piwik no script img

Pro-Palästina-Demos in JordanienMassenhaft in Haft ​

Jordanien hat im Zusammenhang mit Palästina-Demos Hunderte Menschen festgenommen. Auch andere arabische Länder unterdrücken Proteste.

Nach propalästinensische Protesten in Amman landeten Hunderte Menschen innerhalb von wenigen Tagen in Haft Foto: Jehad Shelbak/reuters

Amman taz | Es waren Tweets über propalästinensische Proteste, die Chair al-Dschabri hinter Gitter brachten. Eine Kritik am Vorgehen der Polizei, die Tränengas auf die Protestierenden schoss, sagt er. Eine Gefahr für den sozialen Frieden und eine Beleidigung der Institutionen, fand offenbar die jordanische Justiz.

Al-Dschabri ist ein jordanischer Journalist, er arbeitet für die türkische Nachrichtenwebseite Arabic Post. Schauplatz der Kontroverse ist die jordanische Hauptstadt Amman, in der seit Beginn des Gaza-Kriegs jede Woche Menschen auf die Straße gehen. Sie protestieren gegen den Krieg, gegen Israel und all diejenigen, die es unterstützen.

Ende März eskalierte die Lage. Gruppen von Demonstrierenden marschierten in Richtung der schwer bewachten israelischen Botschaft, die Polizei setzte Tränengas und Schlagstöcke ein. Hunderte Menschen landeten innerhalb von wenigen Tagen in Haft.

Als al-Dschabri vom Protest nach Hause kam und seine Tweets in die Welt setzte, ahnte er nichts. Erst zwei Tage später zitierte ihn die Polizei aufs Revier. Er wurde festgenommen und von der Cybercrime-Einheit verhört, erzählt er der taz. Dann wurde er zur Staatsanwaltschaft gebracht und auf Grundlage eines neuen, umstrittenen Cybercrime-Gesetzes angeklagt. Fünf Tage lang blieb er in einer überfüllten Zelle des Marka-Gefängnisses, bevor er am 30. März auf Kaution freikam.

Momentan wartet der 34-Jährige auf sein Verfahren. Die Kurznachrichten sind zwar nicht mehr online, doch die Klage bleibt. „Die Haftzustände waren unmenschlich, ich wurde zusammen mit Verbrechern, Mördern und Dieben eingesperrt“, erinnert er sich. „Aber wir sind keine Verbrecher und auch keine Verräter unserer Heimatländer.“

Machtmissbrauch durch Verwaltungshaft

Al-Dschabri ist einer von etwa 1.500 Menschen, die in Jordanien laut Amnesty International seit Oktober in Verbindung mit den Protesten festgenommen wurden. 500 sollen allein seit März in Haft gelandet sein. Mehrere sind wieder freigekommen, andere bleiben in Haft.

So wie Atija Abu Salem, syrischer Geflüchteter und Medien-Student, der nach Angaben seines Anwalts am 9. April unterwegs war, um einen propalästinensischen Protest nahe der israelischen Botschaft zu filmen. Sicherheitskräfte nahmen ihn und seinen Kommilitonen fest. Jetzt droht ihm die Abschiebung nach Syrien. Dabei sei noch keine offizielle Anklage erhoben worden, unterstreicht sein Anwalt.

Eine entsprechende Anfrage an die jordanischen Behörden blieb unbeantwortet, Amnesty International bestätigt jedoch in jüngsten Berichten die Schilderungen der zwei Fälle. Ende März hatte die jordanische Polizei in einer öffentlichen Mitteilung geschrieben, die Sicherheitskräfte hätten bei den Protesten „äußerste Zurückhaltung“ gezeigt, seien aber wegen Angriffen und Rechtsverletzungen verschiedener Art gezwungen worden, Menschen zu verhaften. Sie postete ebenfalls Videos von brennendem Müll in den Gassen des palästinensischen Flüchtlingslagers Baqa’a in Nord-Amman.

Doch Menschenrechtsvereine schlagen Alarm. „Was wir sehen und uns Sorgen macht, ist die Nutzung eines bekanntlich repressiven Cybercrime-Gesetzes, um Menschen zu überführen, die ihr Recht auf freie Meinung ausüben“, sagt Hiba Zayadin, Rechercheurin bei Human Rights Watch, „sowie der Machtmissbrauch durch Gouverneure und andere Funktionäre, die die Verwaltungshaft ausnutzen.“

Dabei spielt Zayadin auf Fälle an, in denen Festgenommene von Rich­te­r*in­nen oder Staatsanwaltschaft freigelassen wurden – nur um kurze Zeit später auf Anordnung des Gouverneurs wieder verhaftet zu werden.

Ähnlich drückt sich Amnesty International aus. Solche Fälle zeigten eine „flagrante Verletzung des Rechts auf faire Verfahren“, schreibt die Mitarbeiterin Reina Wehbi. Die jordanische Anwaltskammer hatte bereits im März eine Hotline eingerichtet, an die sich inhaftierte De­mons­tran­t*in­nen wenden können, um sich kostenfrei verteidigen zu lassen.

Festnahmen auch in anderen arabischen Ländern

Seit Beginn des Gaza-Kriegs befindet sich Jordanien in einer komplizierten Lage, politisch wie geografisch. Eingebettet zwischen Israel, Syrien, dem Irak und Saudi-Arabien in einem ressourcenarmen, doch konfliktreichen Gebiet, ist das Land von Kooperationen mit Israel und dem Westen abhängig.

Gleichzeitig hat ein erheblicher Teil seiner Bevölkerung palästinensische Vorfahren, Palästina ist hier ein besonders emotional aufgeladener Begriff. De­mons­tran­t*in­nen kritisieren die Abkommen mit Israel – und damit auch mehr oder weniger offenkundig das Handeln der Regierung. Die Angst ist offenbar groß, dass die Protestwellen ausufern könnten.

Doch das Königreich ist nicht das einzige arabische Land, das eine eventuelle Eskalation der Proteste in Atem hält. In Ägypten sind seit Oktober mehrere Dutzend Protestierende vorläufig in Haft gelandet, nachdem Parolen gegen die Regierung gefallen waren.

In Marokko hat ein Gericht einen propalästinensischen Aktivisten kürzlich zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wegen eines Online-Posts, in dem er die politische Normalisierung zwischen seinem Land und Israel kritisierte.

Saudi-Arabien hat laut der US-Nachrichtenagentur Bloomberg ebenfalls mehrere Menschen wegen israelkritischer Online-Posts verhaftet. Und im Golfstaat Bahrain haben Bereitschaftseinheiten der Polizei die Proteste bereits Ende Oktober aufgelöst.

„Arabische Regierungen haben prinzipiell nichts dagegen, dass ihre Bevölkerungen gegen Israels Politik protestieren“, erläutert Nahost-Experte Joost Hiltermann. „Aber sie wollen die Proteste im Zaum halten, damit diese nicht anfangen, die autoritären Machthaber selbst zum Ziel zu machen.“ Die Menschen hätten schließlich zu Hause ebenso einiges, worüber sie sich beschweren könnten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • Käptn Blaubär , Moderator*in

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • "Auch andere arabische Länder unterdrücken Proteste.".....und das ist auch gut so . Diese Länder wollen einen Flächenbrand verhindern , den die "Palästinenser( Hamas / Hisbollah / PLO)" gerne entfachen würden. ... und den Schwarzen September schon vergessen ?

  • Ich habe etliche Jahre in der Region gearbeitet und das Muster ist sehr ähnlich. In Jordanien findet sich keine freie Presse, es gibt das Jubelfernsehen für den König und der Rest läuft über Social Media. Es gehört zur National-Folklore, dass Israel der Gegner sei und antisemitische Stereotype werden gefördert, aber gleichzeitig weiß man, dass man sehr froh um den Frieden mit Israel ist und will diesen nicht wirklich riskieren. Daher werden die Proteste im Land zwar zugelassen, aber sobald es sich zuspitzt, greift die Polizei ein. Diese ist, wie das Militär, sehr penibel nicht mit Palästinensern besetzt - zu sehr erinnert man sich an die Putschversuche der PLO und deren Mordanschläge. Ähnliches Muster übrigens auch in Ägypten und sogar im Libanon, wo ich aber seit einigen Jahren nicht mehr war - und auch alle anderen UN'ler nicht. Die sitzen alle auch hier in Jordanien und schreiben von dort ihre Berichte, die auf den Infos beruhen, die sie von den (Hisbollah-)Mittelsmännern bekommen.

    Fun fact: Ich habe noch in keinem Amtszimmer in Jordanien eine Karte gesehen, auf der Israel eingezeichnet gewesen ist. Dafür bekommt man - ob man es will oder nicht - immer die drei Bilder der männlichen Königsfamilie ins Büro gehängt.

  • Die Hamas wollte mit dem 7. Oktober vermutlich einen Flächenbrand auslösen. Die arabischen Nachbarstaaten wollen das verhindern. Etwas kurz gegriffen zu unterstellen, es ginge den Machthabern alleine um den persönlichen Machterhalt. Niemand sollte ein Interesse an weiteren failed states haben.

    • @Ralph Bohr:

      Natürlich geht es den Despoten in erster Linie um die eigene Haut und die eigene Macht.

      Stabilität und" Ruhe" sind dafür notwendig.

      Die eigene Bevölkerung interessiert die Machthaber reichlich wenig.

      Auch eine Diktatur ist besser als ein failed state, das stimmt wohl...aber ist der ewige Fortbestand der Terrorregime wirklich alternativlos?

  • „Arabische Regierungen haben prinzipiell nichts dagegen, dass ihre Bevölkerungen gegen Israels Politik protestieren“, erläutert Nahost-Experte Joost Hiltermann. „Aber sie wollen die Proteste im Zaum halten, damit diese nicht anfangen, die autoritären Machthaber selbst zum Ziel zu machen.“

    Die Geister die sie riefen. Das Ganze zeigt sehr schön die Verlogenheit vieler arabischer Staaten. Israel in die Ecke stellen gerne, aber wirklich was für die Palästinenser tun dann doch lieber nicht. Wobei Jordanien hier als rühmliche Ausnahme in der Region gelten muss, ist es doch das einzige Land, dass Palästinensische Flüchtlinge aufgenommen und zu Bürgern gemacht hat. Die anderen ziehen es vor sie sich noch im 4. und 5. Generation im Flüchtlingsstatus zu belassen und lieber mit anti-israelischer Propaganda und falschen Hoffnungen zu nähren.

    • @Fran Zose:

      Meine absolute Zustimmung, insbesondere im Hinblick auf Jordanien, das als einziges arabisches Land einen konstruktiven Beitrag zur Bewältigung des Palästina-Problems geliefert hat.

      Hätten die anderen sich ebenso verhalten, gäbe es dieses Problem längst nicht mehr. Oder hat hier in Deutschland in letzter Zeit noch jemand was von Ostpreußen gehört, die unbedingt auf Dauer zurück nach Königsberg wollen? Ich nicht.

  • Gleiches Recht für alle, Völkerrecht, Menschenrecht, wie vom Westen im Munde geführt:



    Wie kann man das Palästinensern verweigern? Oder natürlich auch anderen?

    Netanyahus Taten da gerade zu decken, kann man machen, muss man aber nicht.



    Es ist dringend Zeit für entweder einen fairen einen Staat oder zwei lebensfähige nach den UN-Beschlüssen.

    • @Janix:

      Wäre es an dieser Stelle nicht eher angemessen, von arabischen Staaten wie Jordanien die Einhaltung von Menschenrechten einzufordern, statt sofort wieder auf Israel zu rekurrieren oder „den Westen“ zu mahnen? Schließlich ging es im Artikel um Jordanien…

      • @Karla Columna:

        Hatten Sie meinen Post in Ruhe und konzentriert gelesen? Tun Sie es jetzt noch einmal.



        Ich rede von universal und benenne, dass dies nicht nur Palästina oder Israel bedeutet.



        Bitte lenken Sie sich selbst nicht ab.

  • Es ist doch gut, daß in unseren westlichen Demokratien pro palästinensische Demonstrationen noch ungehindert ablaufen können, ohne das jemand verhaftet wird oder die Polizei eingreift - gelle?

    PS: Das war: Sarkasmus

    • @Semon:

      Sie können sich ihren „Sarkasmus“ wie es nennen sparen. Selbstverständlich dürfen Sie bei uns pro-palästinensische Demonstrationen abhalten und auch ihre Trauer für die Toten in Gaza zum Ausdruck bringen. Wen Sie anders implizieren wollen, dann behaupten Sie die Unwahrheit.

      Was Sie nicht dürfen ist zu Gewalt aufrufen, Gewalt verherrlichen und gegen Juden und den Staat Israel das Existenzrecht absprechen. Leider sind eben viele Demonstrationen nicht pro-palästinensisch sondern eben anti-israelisch und anti-semitisch und es kommt dort immer wieder zu den anfangs aufgeführten Dingen.

      • @Fran Zose:

        Bei Gewaltaufrufen bin ich ganz bei Ihnen.

        Nur...

        Es wurden auch Veranstaltungen ohne sträfliche Äusserungen unterbunden. Es wurden gar unbegründete Betätigungsverbote gegen Politiker verhängt... Das ist leider auch absolut keine korrekte Vorgehensweise in einem Rechtsstaat.

      • @Fran Zose:

        Es kam effektiv zu Fällen, indenen Demonstranten von Polizisten unprovoziert verprügelt wurden.

        Weiterhin hat niemand zu Gewalt aufgerufen. Der Begriff Intifada ist schlichtweg das Arabische Wort für Aufstand. In der Geschichte gab es viele Intifada die Europa unterstützt hat, sowie Jüdische Intifadas.

        • @Jessica Blucher:

          "Weiterhin hat niemand zu Gewalt aufgerufen. Der Begriff Intifada ist schlichtweg das Arabische Wort für Aufstand."



          Sorry, der Versuch, die Leserschaft für dumm zu verkaufen klappt nicht. Viele Leser:innen erinnern sich, was Intifada in den frühen 2000ern bedeutete. Selbstmordanschläge bei den hunderte von Juden ermordet wurden. Frauen, Kinder, Männer an Bushaltestellen o.ä. Also wenn zur Intifada aufgerufen wird, dann ist das ein Aufruf zur Gewalt.

          • @Gesunder Menschenverstand:

            Seit 20 Jahren ist Intifada nicht "nur" ein Wort für Aufstand, es hat Kontext. Übrigens wäre "Abschütteln" eher korrekt, als Aufstand, letzteres hat Bedeutung und ist nicht wörtlich. Wer aber Bedeutung auflädt muss den Kontext den @Gesunder Menschenverstand schrieb hinnehmen und kann nicht so tun, als stünden Slogans nur allein für sich.

            Sowohl bei "Intifada" wäre es möglich, dass anzupassen und ein anderes Wort zu finden, aber dann wäre die Nähe zu Hamas Sympathien schwerer zu implizieren. "Globalize Intifada" hat übrigens mehr Bedeutungen als gegen Israel und antisemitisch zu sein. Schlimmere Bedeutungen.

            "From the River to the Sea" is ebenfalls so vereinnahmt, dass sich davon abgegrenzt werden muss. Das ist einfach, durch zufügen z.B. mit "democratic states with equality". Oder universalistischer. Jedenfalls impliziert hier "demoractic" eine Alternative zur Hamas, Menschenrechte und Universalismus.

            Ich bin sicher, dass millionen Menschen innerhalb von den letzten 20 Jahren auf bessere Slogans kommen können, als ich am Frühstückstisch.

  • Vielleicht denken die Jordanier auch einfach an den Ärger im „Schwarzen September“? Könnte ja mal sein.

  • Offensichtlich ist der jordanischen Politik der Ausgleich mit Israel wichtiger, als der Furor der "arabischen Straße".

    So kann's gehen.

    • @Jim Hawkins:

      Eine Spur zu abstrakt der Kommentar. Wie wäre es "die Politik" nicht als einen Begriff, sondern etwas konkreter: als Abdullah, el-Sisi und MBS zu denken?Wahrlich, drei Glücksfälle für den Westen schlechthin!



      Ja, so kann's gehen - und so geht es auch in der Regel.

      • @whatabout...? :

        Von mir aus.

    • @Jim Hawkins:

      Es handelt sich hierbei eher um einen Ausdruck repressiver Gewalt, die sich gegen die freien Meinungsäußerungen der Mehrheitsgesellschaft richtet. Der größte Teil der jordanischen Bevölkerung, ähnlich wie die Mehrheit der Weltbevölkerung, spricht sich gegen Krieg und Zerstörung aus.

      • @redpalestino:

        Natürlich ist das repressiv, hatte ich das bestritten?

        Waren diese Proteste eigentlich auch gegen den Terror der Hamas gerichtet?

        Und was denkt die Mehrheit der Weltbevölkerung darüber?

  • Entweder bin ich zu naiv oder ich habe die letzten Jahre im Koma verbracht. Aber dieser Artikel zu den israelfreundlichen Einstellungen einiger arabischer Staate überrascht mich doch, und stimnt natürlich positiv.

    • @Klaus Waldhans:

      Die meisten Arabischen Staaten haben Friedensverträge mit Israel geschlossen.



      Der Narrativ dass Israel von allen Seiten gehasst und bedroht wird, ist demnach nicht ganz korrekt.