Neue Zahlen der Musikindustrie: Musik existiert nicht mehr (analog)
Streaming kontrolliert den Musikmarkt und wir haben uns dafür entschieden. Was bedeutet es jedoch, Kunst nicht mehr zu besitzen?
Die neuen Zahlen des Bundesverbandes Musikindustrie für das erste Halbjahr 2023 sollten eigentlich niemanden überraschen. Daraus ging hervor, dass Streaming und digitale Angebote knapp 82 Prozent des Umsatzes ausmachen. Die restlichen 18 Prozent teilen sich analoge Datenträger, wie Vinyl, CDs, DVDs und Co. Der Umsatz der Musikindustrie ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, so wurde bis Ende Juni über eine Milliarde Euro mit Musik umgesetzt. Kurz gesagt, der Musikindustrie geht es wieder gut, selbst Vinyl wächst wieder.
Vor dem Vormarsch von Streaming erwarb man für sein Geld einen Tonträger oder lud sich eine Datei auf den eigenen Rechner. Dies hat sich bei Streaming geändert. Heutzutage kaufe ich mir lediglich eine Erlaubnis von den großen Streaming-Unternehmen (wie Spotify und Apple Music) Musik hören zu dürfen. Ich habe keine Kopie mehr, die mir gehört, und das kann zum Problem werden.
Für mich als Konsumenten ist das Prinzip von Streaming im Alltag angenehm. Ich steige in die U-Bahn, setze Kopfhörer auf und kann alle Musik der Welt von Beethoven bis zur SpongeBob-Filmmusik genießen. Aber nehmen wir mal an, Spotify hat keine Lust mehr auf SpongeBob, dann kann die Filmmusik schnell von ihrer App verschwinden, obwohl ich diese bisher immer problemlos hören konnte. Dadurch, dass wir durch den Konsum von Streams unser Recht auf den Besitz von Kunst aufgeben, können große Plattformen Kunst einfacher kanalisieren und den Zugang zu ihr kontrollieren.
Ähnliches findet beim Streaming von Filmen und Serien statt. Die Lizenzen für ihre Ausstrahlung sind begrenzt. Wenn ich also bei Amazon Prime nochmal draufzahle und einen Film kaufe, heißt das nicht, dass mir diese Kopie des Filmes gehört. Amazon kann meinen „gekauften“ Filmen aus ihrer Mediathek entfernen und dann ist er weg.
Die Streamingindustrie verändert so unseren Bezug zur Musik. Sie kann durch ihre Plattform die Verbreitung von Kunst kontrollieren. Vergleicht es mit dem Kind auf dem Bolzplatz, dem der Fußball gehört. Wenn man mitspielen will, darf man nicht in Ungnade fallen, sonst steht man ohne Ball da.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf
Ministerpräsidentenwahl in Sachsen
Der Kemmerich-Effekt als Risiko
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt