Berichten nur mit Bodyguard

Seit Jahren mehren sich Übergriffe auf Reporter:innen, in Thüringen fantasiert Björn Höcke vom Ende der Öffentlich-Rechtlichen. Wie geht es den Medien vor Ort? Und was können sie tun zum Schutz ihrer Leute?

Illustration: Paulina Eichhorn

Von Malene Gürgen
und Christian Jakob
(Text) und Paulina Eichhorn (Illustration)

Von der Regierungsmacht in Thüringen träumt der AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke seit Langem. Beim Landesparteitag in Pfiffelbach nahe Weimar verkündete er im April, was er denn genau zu tun gedenke im Falle des Falles. Unter den weißen Kronleuchtern des örtlichen Festsaals legte er sein Fünf-Punkte-„Sofortprogramm für Thüringen“ dar. Unter anderem versprach er, die Medienstaatsverträge zu kündigen. „Ja, das macht der Höcke“, rief er unter Applaus in den Saal.

Ju­ris­t:in­nen streiten bis heute, welche konkreten Folgen ein solcher Schritt für die Arbeitsfähigkeit des MDR in Thüringen wirklich hätte. Doch allein die Ankündigung ist eine Kriegserklärung. Dass die größte Oppositionspartei offen das Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks anstrebt, war hierzulande jahrzehntelang undenkbar.

Nach seiner Rede trat Höcke zum Chefredakteur des damals noch legalen rechstextremen Compact-Magazins,Jürgen Elsässer, ans Mikro und klagte über die „Entmenschlichung gerade meiner Person vor allem durch die etablierten Medien“. Die erreiche ein „Ausmaß, dass mir manchmal die Sprache fehlt“.

Die etablierten Medien als Feind ist eines der wichtigsten Wahlkampfthemen der AfD. Und je stärker es wird, desto mehr nehmen Angriffe auf Journa­lis­t:in­nen zu – durch die Partei selbst aber vor allem durch ein gesellschaftliches Klima, in dem Jour­na­lis­t:in­nen diskreditiert werden. Die AfD setzt dabei den Ton – und nicht selten ist es die Neonaziszene, die daraufhin zuschlägt.

Bekannt wurde etwa der Fall von Peter Hagen, einem Reporter der Ostthüringer Zeitung.Als der im November 2023 über eine AfD-Veranstaltung in Plothen berichtete, wurde er erst beschimpft und dann geschlagen. In seinen Autoreifen steckten Schrauben. Ein Jahr zuvor war Hagen von Thomas Weigelt, dem parteilosen Bürgermeister von Bad Lobenstein, auf dem Marktplatz der Stadt gewaltsam am Filmen gehindert und dabei verletzt worden. ­

Am 25. Januar dieses Jahres blockierten 500 Menschen das Landesfunkhaus in Erfurt: Angemeldet von zwei Handwerkern kamen die Protestierenden mit Lkws und Traktoren, ihr Feindbild: die „Lügenpresse“. „Von Redakteur bis Sprecher – alles Verbrecher“ stand auf ihren Transparenten gegen die „Medienhetze“. Die Demonstrierenden hatten Puppen in Sträflingskleidung mitgebracht, auf Schildern stand „schuldig“. Es war die erste Aktion dieser Art auf dem Höhepunkt der Bauernproteste zu Jahresbeginn. Die Bauernverbände distanzierten sich später. Doch der Tag zeigte, wie sich die Stimmung im Land gewandelt hat.

An jenem Morgen bekam Lucas Munzke, Gewerkschaftssekretär bei Verdi für Medien in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen, Anrufe aus dem Landesfunkhaus. „Ich hab Angst, hier rauszugehen“, hätten ihm Mitarbeiter gesagt. Die Polizei habe „vor Ort ein sehr achtsames Auge“ gehabt und so sei zum Glück nichts passiert. Doch Übergriffe gegen Jour­na­lis­t:in­nen seien in der Region ein „trauriger Normalzustand“, den Überblick zu behalten sei schwierig, sagt Munkze. Speziell in Sachsen gebe es seit den 2014 gestarteten Pegida-Demonstrationen eine „Zunahme an Medienkritik, die sich in Medienfeindlichkeit verwandelt“.

Zu spüren bekommen hat das auch Fabian Klaus. Der heute 38-Jährige fing mit 16 Jahren an, als Reporter zu arbeiten. Heute berichtet er für die Funke Mediengruppe, die drei Regionalzeitungen in Thüringen herausgibt.

Klaus ist keiner, der sich in den Vordergrund drängt, immer wieder weist er im Gespräch mit der taz darauf hin, dass andere Kollegen es noch schwerer hätten, etwa freie Journalisten oder die Menschen in den Lokalredaktionen. Doch auch wenn seine Erzählungen nüchtern daherkommen, haben sie es in sich. Zuletzt wurde er Opfer eines Angriffs bei einer AfD-Kundgebung Ende April 2023: Ein Demonstrationsteilnehmer ging auf Klaus los, der am Rand des Demonstrationszugs Fotos machte. Klaus’ Sicherheitsmann musste den Angriff abwehren. Im August soll der Vorfall vor Gericht verhandelt werden.

Eben weil es mittlerweile Standard sei, bei solchen Einsätzen von Security begleitet zu werden, seien es nicht diese Situationen, die ihm Sorge bereiteten, sagt Klaus. „Es ist eher so, dass ich mich im Privaten anders verhalte, dass ich nicht mehr unbedingt abends allein durch die Stadt laufe, zumindest nicht durch dunkle Straßen.“ Auch sein Umfeld habe das auf dem Schirm, sei oft besorgter als er selbst. Auch sonst treffe er Vorsichtsmaßnahmen: „Ich nehme lieber das Auto als den Zug zu Veranstaltungen, um schneller wegzukommen.“ Von seinem Arbeitgeber, der Funke-Mediengruppe, fühle er sich dabei sehr gut unterstützt: „Da gibt es eine Sensibilisierung und ein Bewusstsein bis in die höchsten Ebenen, und wirklich gute Angebote.“

Das European Centre for Press & Media Freedomin Leipzig verzeichnet seit Jahren einen steten Anstieg allgemeiner Übergriffe auf Medienschaffende in Deutschland. 2019 registrierte das ECPMF 15 solcher Übergriffe, 2021 waren es 172, in der ersten Hälfte dieses Jahres bereits 80.

Reporter ohne Grenzen(RSF) zählt nur Gewalttaten und kommt für 2023 auf einen Wert von 41 – mehr als dreimal so viele wie 2019. Am häufigsten seien im Jahr 2023 Tritte und Schläge, auch mit Gegenständen wie Fackeln oder Trommelklöppeln, gewesen. Als Angriff gewertet wurden diese, sofern sie Körper oder Aus­rüstung von Journalistinnen und Journalisten tat­sächlich getroffen haben. Medienschaffende wurden zu Boden gerissen, mit Sand und Steinen beworfen oder mit Fäkalien beschmiert.

Ein Großteil der Angriffe fand laut RSF in der verschwörungsideologischen oder extrem rechten Szene statt. Beide gehen seit der Veränderung der deutschen Protestkultur durch die Pandemie fließend ineinander über. Vereint seien sie „unter anderem durch ihren Hass auf die sogenannte Lügenpresse und ihre Kritik an demokratischen Prozessen“, so RSF.(taz)

Dass er im Fokus von Rechtsextremen steht, ist Fabian Klaus seit Jahren gewohnt. Immer wieder wird er beispielsweise vom Geraer Neonazi Christian Klar diffamiert, erst Anfang dieses Jahres wieder. Da lief Klar auf einer rechten Demonstration mit einem Schild herum, das ein Foto von Fabian Klaus in Sträflingskleidung zeigt, wie auch bei den Bauernprotesten mit der Aufschrift „schuldig“.

„Schon als ich 2002 in diesem Beruf angefangen habe, war ich meistens dort, wo etwas los war, und das waren eben oft auch rechtsextreme Veranstaltungen“, sagt Klaus. Etwa bei den Demonstrationen von Thorsten Heise, einem der bekanntesten militanten Neonazis Deutschlands, der nur ein paar Kilometer von Björn Höcke entfernt wohnt und mit ihm gut bekannt sein soll.

Doch seit den Jahren 2014/2015, dem Höhepunkt der Pegida-Bewegung, habe sich das politische Klima noch einmal deutlich verschärft. „Es gibt da eine zunehmende Verrohung, die bis in die Mitte der Gesellschaft reicht, es sind längst nicht mehr nur die klassischen Neonazis, die einem gefährlich werden können“, sagt Klaus. Auch die Pandemie habe hier wie ein Verstärker gewirkt: Bei den Protesten gegen die Maßnahmen spielten Rechtsextreme besonders im Osten oft eine zentrale Rolle. Es gelang ihnen, Menschen aus einem noch größeren Teil der Gesellschaft zu mobilisieren als bei Pegida.

Ganz ähnlich beschreibt es auch Jana Merkel. Die freie Journalistin arbeitet für die politischen Magazine des MDR und ist Host des ARD-Podcasts „Extrem rechts“. Merkel beobachtet die rechte Szene seit Jahren, und auch sie erkennt eine Veränderung, die vor etwa zehn Jahren begonnen habe. Nicht nur, was den Hass auf Jour­na­lis­t:in­nen angehe. „Früher habe ich gern erzählt, dass ich Journalistin bin, und dafür auch positive Reaktionen bekommen. Heute gibt es entweder Mitleid oder abfällige Bemerkungen.“

Vor allem aber habe sich verändert, von wem die Gefahr ausgehe. „Was jetzt anders ist, und was westdeutsche Kollegen vielleicht manchmal auch nicht nachvollziehen können, ist, dass es optisch nicht mehr erkennbar ist, wer einem gefährlich werden kann“, sagt sie. Auch Merkel spricht von einer zunehmenden „Verrohung“, von einer „Enthemmung“ bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. „Es sind nicht nur die klischeehaften Neonazis mit Springerstiefeln, sondern ganz durchschnittlich aussehende Menschen, von denen verbale Anfeindungen, teils sogar körperliche Übergriffe ausgehen.“

Journalist Fabian Klaus sah auf einer rechten Demo Fotos von sich in Sträflingskleidung, Aufschrift „schuldig“

Klemens Köhler von der Initiative Between The Lines, die in Sachsen ehrenamtlich Begleitschutz für freie Journalisten anbietet, beschreibt es so: „Das sind heute die Oma mit dem Fahrrad und der Opa mit dem Regenschirm, die keine ­Hemmungen haben, diese Sachen auch einzusetzen.“

Begonnen hatte die Initiative im Winter 2021/2022, als die Coronaproteste besonders stark waren. Verglichen damit sei es in diesem Wahljahr bisher noch einigermaßen ruhig. Doch „wenn die AfD die prognostizierten Gewinne einfährt, ist es wahrscheinlich, dass sich viele ihrer Anhänger zu Angriffen ermutigt fühlen werden“, sagt Köhler.

Aktuell kümmere sich bei Between The Lines ein Kern von etwa zehn Ehrenamtlichen um durchschnittlich zwei Begleitungen pro Woche. „Wir konzentrieren uns auf die freien Journalisten, weil die eben in der Regel nicht auf eine entsprechende Unterstützung durch den Arbeitgeber zurückgreifen können“, sagt Köhler.

Das ist bei Jana Merkel und ihren Kol­le­g:in­nen vom MDR anders, auch hier gehören Security-Teams mittlerweile dazu. „Leider schafft das auch Distanz zu den Menschen und erschwert Gespräche, aber ich verstehe, dass es nicht anders geht“, sagt Merkel. Sie habe selbst schon mehrere Situationen erlebt, die „ohne die beiden Schränke an meiner Seite wohl unangenehm geworden wären.“ Auch die gegenseitige Unterstützung in ihrem Team erlebe sie als sehr verlässlich und hilfreich, sagt sie.

Doch auch Merkel sieht noch Luft nach oben bei der Frage, wie betroffene Jour­na­lis­t:in­nen unterstützt werden könnten. Sie wünscht sich, dass alle öffentlich-rechtlichen Anstalten dem Schutzkodex für bedrohte Jour­na­lis­t:in­nen beitreten, der 2022 unter anderem von Reporter ohne Grenzen und der Deutschen Journalistinnen- und ­Journalistenunion initiiert wurde. Dieser sieht neben Personenschutz und juristischer Unterstützung auch psychologische Hilfe oder Fort­bildungen zum Umgang mit Hassnachrichten vor.

Jana Merkel vom MDR Foto: Martin Lutze

Was die Unterstützung durch ihren Arbeitgeber angeht, treibt Merkel derzeit vor allem ein Thema um, das nicht direkt im Zusammenhang mit der rechten Bedrohungslage steht, aber mittelbar dann doch:Im Mai verkündete der MDR ein Sparprogramm, das besonders die Redaktion „Politische Magazine und Reportagen“ betrifft, für die auch Merkel arbeitet und die sich durch investigative Recherchen auszeichnet. Es sei das „falsche Signal, weil das politische Geschehen in unserer Region eigentlich eine engmaschige hintergründige Berichterstattung braucht“, sagt Merkel. Das sei der Sender seinem Publikum schuldig. In einem offenen Brief hatten MDR-Mit­arbeiter:in­nen die Entscheidung kritisiert. Mehr als 500 Personen unterschrieben als Unterstützer:innen: darunter Jour­na­lis­t:in­nen anderer Medien, Menschen aus Wissenschaft, Kultur, Zivilgesellschaft und aus dem MDR-Publikum. „Diese breite Unterstützung hat mich wirklich wahnsinnig gefreut und gerührt“, sagt Merkel.

Die taz hat noch mit weiteren Mit­ar­bei­te­r:in­nen des MDR gesprochen, die von den Kürzungen betroffen sind. Sie berichten, dass sich die Entscheidung gerade in diesen Zeiten wie ein Schlag ins Gesicht anfühlt. „Man reißt sich den Arsch auf, wird ständig angefeindet und muss sich dann noch fragen, ob man sich ab Januar einen anderen Job suchen müssen wird“, beschreibt es eine Journalistin, die aus Sorge vor beruflichen Konsequenzen anonym bleiben möchte. Dass der investigative Journalismus gerade jetzt geschwächt werden solle, sei ein fatales Signal.

Die AfD bemüht sich unterdessen nach Kräften, unliebsamen Medien die Arbeit zu erschweren. Verdi-Sekretär Lucas Munzke erinnert daran, dass die Partei schon zu Beginn des Wahlkampfs das ARD-Magazin „Monitor“ wegen angeblicher „plumper Stimmungsmache“ von ihrem Landesparteitag im November in Pfiffelbach auszuschließen versucht habe. Der WDR zog gegen den Ausschluss allerdings erfolgreich vor Gericht.

Das Verwaltungsgericht Meiningen verurteilte im Juni den bundesweit ersten AfD-Landrat, Robert Sesselmann, dazu, dem Spiegel15 Fragen zu beantworten. Sesselmann hatte dies zuvor verweigert. „Die Stratgie der AfD ist: Infos bekommen nur die Journalisten, die sie mag“, sagt Munzke. Das habe eine andere Qualität als die übliche Mauerei einiger Pressesprecher. Die zur Pressefreiheit gehörende Auskunftspflicht der Behörden würde „stark infrage gestellt, wenn die AfD an die Macht kommt“, glaubt Munzke.

Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier in diesem Jahr auf dem Spiel steht.

Eine Regierungsbeteiligung der AfD in einem Bundesland ist derzeit zwar unrealistisch. Doch der aus dem Grundgesetz abgeleitete Auskunftsanspruch ist in den Landespressegesetzen verankert. Und die können die Landesparlamente in gewissem Umfang ändern.

Schon heute aber hätten die Feindseligkeiten der AfD und ihrer An­hän­ge­r:in­nen konkrete Folgen für Medienschaffende – vor allem im ländlichen Raum. „Da sind die Kollegen oft komplett ungeschützt und unter Umständen allein. Das ist dann eine Steilvorlage für Demonstrierende, um ihre Wut auf Jour­na­lis­t:in­nen auszuleben.“

Da wäre zum Beispiel der Angriff auf zwei junge Jour­na­lis­t:in­nen des Portals Vue Critique am 13. Februar 2022. Während eines rechtsextremen Coronaprotests habe es eine regelrechte Hetzjagd von Neonazis auf die beiden gegeben. Auf Videos von dem Tag ist zu erkennen, wie Angreifende Sätze rufen wie: „Ihr Schwuchteln, du bist tot, Junge, wenn ich dich in die Finger kriege.“ In sozialen Netzwerken berichteten Journa­lis­t:in­nen aus der Region unter dem Hashtag #ausgebranntepresse damals über ähnliche Erfahrungen.

„Die Landesregierung zeigt sich problembewusst und kooperativ“, sagt Munzke. Wer von Kundgebungen berichtet, könne sich heute vorab bei den örtlichen Polizeidirektionen melden. Mehrere Beamte würden dann als Begleitschutz für ei­ne:n einzelne:n Jour­na­lis­t:in abgestellt. „Die sind dann dauerhaft um einen herum“, sagt Munzke. „Das bringt schon wirklich was.“ Die Berichterstattung erleichtern dürfte es aber nur bedingt. Und in Anspruch nehmen können diesen Schutz in der Regel nur Hauptamtliche mit Presseausweis. Wer nebenberuflich unterwegs ist, bleibt auf sich allein gestellt.

Studien zeigen: Viele Medienschaffendemeiden Themen und Orte aus Sorge vor Anfeindungen

Von „Angst vor der Selbstzensur“ spricht Munzke deshalb – den Effekt würden auch Studien mittlerweile zeigen: das Meiden bestimmter Themen oder Orte aus Sorge vor Angriffen. Und je stärker die AfD den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zurückdrängen vermöge, „desto mehr blinde Flecken gibt es im ländlichen Raum“.

Diese Sorge teilt Sebastian Haak. Der freie Journalist ist Mitglied im Vorstand der Thüringer Landespressekonferenz. Auch er beobachtet seit Jahren Attacken bei Kundgebungen. In solchen Situationen seien Angreifer teils „enthemmt und die Polizei ist oft überfordert, da ist es relativ simpel, mal auszuholen. Gelegenheit macht Diebe“, sagt Haak.

Die Ereignisse im Jahr 2015 seien der Katalysator gewesen. „Erst ging es um die Flüchtlinge, dann Covid, dann die Ukraine, dann das Klima. Die Themen sind austauschbar“, sagt Haak. Er würde nicht sagen, dass die Gewalt schlimmer geworden ist. Das Level an körperlicher Gewalt sei relativ konstant und in der Regel auf das Umfeld von Kundgebungen beschränkt. „Soweit ich weiß, gab es in Thüringen bisher nichts vor einem Privathaus oder so.“ Allerdings seien Nazikundgebungen in der Vergangenheit teils bewusst an Redaktionsräumen vorbeigezogen.

Fabian Klaus schreibt für Funke Foto: Fo­to: Fun­ke­me­di­en

Doch das sei nur eine Ebene des Problems. Eine andere sei das Netz. „Auf Facebook gibt es ein permanentes Bashing etablierter Medien, da sind Hass und Hetze allgegenwärtig.“ Im Frühsommer etwa habe es nach seiner Berichterstattung über ein AfD-Bundestreffen in Suhl eine Fotocollage von ihm bei Facebook gegeben. In Anlehnung an die Werbung eines Dating-Portals habe darunter gestanden: „Alle 11 Minuten verliebt sich ein Mainstream-Journalist in Regierungsgeld.“ Die Behauptung, Journalisten seien käuflich, sei weit verbreitet, sagt Haak. „Das ist seit Jahren Standard“, sagt er. Es sei ein „schleichendes Gift, das permanent in kleinen Dosen“ verabreicht werde. Ein Beispiel sei Höcke, der sich von dem Begriff „Lügenpresse“ distanziert habe und gleichzeitig erkläre, er sage höchstens mal „Lückenpresse“.

Früher hätten viele Printmedien den Anspruch gehabt, für jeden zu schreiben: „Den Fliesenleger, den Azubi, den Arbeitslosen und die Oma. Jeder konnte sich was aus der Zeitung raussuchen. Damals war alles noch nicht so polarisiert, da hat das funktioniert.“

Doch der rechtsextreme Dauerbeschuss und die Diskreditierung etablierter Medien hätten heute klar sichtbare Folgen, sagt Haak. Bei vielen Regionalzeitungen würden etwa in Lokalredaktionen nach wie vor Journalisten gesucht. „Auf manche dieser Stellen bewirbt sich aber genau gar keiner mehr.“ Früher hätte es auf einen solchen Posten 15 Bewerbungen aus ganz Deutschland gegeben. „Das war attraktiv, das Image war anders.“

Verdi-Sektretär Lucas Munzke Foto: Fo­to: Ar­che­oPix

Und zumindest ein Teil der Leser, der Zuschauer, der Hörer, der Nutzer ticke eben auch so, wie die AfD das gern hätte. Für viele Redaktionen stelle sich deshalb natürlich auch die Frage, wie Wahlberichterstattung möglich sei, ohne einem nicht kleinen Teil des eigenen Medienpublikums ständig vor das Schienbein zu treten. „Da gibt es eine permanente Diskussion.“

Obwohl völlig klar sei, dass in Sachsen, Brandenburg und Thüringen „das Licht ausgeht“, wenn nicht in großer Zahl ausländische Fachkräfte kämen, sei es „fast unmöglich, in einem Text zu schrei­ben, dass wir den Zuzug von Ausländern brauchen, ohne dass jemand sagt, das sei ‚linksextreme Hetze‘.“ Zu Artikeln über die von Correctiv enthüllte „Remigrations-Konferenz“ in Potsdam im vergangenen November klagten Leser:innen, dies sei „tendenziös“ oder „Bashing“.

„In Zeiten, in denen Printauflagen im Sinkflug sind, ist das ein riesengroßes Problem“, sagt Sebastian Haak. Hier schlage die Zeitungskrise voll durch. „Für einige Zeitungen ist es fünf nach zwölf. Dabei sind die ein ganz prägender Teil der Medienlandschaft.“ In Thüringen verzeichnen die verbleibenden Tageszeitungsverlage teils ein Auflagenminus von 5 Prozent pro Quartal. Seit rund einem Jahrzehnt werde über öffentlich finanzierte Stiftungen diskutiert, um Medien zu unterstützen. „Aber nichts ist passiert.“

Journalist Sebastian Haak Foto: Fo­to: Michael Reichel

Wenn Le­se­r:in­nen sich abwenden, öffne dies Räume für alternative Medien mit prorussischer und rechtsextremer Propaganda. In der Fläche gebe es viele kostenlose Anzeigeblätter „auf teils unterstem Niveau“, sagt Haak: „Da ist dann von ‚Meinungsdiktatur‘ die Rede und davon, dass die Ausländer uns die Frauen wegnehmen und uns abstechen.“

Haak hält das Wegbrechen des ökonomischen Unterbaus der privaten Medienlandschaft in Deutschland für deren größtes Problem. „Gegen Forderungen nach Unterlassungserklärung können wir uns juristisch wehren, wir können Sicherheitsdienste gegen Gewalt einstellen.“

Doch dagegen, dass die Le­se­r:in­nen sich von prodemokratischer Berichterstattung abwenden, „dagegen können wir uns nicht wirklich wehren“, sagt Haak. Das ist viel gefährlicher als ‚Ich hau dir auf die Nase oder schlag‘ dir die Kamera weg.‘“

Dieser Bericht ist Teil des Rechercheprojekts „Decoding the disinformation playbook of populism in Europe“, das vom International Press Institute in Wien geleitet und in Zusammenarbeit mit Faktograf und taz durchgeführt wird. Das Projekt wird von dem European Media and Information Fund finanziell unterstützt, der von der Calouste-Gulbenkian-Stiftung verwaltet wird