeren Tochter. „Ich rechne damit, dass Lilo spätestens in zwei Monaten wieder bei uns ist“, sagt Ramelow vergnügt.

Erst der Hund, danach ein Enkelkind. Ramelow sieht aus wie ein glücklicher Mensch.