BGH hebt Urteil gegen Neonazis auf: Fretterode-Prozess neu aufgerollt

Zwei Journalisten wurden 2018 von Neonazis angegriffen. Der Bundesgerichtshof hob nun das Urteil wegen Mängel der Beweisführung auf.

Zwei Personen mit geblurrten Gesichtern.

Die zwei Angeklagten im Landgericht Mühlhausen 2022 Foto: Silvio Dietzel

Das sogenannte Fretterode-Verfahren gegen zwei Neonazis wegen des gewalttätigen Angriffs auf zwei Göttinger Journalisten geht in eine neue Runde. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob ein Urteil des Landgerichts Mühlhausen wegen erheblicher Mängel in der Beweisführung auf und gab damit dem Revisionsbegehren der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage statt. Die Revision eines der Beschuldigten wies der BGH hingegen zurück. Der Prozess wird nun vor einer anderen Kammer des Landgerichts neu aufgerollt.

Ende April 2018 waren der Fotograf und sein Begleiter aus Göttingen mit dem Auto ins rund 30 Kilometer entfernte thüringische Dorf Fretterode gefahren, wo der Neonazi-Funktionär und stellvertretende NPD (heute: „Die Heimat“)-Bundesvorsitzende Thorsten Heise auf einem ehemaligen Gutshof wohnt. Die Medienleute fotografierten das Anwesen – und wurden dabei von Rechtsextremisten entdeckt.

Als sie sich mit ihrem Auto zurückziehen wollten, wurden die Journalisten von zwei Neonazis – Gianluca B. und Nordulf H. – mit einem schwarzen BMW verfolgt. Es kam zu einer wilden Hetzjagd über eine Landstraße sowie durch die Dörfer Fretterode und Germershausen.

Am Ortseingang von Hohengandern, knapp vor der thüringisch-niedersächsischen Landesgrenze, wurden die Journalisten eingeholt. Nachdem das verfolgte Fahrzeug in einem Graben zum Stehen kam, attackierten die Neonazis zunächst das Auto und anschließend die Insassen mit einem Baseballschläger, einem Messer, einem Schraubenschlüssel und Pfefferspray.

Schwere Verletzungen

Der Fotograf erlitt eine Stichverletzung mit einem Messer im Oberschenkel, der andere Journalist erhielt mit dem schweren Schraubenschlüssel einen Schlag auf den Kopf, er erlitt eine Fraktur des frontalen Schädelknochens und eine Kopfplatzwunde. Die Scheiben des Fahrzeuges wurden zerstört, die hinteren Reifen zerstochen, die Angreifer raubten zudem die Kamera und die Kameratasche des Fotografen.

Der Fotograf konnte noch aus dem eigenen Fahrzeug heraus Bilder von einem der Täter machen, die SD-Karte mit diesen Aufnahmen gelangte nicht in den Besitz der Neonazis und wurde den Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt.

Im September 2022 verurteilte das Landgericht Mühlhausen Gianluca B. und Nordulf H. zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr beziehungsweise zu einer Auflage von 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit nach Jugendstrafrecht. Die Anwälte der als Nebenkläger auftretenden Journalisten hatten eine Verurteilung auch wegen schweren Raubes mit deutlich höheren Strafen und insbesondere die Berücksichtigung der neonazistischen Beweggründe bei der Strafzumessung gefordert.

Die Verurteilung wegen schweren Raubes verweigerte das Landgericht jedoch, weil es die Aussagen der Journalisten in Zweifel zog und den Neonazis mehr Glauben schenkte, die den Raub und weite Teile des Tatgeschehens insgesamt bestritten. Auch neonazistische Beweggründe der Täter wollte das Landgericht nicht erkannt haben.

Tradition von milden Strafen

Zahlreiche, nicht nur antifaschistische Initiativen übten scharfe Kritik an dem Urteil und der Begründung. Vertreter der rot-rot-grünen Regierungskoalition in Thüringen, aber auch Mitglieder von Bündnissen gegen Rechtsextremismus sowie von Journalistenverbänden sprachen von einem „Skandalurteil“, das ein völlig falsches Signal sende.

Nebenklage-Anwalt Rasmus Kahlen und sein Mandant legten Rechtsmittel ein, „um eine Neuverhandlung und damit eine Chance auf eine angemessene Würdigung der durch die Angeklagten begangenen Taten zu erreichen“. Das Urteil des Landgerichts reihe sich ein „in eine Tradition von milden Strafen gegen Neonazis“.

Daraufhin hat der BGH nun die Beweiswürdigung des Landgerichts Mühlhausen für fehlerhaft erklärt. Es fehle an einer Gesamtwürdigung aller Indizien hinsichtlich des Raubes der Kamera – auch des Tatmotivs, heißt es zur Begründung. Zudem habe das Landgericht in der Beweiswürdigung nicht den Verbleib der Kamera erörtert. Eine andere Kammer des Landgerichts Mühlhausen muss die Beweisaufnahme neu vornehmen, ein Termin dafür steht noch nicht fest.

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