piwik no script img

Yahya Sinwar, Hamas und der TunnelblickGaza und der doppelte Boden

Untergrund und Unbewusstes. Was das Tunnelsystem der Hamas über die Fähigkeiten der Organisation aussagt.

Im Norden von Gaza-Stadt sichern israelische Soldaten einen Tunnel, den Hamas zur Terrorattacke auf Israel nutzte Foto: Noam Galai/getty images

Die islamistische Terrororganisation Hamas kam im Gazastreifen 2007 an die Macht. Gaza erhielt Millionen an Hilfsgeldern. Wenig kam der Bevölkerung zugute. Vieles floss, buchstäblich, in den Untergrund, in eine Parallelstruktur unter der Erde.

Sie hätten in die Höhe bauen können, mit Licht und Luft. Stattdessen haben sie sich in den Erdboden eingegraben. Auch das ist Teil der Tragödie von Gaza.

Dem herrschenden Kopf der Hamas ist das durchaus bewusst. Yahya Sinwar sagte einmal einer italienischen Journalistin, „aus Gaza könnte Singapur werden oder Dubai“, es gebe in der jungen Generation der Palästinenser genug Brillanz und Esprit. Sogar Frieden mit Israel schien ihm damals, 2018, denkbar. Dazu wollte er es dann aber doch nicht kommen lassen.

Yahya Sinwar gilt als der Planer der „Operation Al-Aqsa-Flut“. So lautet der Codename für den Überfall der radikal-islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, als 1.139 Männer, Frauen und Kinder massakriert und 240 Menschen nach Gaza verschleppt wurden.

Größenwahn und Talent

Getrieben waren die Verbrechen von der größenwahnsinnigen Fantasie, Israel auszulöschen, wie das die erste Charta der Hamas beschwor. Der Massenmord wollte eine eliminatorische Fantasie in Realität übersetzen.

Seit dem 7. Oktober wurde Sinwar öffentlich nicht mehr gesehen. Er soll abgetaucht sein in den Untergrund, was wörtlich zu verstehen ist. Offenbar hält er sich in dem weitverzweigten Tunnelsystem auf, das die Hamas unter der Erde des Gazastreifens angelegt hat. Auch „Gaza Metro“ genannt beherbergt es Führungsriegen der Hamas, die selten auf der Erdoberfläche zu sehen sind, und es dient jetzt auch als Kerker für die Geiseln.

Yahya Sinwar, 2022 in Gaza-Stadt. Der Hamas-Führer gilt als der Stratege von Eskalation und Massenmord Foto: Adel Hana/ap

Sinwar, der mehr als 20 Jahre in israelischen Haftanstalten verbracht hatte, bis er 2011 durch Geiselnahme und Erpressung freikam, weiß, dass er nicht nochmal freikäme, würde Israels Armee ihn entdecken. Inhaftiert worden war er wegen der Ermordung von Palästinensern. Im Gefängnis hatte er Hebräisch gelernt, Bücher der Feinde studiert und einen palästinensischen Heldenroman verfasst. Daneben soll er weitere Morde an „Verrätern“ im Gazastreifen in Auftrag gegeben haben. Prägend dürfte damals die Erfahrung gewesen sein, dass und wie sich Macht auch aus der Distanz ausüben lässt.

Unter der Erde hat Sinwar seine Autorität auch den Entführten demonstriert. Eine freigekommene, 85 Jahre alte Friedensaktivistin schilderte einer israelischen Zeitung, wie Sinwar wenige Tage nach dem Massaker eine Gruppe der in den Tunnels festgehaltenen Israelis aufgesucht und sich bei den unter Schock stehenden nach ihrem Befinden erkundigt hatte.

Die unterirdische Regierung

Der Bau der Tunnels hatte als Geheimaktion begonnen. Jehad al-Saftawi, Autor eines Fotobands über Gaza, berichtete Anfang 2024 im Time Magazin, wie seine Familie 2013 die Bauphase mitbekam. Ein Tunneleingang lag direkt unter dem Neubau im Norden von Gaza, für den seine Eltern lange gespart hatten. In den Nächten hörte die Nachbarschaft seltsame Geräusche und sah seltsame Dinge. Lastwagen rollten an, maskierte Männer verhängten Baustellen mit Planen, die Erde vibrierte, gedämpfter Baulärm drang aus Schachtöffnungen.

Propagandavideos der Hamas verströmen Partisanenflair

Jehad und sein Bruder Hamza entdeckten eine Stahltür und fragten einen der Maskierten nach dem Zweck der Arbeiten. Keine Sorge, habe der gesagt, es würden bloß Waffenarsenale angelegt und Schutzräume geschaffen, für den Fall einer israelischen Invasion.

Tausende Bewohner des Gazastreifens werden Ähnliches erlebt haben, an Hunderten von Baustellen. Schmugglertunnel hatte es an den Grenzen des Gazastreifens schon lange gegeben. Aber das war neu: die Anlage einer unterirdischen Struktur solchen Ausmaßes, die als militärisches Hauptquartier und Interims-Regierungssitz dient.

500 Kilometer Tunnelnetz

Die Hamas habe den Untergrundkrieg neu erfunden, urteilte die Völkerrechtlerin Daphné Richemond-Barak im Juni in der Zeitschrift Foreign Affairs. Vergleichbar sei das Tunnelsystem weder mit den Schützengräben des Ersten Weltkriegs noch mit den Tunnels, die al-Qaida in Mali oder der IS in Syrien und im Irak nutzten. Am ehesten seien die Gazatunnels vergleichbar mit unterirdischen Kommandozentralen von Staaten. Von nichtstaatlichen Akteuren wie einer Terrororganisation kannte man Ähnliches bisher nicht.

Auf eine Länge von 500 Kilometern wird das Tunnelnetz geschätzt. Allein für den Beton wurden zigtausend Säcke Zement und Sand verbraucht. Gewölbe und Räume sollen stabil und einsturzsicher sein, manche Tunnel breit genug für Jeeps. Zur Infrastruktur gehören Strom und Wasser, Beleuchtung und Belüftung. Kabelstränge laufen die Wände entlang, Kabelbündel hängen von den Decken.

Israels Armee berichtet von mehreren Ebenen, teils bis zu zwanzig Meter tief und verbunden mit Fahrstühlen. Es gibt Internet, Waschräume und Duschen, Küchen, Vorratskammern, Schlafplätze, Konferenzräume, Waffenlager und Waffenfabriken. Einstiegsluken dienen als Abschussrampen.

Der Gazastreifen hat eine physische Parallelstruktur. Auch darum ist es für Israels Armee eine extreme Herausforderung, die Hamas zu entmachten und zu entwaffnen. Das verhältnismäßig kleine Gelände des Gazastreifens ist doppelt vorhanden, oberirdisch und unterirdisch, sichtbar und unsichtbar. Angriffe auf die Tunnelstruktur sind statisch riskant. Und sie könnten noch lebende Geiseln gefährden.

Guerilla-Romantik

Propagandavideos der Hamas verströmen Partisanenflair. Sie präsentieren das unterirdische Innere als eine Art Bergwerk und Werkstatt des Terrors. Zu sehen sind vermummte Männer mit Munitionsgürteln und Handfeuerwaffen, wie sie Mörser oder Panzerfäuste schleppend durch gewölbte Gänge eilen, in denen Fahnen der Hamas hängen. Eingeblendet ist das Logo des militärischen Arms der Hamas und dessen Netzadresse www.alqassam.net.

In einer Szene drängen sich Terrorkrieger um die Luftaufnahme einer Stadt. In einer anderen hocken Vermummte als Kriegsrat im Kreis, schwer bewaffnet, mit Headcams auf den schwarzen Mützen. Über ihren Köpfen ein Bild der Al-Aqsa-Moschee in Jeru­salem. Israels Armee hat Ausschnitte der Videos auf Youtube eingestellt.

Das Tunnelnetz hat viele Millionen gekostet, die nicht zuletzt aus Hilfsgeldern westlicher wie arabischer Staaten kamen. Bei Schmuggel und Schwarzhandel kassierte man im Untergrund hohe Mautgebühren für die Passage.

Ein Direktor der Hilfsorganisation World Vision soll an die Hamas rund 45 Millionen Spendendollars weitergeleitet haben. Das Bezirksgericht von Beersheba in Israel verurteilte Mohammad El Halabi am 30. August 2022 zu zwölf Jahren Haft. Ein Berufungsverfahren läuft. Auch damit wurden Militärgerät und Baumaterial beschafft.

Unmengen an Ressourcen, die dem zivilen Aufbau über der Erde dienen sollten, wurden zweckentfremdet und versickerten buchstäblich im Boden.

Skulpturenpark einer Diktatur

Bauprojekte, die der Bevölkerung Ressourcen entziehen, sind typisch für Diktaturen. Selten allerdings so flächendeckend und dysfunktional. Albanien ist ein weiteres Beispiel. Das Land war übersät mit kleinen und großen Kuppeln aus grauem Beton, als hätte das Erdinnere Blasen geworfen, die sich verhärtet hatten.

Sie lagen in Hinterhöfen, auf Viehweiden, an Flussufern, in Städten, alle hatten Öffnungen wie Schießscharten. Jedem im Land hatte der kommunistische Diktator Enver Hoxha einen Platz im Bunker versprochen, 700.000 Bunker für die 3 Millionen Einwohner entstanden, teils durch Tunnels verbunden.

Albanien glich einem gigantischen Skulpturenpark der politischen Paranoia, denn Hoxha fürchtete die Invasion durch Feinde, die niemals kamen. Der wahre Feind war die eigene, bizarre Ideologie, die sich im Wortsinn eingebunkert hatte. Nach der Diktatur besprühten Leute die Bunker mit Graffiti, nutzten sie als Ziegenstall, Weinkeller und Discos, für Brennholz oder Abfall. Inzwischen sind die meisten abgerissen und in Tirana wirbt ein Bunkermuseum mit dem Wahn- und Gruselfaktor auch der Tunnelgänge.

Der Tunnelblick von Gaza

Gazas unterirdische Welt ist real. Zugleich ist sie sinnbildliche Manifestation einer unterirdischen Ideologie, die destruktiv ist und dystopisch, deren politischer Diskurs dominiert ist von Märtyrertum, Morden und Opfern.

Das Wall Street Journal berichtete über vertrauliche Nachrichten, in denen Sinwar zivile Opfer im Gazastreifen begrüßt, sie brächten „frisches Blut in die Adern der Nation“. Als im April 2024 drei Söhne des Hamas-Führers Ismael Hanijeh im Gazakrieg starben, verkündete das Politbüro der Hamas, er „danke Allah für die Ehre, dass sie als Märtyrer sterben durften“.

Schon den Schulkindern in Gaza werden „Märtyrer“ als Helden und Vorbilder präsentiert und auch in den Medien ist die Propaganda der Vernichtung ubiquitär.

Wenn aber zum Selbstverständnis einer Gruppe die Auffassung gehört, der eigene Nachbar habe kein Existenzrecht und dürfe vernichtet werden – was die frühe Charta der Hamas über Israel besagt – dann entwickelt sich Paranoia. Die eigene Absicht wird auf die anderen, die zu Tötenden, projiziert. Permanent vibriert die Furcht, gestraft zu werden.

Gegner als Kollaborateure

Dabei werden Wissen und Gewissen verdrängt, dass der Terror unethisch und illegitim ist, Gegner als „Kollaborateure“ denunziert. Gaza ist doppelt vorhanden, oberirdisch und unterirdisch, sichtbar und unsichtbar. Und auf konkretistische Weise bilden die beiden Ebenen ab, wie stark Bewusstsein und Unbewusstes voneinander abgespalten sein sollen.

So führt das Tunnelsystem den Tunnelblick derer vor, die sich freiwillig in die Lichtlosigkeit begeben haben, ins Jenseits der Aufklärung. Ohne es zu wollen zeigen die Tunnel, wie sehr ihre Erbauer in ihre Phantasmen abgetaucht sind, wie massiv sie sich abschotten von Ratio und den Räumen des Diskursiven.

Wie mit den albanischen Bunkern der Paranoia entstand auch mit den Tunneln in Gaza eine antisoziale Mega­skulptur. Sie scheint einer Nekropole nachgeahmt, mit Katakomben für die Lebenden, die unter Tage den Tod beschwören.

Der Weg aus den Tunneln

Yahya Sinwar hat recht. Es gibt enorm viel Potenzial unter Palästinensern. Auch die eindrucksvolle Leistung, das Tunnelsystem zu konstruieren, zeugt davon. Doch das Potenzial wurde in die falsche Richtung gelenkt.

Jetzt lebt ein Großteil der Bevölkerung auf Trümmern über Tunneln, die Zivilstruktur wird von der Hamas als Schutzschild verwendet, um Einstiegsluken zu verbergen.

Vermutlich wird die Bevölkerung nur mit internationaler Verwaltung, großen Geberkonferenzen und einer demokratischen Bildungsoffensive aus den Terrortunneln heraus gelangen. Gebraucht wird dafür die internationale Solidarität vieler pro-palästinensischer Demokraten.

Propalästinensisch zu sein ist einfach. Es bedeutet, dafür zu sein, dass Gaza von der unterirdischen Hamas befreit wird. Dafür, dass die Bevölkerung eine demokratische, rechtsstaatliche Regierung oben auf der Erde erhält, mit gleichberechtigten Männern und Frauen, mit Schulen ohne Mordpropaganda.

All das ist ohne Zweifel möglich, ob in einem eigenen Staat oder in einer Föderation. Anstatt sich in die Erde zu graben, können auch Palästinenser nach oben bauen, mit Licht und Luft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

34 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • tunnelmäßig war der vietcong wohl vorreiter, s. ho-chi-min-pfad usw.

    "schwere gefechte im raum da-nang" usw., - so war der tägl. nachrichtensound meiner west-kindheit u. frühen jugend.

  • "Sogar Frieden mit Israel schien ihm damals, 2018, denkbar. Dazu wollte er es dann aber doch nicht kommen lassen."



    Was nun: ist er der rachsüchtige, hassende Bösewicht - wie kann er dann 2018 Frieden für denkbar halten... Und 2018 war er gar nicht in der Position, es "zu Frieden kommen zu lassen". Vizechef ist er wohl erst 2020 geworden - und bis vor kurzem Vize geblieben.



    Nur zur Erinnerung: Netanjahu hat sich damit gebrüstet, über 20 Jahre die Hauptvoraussetzung für Frieden -die 2-Staatenlösung- in den "Verhandlungen" darüber sabotiert und verhindert zu haben.



    Verglichen damit ist Sinwar als Hamas-Chef ein nahezu unbeschriebenes Blatt.

  • "Ein Direktor der Hilfsorganisation World Vision gestand vor Gericht, dass er an die Hamas rund 45 Millionen Spendendollars weitergeleitet hatte. Auch damit wurden Militärgerät und Baumaterial beschafft." Vielleicht hätte sich die Autorin mal mit der Realität des Falls auseinandersetzen sollen, bevor auch sie eine Hilfsorganisation beschuldigt! www.theguardian.co...-aid-money-history



    Zudem sagte World Vision auch das sie in 10 Jahren nur 22.5 Millionen Spenden für Gaza ausgegeben haben, wie dann jemand in 6-7 Jahren 45 Millionen abzweigen kann ist mehr als fraglich, zu finden hier: www.abc.net.au/new...amas-links/7703370 Zudem fand ein unabhängiger Audit stand der keine verschwundenen Gelder bei World Vision hervorgebracht hat. Journalismus sieht anders aus!

  • „unterirdisch“ - Frau Fetscher bringt es auf den Punkt

  • PS: Oder noch mal anders ausgedrückt: Israel blockierte den Gazastreifen, sogar die Fischerboote, zerbombte Häuser, den Flughafen, Verwaltungsgebäude.



    Wie soll man bittesehr da aufbauen?

    Friede durch Israel wäre wohl der genau beste erste Schritt (und das entzieht dieser Hamas & Co. ihre Batterie).

    • @Janix:

      Statt Bunker System für Hamas Führung und Terror-Tunnel hätten sie eine der besten Kanalisationen, unterirdischen Wasserleitungen, Versorgungsschächte (u.a. Internet), U-Bahn Systeme der Welt erschaffen können.

      Schau dir auch "imshin gaza" auf Twitter und Instagramm an. Gaza war für die oberen 1% luxuriös. Für die oberen 10% immer noch eine bessere Wohnsituation als für dich und mich.

      Meine Solidarität gilt aber den unteren 55%, diese hätten von den o.g. Maßnahmen profitiert. Durch diese wäre ein Grundstein für gute Entwicklung gelegt. Die Mittel hatte die Hamas, wie die Tunnelschächte beweisen.

      Du willst aber schlicht und einfach von Kritik gegenüber der Hamas ablenken. Die Hamas hat sogar Israelische Ingenieure beschossen, die Wasserleitungen in Gaza repariert haben. Es ist die Hamas die Gaza unterentwickelt. Es ist die PA die Westjordan auch nicht entwickelt.

      Beide Regionen brauchen freie, gleiche, geheime Wahlen von nicht-terroristischen Parteien und Kandidat*innen um sich aufzubauen, unabhängige Polizei & Justiz zu haben um Sicherheit zu gewährleisten und Frieden zu bringen.

      • @ToSten23:

        Wir siezen uns, ok? So viel Bürgerlichkeit darf auch am Montag sein.



        Wir brauchen Neuwahlen in Israel, Gaza und Westjordan. Netanyahu und die Hamas können weg, einige Knessetparteien in der Regierung wären hierzulande wohl wegen Rassismus verboten und könnten auch weg. Die Fatah sollte sich erneuern, doch das müssen alles die Menschen am Ort entscheiden.



        Was hülfe, dass Israel nicht mehr die Hamas so fördert und Figuren wie Barghouti freilässt, die für Frieden einstehen könnten.

        Noch mal: Gaza ist ja mit EU-Geld einmal halbwegs aufgebaut worden. Was aber oberhalb der Erde war, wurde schon früher immer wieder durch israelische Militärschläge zerstört. Erinnern Sie sich gar nicht als Zeitungsleser?



        Sisyphus.



        Damit sät man (bewusst?) die Hamas. Dann kann man den Dauerkriegszustand und die Dauerbesatzung so schön bemänteln.

        Gegen die Hamas sind wir zwei uns übrigens einig, im Gegensatz zu Netanyahu die ganzen Jahre (siehe Likudrede).

        • @Janix:

          @Janix

          Bei allem Respekt. Und wir sind uns einig, dass das palästinensische Volk leidet und dies aufhören muss.

          Warum ist bei Ihnen immer nur Israel in der Verantwortung? Warum nehmen Sie die Palästinenser, die ja die Hamas gewählt haben, nicht in die Verantwortung etwas zu ändern?

          • @Pawelko:

            Würde jeder nur Israel in der Verantwortung sehen, spräche ich wohl ähnlich wie Sie.



            Ich habe einen anderen Eindruck: Unterstützt wird das besetzende Land, das die Hamas damals förderte, um die Palästinenser zu spalten, das den Gazastreifen abschnürte, ...Und das wäre dann die "einzige Demokratie". So wie mich aufregt, wie Marokko die Westsahara ausplündert und dauerbesetzt, stört mich das auch bei Gaza und Westbank.



            Waffen liefern wir nicht den Palästinensern, wir liefern sie Netanyahu gerade.

            In Israel sind Wahlen zumindest für den Teil mit israelischem Pass möglich. Das ist in Gaza nicht drin. Und dennoch gibt es auch dort Proteste, unter einem persönlichen Risiko, vor dem ich den Hut ziehe.



            Doch keine Illusion. Wenn die Hamas auf einmal verschwände, käme die nächste Gruppierung, die, fürchte ich, zu Recht sagen würde, dass man friedlich nichts gegen die Einschnürung Gazas bewirkt.



            Positiv sehe ich entweder einen offen-neutralen Staat mit sehr starken Minderheitenschutz für wen auch immer als Möglichkeit, oder aber zwei Staaten. Wer einen "jüdischen" demokratischen Staat will (was das auch sein soll), muss "nichtjüdischen" Menschen ihren ermöglichen.

  • Bevor man hier lange küchenpsychologisiert: Ja, Israels Armee bombardiert seit jeher so ziemlich alles oberhalb der Erde mal, ob gerade Krieg war oder nicht.



    Also baut man davor geschützte Räume, und eben nicht als Hochhaus.



    Was war daran jetzt so kompliziert?

    • @Janix:

      2006, ein Jahr nach Israels Rückzug aus demGazastreifen, erhielt die Hamas bei den bislang letzten freien Parlamentswahlen in denpalästinensischen Autonomiegebietendie Mehrheit der Wählerstimmen im Gazastreifen.

      Also scheinbar entzieht Frieden und ein Rückzug der Israelis keine Batterie für radikale Islamisten in Gaza.

      Ihr erklärtes Ziel ist die Vernichtung Israels.

      Ah ja. Und mit denen soll Israel Frieden schließen (?)

      M.E. kann ein dauerhafter Frieden nur mit dem Willen der Palästinenser geschehen die Hamas loszuwerden, und dazu brauchen diese die Unterstützung Israels. Denn wie man sieht, sind unter der Hamas keine freien Neuwahlen möglich.

      • @Pawelko:

        Der Gazastreifen war noch nie unblockiert. Hat denn hier jeder schon vergessen, wie Israels Militär den schönen EU-gesponserten Flughafen erst mal kaputtbombte und Häfen unbrauchbar machte?

        Wer Frieden säen würde, entzieht der Hamas das Narrativ. Das leider einen wahren Kern hat: Die Regierung von Israel besetzt ohne Skrupel seit über einem halben Jahrhundert gegen jedes Völkerrecht.

        • @Janix:

          "Hat denn hier jeder schon vergessen,wie Israels Militär den schönen EU-gesponserten Flughafen erst mal kaputtbombte und Häfen unbrauchbar machte?"



          Der u.a. Flughafen wurde während "kriegsähnlicher Zustände"* zerstört,was ich sehr gut verstehen kann.Mit einem funktionsfähigen Flughafen wäre es der gegnerischen Seite noch leichter möglich gewesen,jüdische und nicht-jüdische Menschen in Israel zu töten und Israel anzugreifen.Als Nicht-Militärfachfrau halte ich das für sehr sinnvoll.



          *Mir ist der Unterschied zwischen Krieg und Intifada nicht bekannt,auch nach längerem googeln nicht,und bin für sachliche Belehrung dankbar.

          "Die Regierung von Israel besetzt ohne Skrupel seit über einem halben Jahrhundert gegen jedes Völkerrecht."



          U.a. weil die gegnerische Partei anfänglich keinerlei Verhandlungen,sondern lieber diverse Kriege führen wollte,die alle verloren wurden,und nicht akzeptieren kann,dass sie mit jedem begonnenen Krieg etwas mehr Land verliert.War bei uns Deutschen auch so und ich finde das gerecht.Andere Länder zu überfallen (07.10.) "sollte" sich,meiner Meinung nach,nicht "rechnen".

          Ja, ich weiß, das entspricht nicht dem Völkerrecht und ist nur meine unmaßgebliche Meinung.

        • @Janix:

          Israel hat sich 2005 zurück gezogen

          www.deutschlandfun...lungen-im-100.html

          Und Gaza hat die Hamas gewählt, dessen erklärtes Ziel die Vernichtung Israels ist.

          Noch einmal, Kritik an Israels Vorgehen ist legitim. Aber die Hamas zu wählen die pausenlos Raketen auf Zivilisten schießt und Selbstmordanschläge verübt hat bestimmt ihr selbiges dazu beigetragen. Und die Hamas ist eben nicht durch einen Putsch an die Macht gekommen wie der IS im Irak, sondern wurde gewählt.

          • @Pawelko:

            "und es ist jetzt die Schuld Israels, dass die Menschen dort nur die Wahl zwischen Pest und Kolera haben?"



            Kurze Antwort: Ja. Israel hat einheitliche Wahlen mit mehreren zur Wahl stehenden Organisationen GLEICHZEITIG in Gaza und WJL stets aktiv verhindert - und Israels Kooperation war dazu zwingend, weil es ca 500 Kontrollpunkte im WJL hat die für die Wahlen durchgängig hätten sein müssen.

          • @Pawelko:

            "Israel hat sich 2005 zurück gezogen"



            Das ist eben nur die halbe Wahrheit: Erstens hat Israel weiterhin die Grenzen, den Luftraum und die Küsten Gazas kontrolliert - weshalb unter anderem das AA Gaza weiterhin als besetzt betrachtet hat (und das auch nach wie vor macht!). Zweitens ist Gaza nur ein Teil der Gebiete, die für einen künftigen Staat vorgesehen sind und kann daher nicht isoliert betrachtet werden: Israel hat Gaza abgeriegelt und die Besatzungs- und Siedlungsgebiet in OJ/WJL weiterhin vorangetrieben. Mehr fehlt die Phantasie, um darin ein Entgegenkommen zu sehen.

            • @O.F.:

              Ja, aber Hilfsgüter und Geld sind in den Gazastreifen gelangt. Soll sich Israel entschuldigen, dass sie keine Waffen unkontrolliert in das Land lassen wollten? Die Hamas baut nicht aus Spaß aus Wasserleitungen (aus Eurpoa u



              A. finanziert) Raketen. Sondern weil Israel so gut es geht den Waffenstrom zu unterbinden versucht. Und noch mal meine Frage. Warum nimmt die Hamas keine/ bzw. nicht mehr Zivilisten in den Tunneln auf, sondern lagert lieber Raketen und Waffen um unschuldige Juden zu töten?

              • @Pawelko:

                Sie blenden weiterhin das Grundproblem aus: Israel verweigert den Palästinensern die staatliche Selbstbestimmung, nicht umgekehrt. Der Hinweis auf die Hilflieferungen nach Gaza klingt vor diesem Hintergrund fast zynisch: man zwingt die Palästinenser in Bantustans (die man mit erheblicher Gewalt unter Kontrolle hält) und erwartet Dankbarkeit dafür, sie nicht verhungern zu lassen. Ihr Framing greift daher zu kurz.

          • @Pawelko:

            Welche Wahl hatten die Menschen dort?



            Hamas oder Fatah, clandestin geführte zutiefst antidemokratische "Organisationen" standen zur Wahl.



            ... die NSDAP wurde auch gewählt, hat aber nach meiner Kenntnis auch nichts Vernünftiges draus gemacht.

            • @Axel Schäfer:

              Okay, und es ist jetzt die Schuld Israels, dass die Menschen dort nur die Wahl zwischen Pest und Kolera haben?

              Und um Ihren Vergleich mit der NSDAP aufzugreifen. War also nur Hitler Schuld an der Shoah? Oder hat sich das deutsche Volk mitschuldig gemacht?

              Sollen wir jetzt die Alliierten verklagen, weil sie im zweiten Weltkrieg Nazideutschland bombardiert haben und Zivilisten dabei zu schaden gekommen sind?

    • @Janix:

      Und statt Palästinensern in den Tunneln Schutz zu gewähren, nutzt die Hamas den Platz lieber für Raketen und Kalaschnikows um unschuldige Israelis zu töten.

      Gehört auch so zur Wahrheit.

  • Also ist propalästinensisch zu sein, proisraelisch zu sein :P

  • Das Wort Tragödie empfinde ich als unpassend für das, was die Hamas in Gazastreifen angerichtet hat. Terror, menschenverachtende Straftaten, rücksichtslose destruktive Eskalation meinetwegen.



    Tragödie verharmlost. Es ist nicht einfach ein tragischer Unfall der irgendwie passiert ist. Es ist von Menschen ausgetragener Hass.

    • @Usch Bert:

      Und wo ist jetzt der Unterschied zu den Siedlern, Smotrich , Ben G'vir und Netanjahu?

  • " .... Das Tunnelnetz hat viele Millionen gekostet, die nicht zuletzt aus Hilfsgeldern westlicher wie arabischer Staaten kamen. ..... "



    Eher viele Milliarden, wenn man sieht, was Tunnelbau so kostet und bedenkt, dass dies hier verdeckt eher mit Kleingerät und viel Handarbeit geschehen sein muss.



    Der größte Teil der Hilfsgelder, der nicht vorher von den kleptokratischen Anführern der sog. "Palästinenserorganisationen" abgezweigt worden ist dürfte in Bau und Betrieb der Tunnel geflossen sein.



    Die Tragik ist, dass die dort lebenden Araber, ähnlich wie die Russen nie eine Chance bekommen haben zivilgesellschaftliche und demokratische Strukturen aufzubauen. Staaten, die auf der gewaltsamen Rückabwicklung von Geschichte und irrationalen Vorstellungen der Umgestaltung der Nachbarschaft basieren werden eine immerwährende Quelle von Gewalt und Konflikten sein.

    • @Axel Schäfer:

      So ausgedehnt das Tunnelsystem sein soll - Milliarden würde ich da nicht veranschlagen: der Boden ist tiefgründiger verhärteter Sand, der sich leicht bearbeiten lässt, der allerdings mit Beton abgestützt werden muss. Geologische Aktivität wie in den Schweizer Alpen gibt es praktisch nicht. Und ich glaube nicht, dass die Tunnelbauer sehr hohe Löhne bekommen haben...



      Und die Behauptung, das sei mit !westlichen! Hilfsgeldern finanziert, ist bisher genau das: eine Behauptung. Man darf 3mal raten, von wem....



      Finanzquellen hat die Hamas eine ganze Reihe. Und es gab und gibt nachvollziehbare Gründe in den Untergrund zu gehen: Israel bombadiert seit Jahren systematisch, alles was oberirdisch ist und ihm zerstörenswert erscheint. Legal, illegal, schegal. Warum sollte man sich dem ungeschützt ausliefern ? Das macht Israel selbst auch nicht: Bunker allenthalben.

  • Vielen Dank für den sehr aufschlussreichen Artikel! Wie schade, dass palästinensisches Know-How und enormes technologisches Potential, nebst Millionen von Geldern - wohl auch deutschen Hilfsgeldern - nicht in die friedliche und zukunftsgewandte Entwicklung gingen.

  • Man hätte ja gedacht, das derartig umfangreiche Bauarbeiten irgend jemandem in Israel auffallen würden? Dem Mossad zum Beispiel? Wenn sich im Iran ein bestimmter böser Mensch in einem bestimmten Haus aufhält, dann scheinen Sie es ja zu wissen.

    Was haben die eigentlich mit der ganzen Erde gemacht? Der Trick aus dem Film "Gesprengte Ketten" wird ja wohl kaum funktionieren bei Tonnen an Material.

    • @Semon:

      500km Tunnel im Gazastreifen (ca. 2 Millionen Menschen in der Region)

      Die U-Bahn Berlin (ca. 4 Millionen Menschen in der Stadt) verfügt über 155 Kilometern Länge und wird von der BVG betrieben.

  • Guter Artikel, es muss aber erwähnt werden, dass sehr viele in Gaza für die Hamas Tunnel mit gegraben haben, die Schmugglertunnel sind nicht das einzige was so gegraben worden ist.

    Zudem gab es zwischen Organisierter Kriminalität, Hamas und der Schmuggeltätigkeit enge Zusammenhänge.

    Warum sage ich das? Weil wesentlich mehr Menschen in Gaza beteiligt waren und noch mehr davon wussten, als im Artikel angedeutet wird. Es war nicht nur ein bekanntes Geheimnis, es war ein für quasi jeden wissbar.

    • @ToSten23:

      "wesentlich mehr Menschen in Gaza beteiligt waren"; "für quasi jeden wissbar" - Die Frage ist doch, was daraus folgt. Gehören Sie zu denjenigen, die sagen, dass diese Menschen ("sehr viele") daher verdienen, was ihnen derzeit von der IDF angetan wird? Und was ist mit denen, die es nicht verdienen? Oder gibt es die nicht und Sie gehören zu denen, die sagen, alle, die seit 2006 in Gaza leben, sind mitschuldig und legitime Ziele? Ihr Beitrag beantwortet auch die Frage nach komplexen Motivationslagen nicht: keinen Ärger bekommen; möglicherweise finanziell profitieren; patriotisch sein; ideologisch mit der Hamas übereinstimmen; Gruppendruck von Peers und Familie usw.

      • @My Sharona:

        Was daraus folgt ist, dass - wie ich seit Jahrzehnten fordere - eine internationale Schutzztuppe oder Kräfte der arabischen Liga Akteure in Gaza die nicht militant sind dabei unterstützen Sicherheit nach Innen herstellen zu können und zu verhindern, dass sich Terrorgruppen für Angriffskriege wappnen.

        Es bedeutet, dass diese neuen Akteure in der Besetzung von Beamtenstellen und dergleichen eine Unterscheidung durchführen müssen in wer bereit ist Aufarbeitung zu betreiben (Wahrheitskommissionen), wer Unbeteiligt war, wer Mitläufer war, der Täter war, wer Rädelsführer war.

        Die letzteren müssen vor Gerichtbarkeiten gelangen, die mittleren müssen öffentlich teilweise rehabilitiert werden, aber dürfen keine mächtigen Positionen bekommen, außer im Rahmen politischer Kompromisse um die neue Föderation Gaza nicht zu gefährden, bzw. im Rahmen von PLO Verhandlungen mit Israel teilweise - nach Aufarbeitung ihrer Mitschuld - begnadigt werden. Ein Frieden, keine Waffenruhe!, jetzt ist wichtiger als Gerechtigkeit.

        Politiker*innen die Aufrüstung in Gaza und Tunnelbau kritisiert haben, diese müssen die neuen Spitzenpolitiker*innen in Gaza werden. Das ist was daraus folgt.

        • @ToSten23:

          Kräfte der arabischen Liga, die für den Gaza einen halbwegs neutralen aber verläßlichen Schutz vor israelischen Angriffen herstellen können - sind nicht im Interesse Israels, und werden von Netanjahu, Ben G'vir & et al nicht geduldet werden und sofort zerstört, falls es denn je einen ernsthaften solchen Versuch geben sollte.

        • @ToSten23:

          Schön zu sehen, dass Sie nicht zu denjenigen gehören, die mit dem Argument, dass "alle" mitgemacht oder davon gewusst hätten, "allen" dann auch die Menschenrechte entzogen gehören! Ihre Position ist nicht weit von der meinigen entfernt: in einem Friedensprozess müssen Leitlinien für politische Beteiligung gesetzt werden, eine davon ist die Akzeptanz der Existenz Israels durch alle, die in einem palästinensischen Gemeinwesen in Zukunft Verantwortung übernehmen wollen. Das wird realistischerweise aber auf die Zukunft gerichtet sein müssen, nicht auf das Ausschließen von politischen Akteuren mit Hamas-Vergangenheit (abgesehen von der allerhöchsten Führungsriege, die wahrscheinlich eher im Exil als im Knast landen wird, sofern sie den Krieg überlebt). Unschön und oft ungerecht wird es sein.