EU-Richtlinie zu Gewalt gegen Frauen: Deutschlands Nein zu „Ja heißt Ja“

Gewalt gegen Frauen soll in der EU bald einheitlich bestraft werden. Eine „Ja heißt Ja“-Regelung ist nicht Teil der Richtlinie. Deutschland hat das blockiert.

Frauen mit erhobenen Händen

Frauen protestieren 2019 in Brüssel gegen männliche Übergriffe Foto: Brian Arnaud/picture alliance

BERLIN taz | Das Verschicken intimer Bilder ohne Einwilligung, Cyberstalking und -mobbing sowie Deepfakes und Zwangsheirat stehen in der gesamten Europäischen Union bald unter Strafe. Darauf haben sich Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten geeinigt, wie Věra Jourová, EU-Kommissarin für Werte und Transparenz, am Dienstag mitteilte. Dass Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt künftig einheitlich bestraft werden, ist ein Novum in der EU.

„Die Einigung zur EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ist ein Meilenstein für Frauen in Europa“, sagte dazu Familienministerin Lisa Paus (Grüne). „Mit der Einigung sendet die EU das klare Signal: Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt in Europa müssen konkret eingedämmt werden. Jetzt ist ein wichtiger Erfolg erzielt, die politische Auseinandersetzung für mehr Schutz für Frauen vor Gewalt wird weitergehen.“

Die Kommission und das Parlament hatten auch vorgeschlagen, dass der Straftatbestand der Vergewaltigung vereinheitlicht wird. Aufgrund von Widerständen der größten EU-Mitgliedsstaaten, Deutschland und Frankreich, wurde dieser Passus entfernt. Strafrecht sei kein EU-Recht, da laut Artikel 83 Absatz 1 der Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) einheitliche Regelungen nur im Bereich der als EU-Straftat aufgezählten Verbrechen möglich seien. Dazu zählt etwa Menschenhandel oder Geldwäsche. Eine solche Verankerung sei also vor Europagerichten angreifbar, so die Argumentation. Dies ist jedoch juristisch umstritten, 13 Mitgliedstaaten hatten sich für eine einheitliche Regelung ausgesprochen.

Strafrechtlerinnen des Deutschen Juristinnenbundes (djb) betonten in einer Stellungnahme, dass die EU durchaus die Kompetenz habe, Vergewaltigung auf EU-Ebene zu regeln. Der djb beruft sich unter anderem auf die EU-Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie Kinderpornografie. „Sexuelle Ausbeutung“ sei darin so definiert, dass Straftaten harmonisiert werden können, auch jenseits wirtschaftlicher Faktoren wie etwa beim Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung: „Dabei enthält die Richtlinie auch Vorschriften, bei denen der Schwerpunkt auf der Gewaltanwendung und der erzwungenen sexuellen Handlung liegt.“

„Eine große Enttäuschung“

Damit der Sex als einvernehmlich gilt, sollte eigentlich das Prinzip „Ja heißt Ja“ gelten, so war es in einem Entwurf der Kommission vom März 2022 vorgesehen. Neben der Streichung dieser Regelung gilt deshalb noch der Grundsatz: Täter können nicht EU-weit wegen Vergewaltigung belangt werden, wenn sie dem Opfer keine Gewalt angedroht oder an ihm ausgeübt haben. Dass Sex auf Konsens basiert, ist laut Richtlinie jedoch Standard für die Präventionsarbeit.

Die irische Christdemokratin Frances Fitzgerald sprach dazu am Mittwoch im Parlament. „Heute machen wir den ersten Schritt, um Europa zum ersten Kontinent der Welt zu machen, der Gewalt gegen Frauen beseitigt“, so die Verhandlungsführerin des Europaparlaments: „Wir konnten eine auf Einvernehmlichkeit basierende Definition von Vergewaltigung nicht in der Richtlinie unterbringen. Das ist eine große Enttäuschung.“ Auch die EU-Abgeordnete Birgit Sippel (SPD) ist unzufrieden: „Es sagt etwas über den Zustand der FDP aus, die sich angesichts sehr schlechter Umfragewerte offenbar bemüht, ihr persönliches Profil zu schärfen, auf Kosten von Rechtssicherheit in Europa, zu Lasten der Frauen“, sagte Sippel dem Nachrichtensender Phoenix.

Bislang gelten in 18 von 27 Mitgliedstaaten die Voraussetzungen, das Gewalt angedroht oder nachgewiesen werden muss, damit eine Vergewaltigung als Straftat geahndet wird. Seit 2016 gilt in Deutschland „Nein heißt Nein“ – eine sexualisierte Handlung muss abgelehnt werden, damit sie als Vergewaltigung anerkannt werden kann.

Feminist_innen hatten gehofft, dass durch die Neuregelung ein europaweites Prinzip der Einvernehmlichkeit gelten könnte, wie es jetzt schon in Schweden und Spanien der Fall ist. Hundert bekannte Frauen hatten deshalb einen öffentlichen Brief geschrieben, der Justizminister Marco Buschmann (FDP) dazu aufforderte, seine Blockade in Europa aufzugeben.

Aktivistin Kristina Lunz

„Als feministische Zivilgesellschaft hätten wir uns gewünscht, dass die Grünen und die SPD die Blockadehaltung des Justizministers nicht geduldet hätten“

Zu den Erstunterzeichner_innen gehörte auch die Aktivistin Kristina Lunz. „Als feministische Zivilgesellschaft hätten wir uns gewünscht, dass die Grünen und die SPD die Blockadehaltung des Justizministers nicht geduldet hätten“, sagte Lunz der epd.

Die Vereinbarung muss noch vom Europäischen Parlament sowie vom Rat förmlich verabschiedet werden. Die EU-Staaten haben daraufhin drei Jahre Zeit, die Richtlinien umzusetzen. Diese sieht außerdem vor, dass die EU-Staaten eine nationale Telefonhilfe für Gewaltopfer einrichten müssen, die kostenlos und jederzeit erreichbar ist. Zudem müssen Präventivmaßnahmen ergriffen werden, um Gewalt zu verhindern.

Deutschland muss vermutlich die Gesetzeslage zur digitalen Gewalt aktualisieren. Zudem evaluieren das Bundesjustizministerium und das Bundesfrauenministerium noch in dieser Legislatur das Sexualstrafrecht von 2016, in der man sich auf das Prinzip „Nein heißt Nein“ geeinigt hatte.

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