Antisemitismus-Resolution ist zu vage: Eine Zensur kommt vielleicht doch

Der Bundestag will Antisemitismus bekämpfen. Seine Resolution ist gut gemeint, aber schlecht gemacht.

Pro-Palästina-Demonstration in Berlin im November 2023 Foto: Florian Boillot

Narrativ ist ein Modewort, das gleichermaßen bedeutsam und vage klingt. Zum Narrativ gehört immer etwas Unscharfes. Das deutsche Wort – Erzählung – meint Fiktionales. Um nachzuweisen, dass ein Text oder eine Parole hasserfüllt, rassistisch oder judenfeindlich ist, muss man konkrete Beweise vorlegen. Beim Narrativ mit seinen flirrenden Bedeutungshorizonten mag das leichter gehen.

Es ist kein Zufall, dass das Wort Narrativ im Kern der geplanten Resolution des Bundestages „Nie wieder ist jetzt“ steht. Union und SPD, Grüne und FDP fordern, dass „antisemitische Narrative“ dingfest gemacht werden sollen. Wer überführt wird, soll nicht mehr vom Staat gefördert werden. Das betrifft KünstlerInnen und NGOs.

Das ist wahrscheinlich gut gemeint, aber nicht gut gemacht, ja schädlich. Gerade die Mixtur aus Vagheit und konkreten Aufforderungen, Verdächtiges wenn nicht zu verbieten, so doch faktisch aus dem Kulturbetrieb zu verbannen, öffnet die Tür für eine zensurartige Praxis. Denn wer entscheidet, was ein antisemitisches Narrativ ist? Der Resolutionsentwurf schweigt dazu. Schon jetzt gilt bei Antisemitismusvorwürfen oft „Schuldig bei Verdacht“. Das wird, wenn diese Resolution kommt, zunehmen. Auf die Ängstlichkeit deutscher Kulturbürokratie ist immer Verlass.

Die Berliner Justizsenatorin fordert, dass der Verfassungsschutz künftig antisemitische Narrative amtlich entschlüsseln soll. Das wäre der direkte Weg zum Gesinnungs-TÜV für KünstlerInnen. Dieser TÜV soll auch noch mithilfe der luftigen Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) vorgenommen werden, die scharfe Kritik an Israel in die Nähe von Antisemitismus rückt. Eine Zensur findet vielleicht doch statt.

Kurzum: Diese Resolution dient nicht dem Schutz jüdischen Lebens. Sie zwängt eine schwierige, affektgeladene Debatte in ein viel zu enges Korsett. Wo aber, wenn nicht in der Kultur, soll offener Diskurs stattfinden?

Eine Resolution ist kein Gesetz. Aber sie ist auch viel mehr als eine folgenlose Willensbekundung. Die Erklärung des Parlaments 2019 gegen die Israel-Boykott-Bewegung BDS beflügelte eine fragwürdige Verbotspraxis. Gerade das Diffuse, in dem Erlaubtes und Verbotenes verschwimmt, ist problematisch. So entsteht ein Klima von Denunziation. Das passt nicht in eine liberale Demokratie. Linke JüdInnen warnen nun in einem offenen Brief, dass diese forsche Einschränkung der Meinungsfreiheit „die Vielfalt jüdischen Lebens ausschließt, die sie zu bewahren vorgibt“. Es gibt kritische Stimmen. Sie sollten gehört werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben