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Pläne für Gazastreifen nach dem KriegWer füllt das Machtvakuum?

Im Schifa-Krankenhaus gehen die Kämpfe weiter. Derweil kursieren Pläne, wie eine Nachkriegsordnung im Gazastreifen aussehen könnte.

Rauch steigt über dem Al-Schifa-Krankenhaus auf nach einem Luftschlag Foto: Dawoud Abu Alkas/reuters

Berlin taz | Die von Israel angekündigte Offensive auf Rafah lässt auf sich warten. Im Norden von Gaza zeigt sich unterdessen, dass jegliches Machtvakuum von Hamas-Kämpfern gefüllt wird. Monate nachdem Israels Armee das von der Hamas genutzte Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt unter Kontrolle brachte, hat sie erneut einen Großeinsatz auf dem Komplex gestartet. „Seit Beginn des Einsatzes wurden mehr als 140 Terroristen im Bereich des Krankenhauses eliminiert“, erklärte die Armee am Donnerstag. Auch die Hamas sprach davon, israelische Soldaten getötet zu haben. Die Gefechte dauerten am Donnerstag den vierten Tag in Folge an.

Der neuerliche Einsatz auf dem Gelände legt eine zentrale Herausforderung für die israelische Armee offen: Die Truppen sind zwar erfolgreich vorgerückt, doch offenbar nutzen Hamas-Kämpfer jede Chance, um sich neu aufzustellen. Entweder müsste die israelische Armee große Gebiete dauerhaft halten oder es bräuchte andere Kräfte, die eine Rückeroberung und ein Wiedererstarken der Hamas verhindern. Diese gibt es aber auch deshalb nicht, weil es keinen Plan gibt, was nach dem Krieg eigentlich passieren soll. Konkret: wer die Zivilverwaltung in Gaza übernimmt und wer für öffentliche Ordnung sorgt.

Hinter den Kulissen wird jedoch an genau diesen Fragen gearbeitet. Israel, die USA und diverse arabische Staaten überlegen verschiedenen Medienberichten zufolge, wie im Gazastreifen Kräfte aufgebaut werden können, denen zunächst begrenzt Sicherheitsaufgaben übertragen werden können, aktuell vor allem die Absicherung von humanitären Hilfslieferungen. Ein zentrales Problem von Hilfsorganisationen ist seit Monaten der Transport und die geregelte Verteilung von Hilfsgütern, da in Teilen Gazas Anarchie herrscht. Immer wieder werden Lkw überfallen und kommt es bei der Güter-Verteilung zu Massenansammlungen, die von niemandem kontrolliert werden können.

Das Wall Street Journal berichtet, dass in israelischen Sicherheitskreisen im Geheimen an einem Plan zur Verteilung von Hilfsgütern durch Palästinenser gearbeitet wird, die keine Verbindungen zur Hamas haben. Die Zeitung beruft sich auf israelische und arabische Quellen. Die Idee sei, unbelastete palästinensische „Führungskräfte und Geschäftsleute“ für die Absicherung der Hilfsgüter zu gewinnen, die künftig auch über einen Seekorridor direkt nach Nordgaza gelangen sollen.

Grundlage für eine neue Regierungsbehörde

Israel habe darüber mit Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Jordanien gesprochen. Möglicherweise würden Zivilisten im Süden dann aufgefordert, in den Norden zu gehen, was wiederum eine Offensive auf Rafah ermöglichen würde.

Mittelfristig könnte der Plan die Grundlage schaffen für eine neue Regierungsbehörde, die den Küstenstreifen verwaltet und für öffentliche Ordnung sorgt – also das Machtvakuum füllt, das durch die Ausschaltung der Hamas entsteht. Israel dürfte sich in einem solchen Prozess die operative Handlungsfreiheit vorbehalten, also regelmäßig militärisch gegen Militante in Gaza vorgehen, ähnlich wie derzeit im Westjordanland.

Wer die aufzubauenden Kräfte sein könnten, ist aber unklar. Bis in die 80er Jahre spielten Großfamilien in Gaza eine wichtige Rolle, die dann aber von Kräften der palästinensischen Nationalbewegung abgelöst wurden. Zwischen Israels Abzug aus Gaza 2005 und der Machtübernahme der Hamas 2007 hatten einige Großfamilien ein kurzes Revival. Sie waren damals „eines der größten Hindernisse für die Hamas beim Versuch, ihre Autorität zu festigen“, wie die NGO Crisis Group 2007 in einer Analyse schrieb.

Nun auf diese Familien zu setzen hält Yohanan Tzoreff vom Institute for National Security Studies in Tel Aviv allerdings nicht für sinnvoll. „Wer hinter dem Rücken der nationalistischen Bewegungen mit Israel spricht, wird Probleme bekommen“, sagte er der Times of Israel.

Tatsächlich hat die Hamas Berichten zufolge am 13. März einen Vertreter einer Großfamilie in Gaza-Stadt getötet, „wahrscheinlich im Rahmen ihrer Bemühungen, ihre Autorität im nördlichen Gazastreifen wiederherzustellen“, wie das Institute for the Study of War schreibt. Die Hamas habe den Anführer und andere Mitglieder des bewaffneten Dughmusch-Clans ins Visier genommen und ihnen vorgeworfen, mit Israel zu kooperieren. Die Hamas dementierte die Berichte.

Ohne die Bevölkerung geht es nicht

Statt auf lokale Familien setzt man in Israel offenbar eher auf palästinensische Geheimdienstler. Die israelische Nachrichtenseite Ynet berichtete von Überlegungen, dass eine Kraft unter der Führung von Madschid Faradsch die zivile Adminis­tration in Gaza übernimmt und Israel parallel ausgewählte Palästinenser aus Gaza im Westjordanland oder in Jordanien militärisch ausbildet.

Faradsch ist Chef des Geheimdienstes der von der Fatah-Partei geführten Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die in Teilen des Westjordanlands regiert. Er ist international vernetzt und in israelischen Sicherheitskreisen angesehen. Auch das Wall Street Journal nannte Faradsch als mögliche zentrale Figur; daneben werden offenbar der Geschäftsmann Baschar Masri sowie Mohammed Dahlan gehandelt. Dahlan, geboren in Chan Junis, war Sicherheitschef der Fatah im Gazastreifen, bevor diese von der Hamas 2007 vertrieben wurde. Heute lebt er in Abu Dhabi.

Eine grundlegende Frage ist, inwieweit Israel mit Personal der PA kooperieren wird. Premier Benjamin Netanjahu hat sich, anders als die USA, gegen eine Zusammenarbeit ausgesprochen. Zudem stellt sich die Frage, ob es realistisch ist, an der Hamas vorbei eine politische Kraft in Gaza aufzubauen. Dahlan selbst sagte im vergangenen Jahr, man müsse akzeptieren, dass die Hamas weiterhin eine Rolle spielen werde. Israels Regierung hat nach wie vor das Ziel, die Hamas zu vernichten.

Hinzu kommt, dass jede Kraft, die in Gaza Verantwortung übertragen bekommt, mit dem Makel behaftet sein wird, von Israel und seinen Verbündeten installiert worden zu sein – eine Steilvorlage für radikale Kräfte. Um Gaza nachhaltig zu stabilisieren, ist eine gewisse Legitimierung durch die Bevölkerung wohl unverzichtbar.

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17 Kommentare

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  • Es zeigt sich, was schon im Oslo-Friedensprozess und den Camp-David Abkommen schief gelaufen ist. Damals wurde der Druck auf Israel immer weiter erhöht, um doch eine Zweistaatenlösung zu ermöglichen. Dabei liegt der Ball im Feld der Palästinenser. Es gilt den Druck auf die arabische Seite zu erhöhen, obwohl das angesichts der Not im Gazastreifen schwierig scheint. Israel, genauer die Regierung Nethanjahu, macht den Fehler, Hamas vernichten zu wollen. Doch man kann nur Organisationen vernichten, Hamas ist eine Bewegung oder eher eine Idee. Die Ziele der Hamas werden auch dann bleiben, wenn sämtliche Mitglieder getötet würden. Doch eine Alternative gibt es nicht. Denn selbst wenn Israel guten Willens geeignete Leute finden würde, bliebe tatsächlich der Makel, von Israel eingesetzt zu sein. So wurde auch uns Deutschen "das Grundgesetz von den Siegermächten diktiert", um das wahre "Deutschsein" zu vernichten. so ist halt die "BRD GmbH" entstanden. Wen interessiert, ob dieses Narrativ frei erfunden ist, es klingt doch gut? Angesichts des Panarabismus wäre jede Regierung verbrannt, die unter dem Verdacht steht, von Israels Gnaden zu sein. Daher MÜSSEN die Palästinenser eigene Leute benennen. Der Westen muss eine arabische Initiative fordern, die Hamas ersetzen kann.

  • Danke für diese interessante Einkreisung des komplexen Problems.



    Es wird hier deutlich, dass auch ein Waffenstillstand eher vorübergehend sein wird.



    Es muss Sicherheit für die palästinensische und für die jüdische Bevölkerung hergestellt werden.



    Wer und wie das geschehen soll, ist die Frage, die sich seit Gründung des Staates Israel stellt.



    Aber es lässt hoffen, dass darüber geredet wird.



    Netanjahu ist als Gegner eines Friedensprozesses politisch groß geworden. Es erscheint unwahrscheinlich, dass er Teil der Lösung sein wird. Allerdings darf es gerne auch positive Überraschungen geben.



    Nach so viel Leid, auf beiden Seiten, wären positive Nachrichten wirklich zu wünschen!

    • @Philippo1000:

      "



      Es wird hier deutlich, dass auch ein Waffenstillstand eher vorübergehend sein wird.

      Es muss Sicherheit für die palästinensische und für die jüdische Bevölkerung hergestellt werden."

      Die Hamas lehnt ein Freilassen der Geißeln - entgegen UN Resolutionen ab - auch verschweigen sie wer in welchem Zustand von ihnen Gefangen gehalten wird. Solange die Hamas die Israelischen - und mehrheitlich jüdischen - Geiseln nicht freilässt kann es keinen permanenten Waffenstillstand geben.

      Die Hamas ist es übrigens auch, die mehr als 10 mal soviele - häufig Straftäter - freipressen möchte.

      Sicherheit für israelische Menschen, egal ob jüdisch, arabisch, queer, beduin, usw. gibt es nur, wenn die Hamas operativ ausgeschaltet wird.

  • Also wenn ich mir die Beispiele in der Geschichte anschaue, wo eine politische Führung gerade von den USA installiert wurde, dann ist das jetzt schon zum Scheitern verurteilt. Allein wenn man nach Südamerika schaut, findet man genug Beispiele um diesen Plan sofort abzulehnen, Haiti nur das neuste.



    "eine gewisse Legitimierung durch die Bevölkerung wohl unverzichtbar"- wohl unverzichtbar? Eine Legitimierung durch die Bevölkerung ist essentiell, ohne die wird auch eine neue Regierung nicht lange an der Macht bleiben. Und ich dachte das unser Ziel war demokratische Strukturen aufzubauen? Haben nicht etliche von der "Umerziehung" der Palestinenser gesprochen? Was ist daran demokratisch einen Verantwortlichen zu bestimmen? Für den Übergang könnte man das eventuell noch vertreten aber auch da hat sich öfter gezeigt, dass dies nach hinten los gehen kann. Zumal bei dem ganzen Plan die UN vermutlich auch ein Wörtchen mitzureden hat, sie wissen schon: Selbstbestimmungsrecht der Völker und so- "Es besagt, dass ein Volk das Recht hat, frei über seinen politischen Status, seine Staats- und Regierungsform und seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu entscheiden. Dies schließt seine Freiheit von Fremdherrschaft ein. Dieses Selbstbestimmungsrecht ermöglicht es einem Volk, eine Nation bzw. einen eigenen nationalen Staat zu bilden oder sich in freier Willensentscheidung einem anderen Staat anzuschließen." Das Recht wurde in mehreren anderen UN Dokumenten, IGH- Urteilen und UN-Resolutionen bestätigt, für die Palestinenser direkt u.a. in UN-Resulotion 37/43.



    Der einfachste Weg meiner Meinung nach um Hamas die Unterstützung zu entziehen, ist ein eigenständiger, souveräner palestinensischer Staat. 138 Staaten erkennen ihn eh schon an.



    Im übrigen wäre Hamas auch nicht die erste Terrorgruppe mit der Frieden geschlossen wurde- da finden sich etliche Beispiele, wo das auch lange Zeit unmöglich schien.

    • @Momo Bar:

      Krass, sie wollen mit der Hamas Frieden schließen? Das erklärt ihre bisherigen Kommentare, die sich für das Leid der Opfer vom 7. Oktober wesentlich weniger interessieren als fürs Leid anderer.

      Die Hamas ist kein Volk.

      Und zu Recht wird das Selbstbestimmungsrecht der Völker als eines der problematischsten historischen Ergebnisse der moderne gesehen. Völker sind schlicht nicht durch Blut & Boden definiert und deswegen habne auch Palästinenser*innen kein Anspruch auf spezifischen Boden. Völkische Argumentationen sind in dem Kontext aber üblich.

      Recht auf Mitbestimmung ihrer Regierung sollten alle Menschen haben. Rojava hat vorgemacht, wie es geht ohne in alte Nationalfallen zu tappen. Multi-ethnisch, starke Frauenrechte, relativ gute Situation für unsere Queeren Allies. Das alles ist in einem Hamas Gaza Streifen nicht gegeben.

      • @ToSten23:

        Sehr guter Kommentar, Respekt.

      • @ToSten23:

        Bei der Entkolonialisierung verstand man unter Volk einfach die Gesamtheit der Bewohner eines unter fremder Herrschaft stehenden Gebiets. Mit "Blut und Boden" hat das nichts zu tun.

      • @ToSten23:

        Mit der IRA wurde Frieden geschlossen oder nicht? Mit dem ANC (Afrikanischen Nationalkongress), der in einigen Ländern als Terrororganisation galt, wurde Frieden geschlossen. Nelson Mandela stand bis 2008 sogar noch auf der "terror watch list" der Amerikaner. FARC in Kolumbien, ETA im Baskenland, etc.



        Desweiteren habe ich von der Bevölkerung des Gaza- Streifens geredet als es um das Selbstbestimmungsrecht geht, also von den Palestinensern, nicht von Hamas. Da ist ein Unterschied. Und die Palestinenser sind ein Volk und deren Recht auf Selbstbestimmung wurde mehrfach durch die UN bestätigt. Umstritten oder nicht, solange die Resolutionen nicht aufgehoben wird, stehen sie ob einem das gefällt oder nicht. Wie ich auch geschrieben habe, glaube ich das man der Hamas die Unterstützung entziehen kann durch einen eigenständiger Staat. Das sehe nicht nur ich so. Soweit ich mich erinnere hält auch unsere Bundesregierung eine Zwei-Staaten-Lösung für den besten Weg für dauerhaften Frieden. Die Amerikaner haben das erst kürzlich ebenso bekräftigt.



        Des Weiteren bin ich erst seit diesem Jahr Kommunardin bei der taz, von daher ist es denke ich für sie schlecht zu beurteilen für welche Opfer ich mich mehr oder weniger interessiere zumal ich bei unschuldigen Opfern keinen Unterschied mache. Ich finde es immer schwierig über Menschen zu urteilen, wenn ich A) nicht das vollständige Bild habe und B) sie und ihren Hintergrund nicht kenne. Und wenn sie alle meine Kommentare lesen, dann werden sie sehen, das mein Hintergrund mich familiär mit dem jüdischen Volk verbindet. Das hindert mich aber nicht daran die Regierung in Israel zu kritisieren, im Gegenteil.

        • @Momo Bar:

          Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen für wahrheitsgemäße Aufklärung!

  • Für eine Übergangszeit wäre eine Ordnungskraft aus Polizisten und Soldaten mit Blauhelmen wahrscheinlich das Beste. Das muss die UNO organisieren. Idealerweise sollten die Leute dafür aus weit entfernten Ländern und Regionen kommen, die mit dem Nahostkonflikt nichts zu tun haben und bei beiden Konfliktparteien als neutral gelten.

    Es gibt fast 200 Nationen auf diesem Planeten. Wenigstens ein paar wenige sollten neutral genug sein, um diese Aufgabe zu erfüllen.

    • @Winnetaz:

      Ich fürchte, die Aktivitäten der UN in der Region waren bisher derart katastrophal, dass eine konstrukive und erfolreiche Arbeit nicht möglich ist.

  • Ein Artikel auf den ich in der Taz lange gewartet habe. Gut so.

    • @KonservativBürgerlich:

      Stimme ihnen zu und er trägt m.E. nach mehr zum Verständnis der Situation bei, und ergänzt z.b. auch Lücken eines anderen Autors.

    • @KonservativBürgerlich:

      Das ein Account mit diesem Namen einen taz Artikel lobt, sollte Anlass zum Nachdenken geben

      • @Andreas Maschler:

        Bei diesem ernsten Thema ist es schön, wenn mich ein Kommentar mal zum lachen bringt!

      • @Andreas Maschler:

        Mir geht es darum, dass den Menschen vor Ort tatsächlich geholfen wird. Bisher war die Berichterstattung sehr idealistisch geprägt. Mein Name ist Kritik an Taz, Leser*innenschafft und Kommentator*innen die faktisch häufig nicht emanzipatorisch sind, sondern eben konservativ und bürgerlich.



        Marx hat zu Recht kritisiert, wenn sich Personen über die Namen von Dingen, statt die Verhältnisse von ihnen aufgeregt haben.

      • @Andreas Maschler:

        Ganz mein Zitronenfalter Humor.