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Rücktritt Ministerpräsident KemmerichDas Schlossgespenst von Erfurt

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Kemmerich tritt als Ministerpräsident zurück. Das Drama in Thüringen drohte die ganze FDP zu zerstören. Doch weitere Cliffhanger sind garantiert.

„Zeig mir deinen Rücken / Am schönsten bist du / Wenn du gehen musst“ Foto: Bodo Schackow/dpa

D ie Ereignisse in Thüringen erinnern an einen Fortsetzungsroman. Das Personal rotiert ständig, und jede spannungsreiche Episode endet mit einem Cliffhanger, der weiteres Drama verspricht. Die neueste Wendung: An diesem Samstag ist FDP-Ministerpräsident Thomas Kemmerich nach nur drei Tagen Amtszeit endgültig zurückgetreten.

Dieser Rücktritt war zwar zu erwarten, schließlich hatte ihn Kemmerich am Donnerstag schon angekündigt. Doch war bisher nicht klar, wie lange der FDP-Mann noch in seinem Amt verweilen würde. Zwischenzeitlich sah es so aus, als wollte sich Kemmerich als Krisenmanager just jener Krise inszenieren, die er selbst angezettelt hatte, indem er sich von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ.

Noch am Freitag hatte Kemmerich einen sofortigen Rücktritt abgelehnt. Die originelle Begründung lautete, dass „es wichtige Entscheidungen der Landesregierung gibt, für die es zumindest ein amtierendes Regierungsmitglied braucht“. Und bekanntlich hatte Thüringen überhaupt nur noch ein Regierungsmitglied – nämlich Kemmerich.

Kemmerich wollte es überaus ruhig angehen lassen – und erst einmal den Ältestenrat des Landtages beraten lassen, wie man „verfassungsmäßig“ weitermachen könnte. Zudem sollte der Ältestenrat erst am 18. Februar zusammenkommen. Kemmerich gefiel sich zunehmend besser in der staatstragenden Rolle, die er sich selbst zugedacht hatte.

Am Freitag sah es so aus, als würde noch wochenlang ein Schlossgespenst namens Kemmerich durch die leeren Regierungshallen von Erfurt geistern

Am Freitag sah es daher so aus, als würde noch wochenlang ein Schlossgespenst namens Kemmerich durch die leeren Regierungshallen von Erfurt geistern. Doch dieser Unsinn wurde nun gestoppt, denn der „Dammbruch“ von Thüringen drohte die gesamte FDP zu zerstören. In Hamburg finden demnächst Bürgerschaftswahlen statt – und wenn Kemmerich weiterhin amtiert hätte, wären die Liberalen in der Hansestadt garantiert unter fünf Prozent gelandet. Eine peinliche Partei will fast niemand wählen.

Kemmerichs Abgang hat zudem einen Vorteil für die Liberalen: Die FDP wirkt deutlich entschlossener und geschlossener als die Union. Die CDU in Thüringen hat sich noch immer nicht sortiert und weiß eigentlich nur, was sie nicht will: Neuwahlen. Denn es ist absehbar, dass die Chaostruppe auf kränkende elf Prozent schrumpfen würde, weil sie ebenfalls mit der AfD paktiert hat.

Doch genau diese Neuwahlen stehen nun an. Formal ist es zwar gar nicht so einfach, einen Urnengang herbeizuführen, aber die Atmosphäre in Thüringen ist derart vergiftet, dass ein Weiter-So schlicht undenkbar ist. In den Umfragen sieht es momentan so aus, als könnte eine rot-rot-grüne Koalition unter Ex-Ministerpräsident Ramelow mit einer stabilen Mehrheit rechnen. Aber wer weiß. In Thüringen sind weitere Cliffhanger garantiert.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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27 Kommentare

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  • Es wird eher Zeit, dass man die AfD vorführt. Warum nicht auch einmal die schocken und auf solche Manöver von denen genau so reagieren?

    Was wäre wohl mit der AfD passiert, wenn dieser Kemmerich gesagt hätte, dass er in den Stimmen von der AfD erkennen würde, dass dort doch neben dem Höckeflügel Leute sitzen würden, die bereit sind, konstruktiv an der Politik mitzuarbeiten und ein Angebot an einzelne Abweichler gestellt hätte, mit ihnen in einer Regierung zusammenzuarbeiten.

    Dann hätte die AfD sich sofort lächerlich gemacht, wahrscheinlich gespalten und eine Regierung wäre dennoch niemals zustande gekommen.

    Es wird Zeit, dass auch die bürgerlichen Parteien die asymmetrische, taktische Wahl lernen.

  • Nette Überschrift! Leider handelt es sich bei der FDP und ihren Kemmerichs eben nicht um Gespenster. Die sind ganz real, obwohl man sich häufiger schon fragen muss, ob das alles eigentlich noch wahr sein kann.

  • Die CDU Thüringen ist nun moralisch verpflichtet, Ramelow zur Mehrheit zu verhelfen.

    Die FDP Thüringen sollte sich auflösen.

  • Wie kann man den Tricksereien der AfD entgegen treten?

    Einfach den Ministerpräsident wieder wählen, der Thüringen erfolgreich regiert hatte.

    Nur wer selbst destruktiv taktierte, konnte auf die Tricksereien herein fallen - bzw. sich daran beteiligen!

    • @Bio Felix:

      Stimmt!

  • Wer (außer der HeuteShow) vermisst die FDP?

  • Däh&ZischMailtütenfrisch Schlussgespenst - 😱 -

    “ Ahoi! taz.de/Ruecktritt-...emmerich/!5662522/







    Vielleicht ist ja das „Schlossgespenst" zum guten End das „Schlussgespenst"? "Das Drama in Thürngen drohte die ganze FDP zu zerstören." Wieso „drohte"? Ich hielt es für ein Versprechen. Will Lindner das schon wieder brechen? Zwar lache ich über Lindner direkt, doch hier hab´ ich ganz ungeniert alte Verse frisch lackiert:







    Mir war schon lange klar,



    Der Lindner ist kein Star.



    Er war ein Avatar-



    verkäufer für ein Jahr.



    de.wikipedia.org/w...r#Moomax-Insolvenz



    Statt Wasser trink ich heute Wein.



    Mein Wunsch an Lindner ist ganz klein:



    Was einst die KfW Dir gab,



    das ruht schon im Millionengrab.



    Versenk dort auch die FDP



    damit ich sie nie wiederseh.“

    kurz - …anschließe mich. & klar -



    - SOWASVONVERZICHTBAR - & Hi -



    Ha no. Peter Unfried - Übernehmen Sie!



    & Gellewelle - aaf der Stelle!



    Dank im Voraus & aus die 🐭 ! 🥳🥳🥳

  • 1. Den Verlust einer verschwindenden FDP ist verschmerzbar - mit der Baum-Hambrücher Partei hat die Lindner-truppe schon lange nichts mehr gemeinsam. 2. Solche Politkarrieristen wie Kemmerich haben in ihrem Machtstreben schon einmal Deutschland in den Abgrund geführt. Damals meinten die Konservativen, den Reichskanzler Hitler an die Wand drücken zu können, bis er quietscht. das Ergebnis ist bekannt.

  • Ich lese immerzu, der böse Kemmerich. Ja genau, der böse Kemmerich war es, jetzt lerne ich es auch.

    • @Picard:

      Es kann natürlich sein, dass es da etwas, bestimmt, also: Was macht ihn denn gut, sehr geehrter User? Und los:...

  • Die AfD wollte, erklärtermaßen, die „Altparteien“ jagen und/oder am Nasenring durch die Polit-Manege führen. Das Chaos, das sie damit anrichten wollte, hat sie erreicht. Aus diesem Chaos wollte die AfD dann wie ein Phönix aus der Asche steigen. Das wird nun nichts. Eine „Machtergreifung“, wie 1933 bleibt uns erspart. Die Demokratie ist stärker, als damals in der Weimarer Republik. Warum ist keiner froh darüber?



    Wichtig wäre jetzt, dass sich die demokratischen Parteien vor den nächsten Wahlen verständigen, wie sie AfD-Tricksereien der gehabten Art entgegentreten können.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Pfanni:

      Wichtig wäre es, wenn sich die Gesellschaft, allen voran das Bürgertum, darauf einigen würde, dass das Fressen ohne Moral die Nazis wie Höcke groß macht.

  • 😄😄😄

  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Also, nach dem Rücktritt bleibt der bisherige MP im Amt bis ein neuer MP gewählt wird . Zwischenzeitlich bemüht man sich Mehrheiten für Neuwahlen zu organisieren. Das kann dauern. Also nix mit Neuwahlen in 1 oder 2 Monaten. Der bisherige MP bleibt bis dahin geschäftsführend und nicht Ramelow

    • @97287 (Profil gelöscht):

      Bescheidene Frage: ab welcher "Dienstzeit" - muß man ja hier in Anführungszeichen setzen - gibt es eigentlich Rentenbezüge? Und zählt die "geschäftsführende Zeit" dazu?



      Unglaublich: dieser Mann hätte die Wahl überhaupt erst gar nicht annehmen dürfen!



      Da können doch wirklich nur die Dollar/äh Eurozeichen im Kopf spuken und vielleicht noch die gelungene Bauchpinselung durch die AfD.



      Über Lindner erst gar nicht reden. Der hat für mich schon beim Nichtabwenden der GROKO versagt.



      Die Partei: FDP - fast drei Prozent - hoffentlich!



      MEINE MEINUNG !!!

  • Sollte sich die FDP und CDU auf einen eigenen Kandidaten einigen und Herr Ramelow durch die Stimmen der AFD gewählt werden, würde dieser die Wahl sicher nicht annehmen.

    • @rolf schaefer:

      CDU und FDP haben das Recht auf einen eigenen Kandidaten endgültig verwirkt!

      1. Die Partei mit den meisten Wählerstimmen (Parlamentsitzen) stellt den Ministerpräsidenten



      2. Alternativ: Die größte Partei einer regierungsfähigen Mehrheit stellt den Ministerpräsidenten



      3. Wer sich an taktischen Manövern beteiligt, diesen in den Wahlen abgebildeten Wählerwillen zu unterlaufen hat moralisch kein Recht mehr auf einen Kandidaten.

    • @rolf schaefer:

      Jeder wüsste, dass es ein weiterer absurder Schachzug der AfD ist, um die Demokratie zu beschädigen und das übersimple Narrativ der AfD fortzuführen. Regierungsfähigkeit oder gar "Bürgerlichkeit" ist dann doch etwas anderes als taktisches Schmierentheater.

    • @rolf schaefer:

      Er würde das wahrhaftig nicht tun. Aber was soll der Einwurf überhaupt? Es gibt keine noch so kleine Wahrscheinlichkeit für diesen Unsinn. Nur mal 'n bisschen provozieren am Sonntag Vormittag, wa?

  • Gegen derartige hysterische Schnellschüsse hat man eigentlich das konstruktive Mißtrauensvotum eingeführt. Aber im Augenblick scheint jede Vernunft abhanden gekommen zu sein. Lieber gar keine Regierung als die falsche?

    Merkels Republik wird noch chaotischer enden als die andere.



    „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“

    • @Werner S:

      Es stellt einen grandiosen Sieg für die Demokratie dar, dass diese pseudorechte Truppe aus CDU/AfD/FDP nicht weitermachen darf, weil die Mehrheit der Menschen, und wäre es nur im Bund, das scheindemokratische Gesülze von Faschisten durchschaut hat. Dass sich das - ich meine nicht Sie! - den Vollpfosten nicht erschließt, das ist mir klar.

  • "Doch genau diese Neuwahlen stehen nun an."

    Die lernen besser schnell Minderheitenregierungen zu bilden... Wird bei der nächsten Bundestagswahl bitter nötig sein

    • 8G
      82286 (Profil gelöscht)
      @danny schneider:

      Sie gehören nicht zu den 85% der Bundesbürger, die das ganz anders sehen.

      • @82286 (Profil gelöscht):

        Groko vorever?



        ne, bei der nächsten Wahl wird die SPD auf FDP Größe schrumpfen, die CDU sicher weiter verlieren, die AFD vermutlich weiter wachsen.

        Viele Möglichkeiten werden die wahren Demokraten nicht haben!

  • RS
    Ria Sauter

    Danke für diese sachliche Zusammenfassung.



    Hoffen wir mal , dass die Thüringer diese Chose nicht so schnell vergessen und Ramelow wählen.

    • @Ria Sauter:

      Werden sie ;-) !!! Jetzt erst recht!

      • RS
        Ria Sauter
        @Elli Pirelli:

        Das wünsche ich auch!!!!!