Hamburger Härtefallkommission: Zu viele Abschiebungen abgenickt

Die Hamburger Härtefallkommission kann Abschiebungen verhindern. Das tut sie viel zu selten, denn sie ist selektiver aufgestellt als überall sonst.

Die Härtefallkommission sieht es oft anders als viele Wählerinnen und Wähler. Die wollen: „Bleiberecht für alle“ Foto: dpa/ Jörg Carstensen

Der Fall eines Hamburger Schülers, der trotz bester Integration abgeschoben werden sollte, erregte im Juli bundesweit Aufmerksamkeit. Das Gesicht von Joel A. prangte in allen großen Medien, eine Petition für sein Bleiberecht brachte es auf mehr als 100.000 Unterschriften. In ihrer nächsten Sitzung entschied die Härtefallkommission der Hamburgischen Bürgerschaft entgegen gerichtlicher Urteile, dass Joel bleiben darf.

Das ist eine gute Nachricht. Denn die Kommission ist das letzte Mittel, wenn alle rechtlichen Wege ausgeschöpft sind und eine Abschiebung droht. Die schlechte Nachricht ist: Bei der Mehrheit derjenigen, über deren Zukunft die Härtefallkommission entscheidet, geht es anders aus.

Jedes Jahr landen hier mindestens 25 Fälle. Nur etwa 40 Prozent davon werden zugunsten der Antragsteller beschieden, schätzt der Kommissionsvorsitzende Ekkehard Wysocki (SPD). Es ist trotzdem wichtig, dass es die Kommission gibt: Auch wenn sie nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, kann sie zumindest einige Fälle richten, in denen das deutsche Aufenthaltsrecht zu besonders ungerechten Ergebnissen führen würde.

Im Vergleich zu anderen Bundesländern sind die Regeln der Härtefallkommission in Hamburg jedoch besonders hart. Hier braucht es eine Dreiviertelmehrheit, um einen Härtefall anzuerkennen. Die Kommission ist außerdem die bundesweit kleinste. Sie besteht nur aus vier Abgeordneten, derzeit von SPD, Grünen, Linken und CDU. Überall sonst werden auch Vertreter von Sozialverbänden und Kirchen eingebunden. Man fragt sich: Wie entscheiden diese vier Menschen mit sicherem Aufenthaltsstatus über das Schicksal derer, die dieses Privileg nicht haben?

„Wir arbeiten ohne starre Richtlinien. Jeder Abgeordnete gewichtet die Aspekte unterschiedlich“, sagt Wysocki. „Beispielsweise die Deutschkenntnisse, Familiensituation, Krankheiten oder ob der Antragsteller von Sozialleistungen lebt.“ Faktisch bedeutet das, dass eine besondere Härte eher bei Personen anerkannt wird, die als besonders gut integriert gelten.

Die Betroffenen haben aber oft gar nicht die Möglichkeit, sich so zu integrieren, wie es die Kommission gern hätte. Denn wie sollen sie arbeiten gehen, wenn ihnen das gar nicht erlaubt ist? Wie deutsch lernen, wenn ihnen der Zugang zu Sprachkursen verweigert wird? Viele werden infolge von Kriminalisierung an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Sie haben kein soziales Netz, das dazu in der Lage wäre, eine Kampagne für sie zu organisieren.

Kriminalisierung verhindert Integration

Dabei ist die öffentliche Aufmerksamkeit, die Kampagnen wie die für Joel A. herstellen, ein weiterer Aspekt für die Entscheidung der Kommissionsmitglieder. „Ich kann ehrlich sagen, dass es mich beeinflusst, wenn über einen Fall sehr viel in den Medien berichtet wird oder wenn ich von anderen Abgeordneten und Wählern darauf angesprochen werde. Das war bei Joel A. der Fall“, sagt Wysocki. „Ich lasse mich davon aber niemals unter Druck setzen.“ Carola Ensslen, die für die Linke in der Hamburger Härtekommission sitzt, sagt: „Ich denke nicht, dass ohne den Druck der Öffentlichkeit so schnell positiv über den Fall von Joel A. beschieden worden wäre.“

Für Joel ist es gut ausgegangen. Doch es bleibt ein ungerechtes System für jene, die keine öffentliche Aufmerksamkeit und Sympathien bekommen. Zumal die Struktur der Härtefallkommission es nicht zulässt, Ungleichbehandlungen entgegenzuwirken. „Es wäre wichtig, dass die Mitglieder der Kommission regelmäßig für Diskriminierungen sensibilisiert werden“, sagt Ensslen. „Bisher gab es keinerlei Bemühungen in diese Richtung.“

Kommission muss diverser werden

Es täte es der Härtefallkommission in Hamburg gut, wenn Menschen sich einbringen könnten, die Migrationserfahrungen gemacht haben oder mit diesen Personen arbeiten und wissen, wie schwer es ist, sich trotz prekärem Aufenthaltsstatus in Deutschland durchzuschlagen. Sie brächten mit Sicherheit ein anderes Verständnis für die Mehrheit mit, die von der Kommission abgewiesen wird.

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