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Gesetzgebung in RusslandMoskaus Feldzug gegen trans Menschen

Duma-Abgeordnete wollen verhindern, dass Menschen sich mit einer Geschlechtsangleichung der Mobilmachung entziehen. Absurder geht es nicht.

Protest mit Regenbogenflagge 2015 in St. Petersburg Foto: ap

N eulich hat die russische Staatsduma in erster Lesung einem Gesetzentwurf über das Verbot von Geschlechtsangleichung für trans Menschen zugestimmt. Das Verbot betrifft sowohl die Möglichkeit, das Geschlecht im Pass ändern zu lassen, als auch medizinische Eingriffe, die für trans Personen nötig sein können. Ein weiteres repressives Gesetz eines fast totalitären Staates – nichts Ungewöhnliches also? Tatsächlich wurde damit eine neue Stufe der Unmenschlichkeit erreicht.

Война и мир – дневник

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Erstens: Es gibt nur wenige trans Personen in Russland. Laut Innenministerium haben zwischen 2016 und 2022 nur 3.050 Menschen ihr Geschlecht im Pass umschreiben lassen. Das sind weniger als 500 im Jahr. Wenn die Abgeordneten mit erhobener Stimme davon sprechen, dass Menschen sich mit einem anderen Geschlecht registrieren lassen, um sich so vor der Mobilmachung zu drücken und nicht in den Krieg in der Ukraine zu müssen, klingt das selbst für Dumaverhältnisse völlig absurd.

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Wegen jährlich 500 Menschen, ernsthaft? Tausende von Männern haben im vergangenen Jahr in nur einem Monat das Land verlassen, um dem Krieg zu entkommen. Ich spreche hier nicht mal darüber, dass es bei trans Personen nicht nur den Übergang von Mann zu Frau, sondern natürlich auch umgekehrt gibt. Aber das haben die Abgeordneten wohl vergessen – oder wussten es nicht.

Zweitens: Die Gruppe dieser Menschen ist nicht nur klein, sie ist auch weitgehend unpolitisch. Das Leben von trans Menschen in Russland war schon vor diesem Verbot extrem schwierig. Das reicht von genereller Stigmatisierung über Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche bis zu allen daraus resultierenden seelischen Problemen. Sie sind bereits mit der Bewältigung ihres komplizierten Lebens beschäftigt und haben keine Zeit für Politik. Die Repressionen sind daher nicht nur absurd, sondern auch politisch sinnlos.

Maria Bobyleva

ist Chef-Redakteurin beim Portal „Takie dela“ (Russland) und Autorin der Bücher „So sprechen wir. Verletzende Wörte und wie man sie vermeidet“ und „Poetik des Feminismus“ Seit März 2022 lebt sie in Riga (Lettland).

Und drittens: Hier werden Menschen nicht für das bestraft, was sie tun, sondern dafür, wer sie sind. Das ist das Allerschlimmste. Selbst die brutalsten Gesetze gegen Oppositionelle sind immer Gesetze gegen Taten oder Worte, die sich gegen das Regime richten. Das Gesetz gegen trans Personen ist eine Maßnahme gegen eine bestimmte Gruppe Menschen.

Russische trans Aktivisten schlagen nun Alarm. Eine Randgruppe, die man ignoriert oder höchstens als eine Art von Freaks betrachtet, die auf irgendwelche Trends und Moden aus dem „verrottenden Gayropa“ hereingefallen sind? An eben diese kleine Gruppe legt der Staat neue, unmenschliche Maßstäbe an – die man dann auf die nächste Gruppe überträgt, die schon etwas größer ist, und so weiter. So arbeitet der Repressionsapparat: Schritt für Schritt, um Appetit auf mehr zu machen. Solange, bis niemand mehr dagegen protestiert.

Aus dem Russischen von Gaby Coldewey

Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.

Ein Sammelband mit den Tagebüchern ist im Verlag edition.fotoTAPETA erschienen.

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4 Kommentare

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  • Absud wäre es aber auch, wenn Menschen wegen ihrer eigenen Geschlechterbestimmung NICHT zur Armee müssten.



    Wenn eine Wehrpflicht gilt (was ich prinzipiell für falsch halte), dann muss diese auch für alle gelten.

  • Ich komme aus Russland und möchte meine Meinung äußern. Das Verbot der Geschlechtsumwandlung in Russland ist nur der Anfang einer Kette faschistischer Gesetze, die die Russen zu Sklaven machen. Die westlichen Medien veröffentlichen leider Nachrichten aus Russland mit geringer Verzögerung. Aber hier ist, was wir derzeit haben: Die Regierung hat ein Gesetz über die "Arbeitsdisziplinierung von Schülern ohne ihre Zustimmung und die Zustimmung ihrer Eltern" verabschiedet - Kinder wurden zu Sklaven gemacht. Zusätzlich diskutiert die Regierung ein Abtreibungsverbot sowie ein Verbot des Verkaufs von Verhütungsmitteln - ein Beamter sagte: "Das Land stirbt, daher kann keine persönliche Entscheidung getroffen werden, ob man gebären oder nicht gebären möchte." Das bedeutet, dass Menschen, ihr Körper und ihre Gesundheit Eigentum des faschistischen Staates sind. Gleichzeitig wird über ein Gesetz diskutiert, das höhere Geldstrafen für Wehrdienstverweigerer vorsieht - derzeit beträgt die Strafe 3000 Rubel. Geplant ist, sie auf 50.000 Rubel anzuheben. Aber das durchschnittliche Gehalt in Russland beträgt 25.000 Rubel, und eine Strafe von 50.000 Rubel ist ein wahrer Völkermord, da den Menschen dadurch das Geld für Essen, Wohnen und medizinische Versorgung entzogen wird.

     

    Kommentar gekürzt. Bitte beachten Sie unsere Netiquette.

    Die Moderation

  • "Wenn die Abgeordneten mit erhobener Stimme davon sprechen, dass Menschen sich mit einem anderen Geschlecht registrieren lassen, um sich so vor der Mobilmachung zu drücken und nicht in den Krieg in der Ukraine zu müssen, klingt das selbst für Dumaverhältnisse völlig absurd."



    Ich bin zusätzlich überrascht, dass Frauen in Russland offenbar nicht der Wehrpflicht unterliegen. War das in der Sowjetunion auch so?

    • @Encantado:

      Ja, Geschlechtergleicheit war im Sozialismus immer eine Illusion, Frauen konnten beim Militär dienen aber Wehrpflicht gab es nur für Männer.